Schwarzwaldstube – das französische Restaurant des Hotels Traube-Tonbach

Fast schon bescheiden wirkt die Bezeichnung „Französisches Restaurant“, die sowohl über der außen am Haus ausgehängten Menükarte als auch über der Eingangstür des Restaurants von Harald Wohlfahrt zu finden ist. Vergeblich sucht man nach den ehrfürchtigen Lettern „Schwarzwaldstube“ am vom Haupthaus des Hotels Traube-Tonbach separierten Haus auf der anderen Straßenseite, das noch zwei weitere Restaurants beherbergt.

Aber jetzt mal ehrlich: Weder sind wir 700 Kilometer gereist, um in „zwei weiteren“ Restaurants zu speisen, noch möchten wir in irgendein „französisches Restaurant“, so gut das auch klingen mag, – wir möchten in die Schwarzwaldstube, herrje, in der wir vor einer zweistelligen Anzahl an Monaten für heute Abend, jetzt um acht Uhr, einen Tisch reserviert haben!

Irritiert von so viel Understatement werden wir derweil freundlich an unseren Tisch geleitet. Das Ambiente überrascht in mehrerlei Aspekten: Es ist nicht nur kleiner als ich dachte, sondern auch gemütlicher als ich es mir von einigen Fotos zusammengereimt hatte. Schön ist etwas Anderes, aber die „Stube“ verbindet urigen Schwarzwaldcharme mit der üblichen Festlichkeit eines Drei-Sterne-Restaurants.Diese Eindrücke verarbeite ich genüsslich bei einem Glas Champagner, das uns so rasch angeboten wird, wie es mir in den Sinn kam. Wir entscheiden uns für ein Glas 2000er Egly-Ouriet – einer meiner favorisierten Winzerchampagner.

Das auffallend junge Serviceteam ist professionell und charmant. Während wir die Speisekarten studieren, die wir uns bereits am Nachmittag etwas genauer angesehen haben, wird uns eine Silberdose gereicht, in der wir zwei riesige weiße Trüffeln bestaunen und beschnüffeln können. Sie sind jeweils etwa so groß wie ein Tennisball. Das Understatement hat sich ohnehin schon spätestens bei der Tischdekoration verabschiedet, die für jeden Tisch eine aus Silberbestecken handgefertigte Tierskulptur beinhaltet. Das Aroma füllt den Saal.

Benebelt vom Trüffeldunst schweife ich gedanklich ab und wünsche mir – als Gegensatz zu dieser imposanten Darbietung –, man hätte mir letztes Jahr im Le Canard Nouveau in Hamburg vor dem Menü die Flasche (schlechten) Trüffelöls präsentiert, mit der dort jedes Gericht mutwillig zerstört wurde. Dann hätte ich mir vorab den Rest des Abends dort ersparen können.

Die Entscheidung über meine Bestellung ist mittlerweile gefallen. Zwar gibt es ganze vier Menüvorschläge (€ 135 - € 178), jedoch möchte ich hier viel lieber aus der vielfältigen Karte selbst zusammenstellen. Ich entscheide mich für fünf Gerichte: fünf Kreationen von Harald Wohlfahrt, die ich in ihrer gesamten Vielfalt sehen, riechen und schmecken möchte. Ich bin schließlich nicht hier, um ein Hüngerchen zu stillen, sondern um möglichst viele neue genussreiche Eindrücke zu sammeln.

Stéphane Gass, der junge, sympathische Sommelier, kommt derweil mit uns ins Gespräch. Da ich die Weinkarte bereits tagsüber intensiv studiert habe – was ich gerne tue, wenn sich eine Möglichkeit hierfür ergibt – hatte ich mir bereits einige Favoriten herausgesucht, und tue diese nun Herrn Gass kund: Die Vorspeise könnte uns sicherlich ein 1998er Ch. Rieussec versüßen, die folgenden Fischgänge vielleicht ein stahlig-eleganter 2002er Chablis Blanchots von François Ravenau. Vom dann mir vorgeschlagenen 2004er Grange des Pères rät Stéphane mir hingegen ab (ich hätte es wissen müssen, hatte ich doch gerade letztlich einen noch wirklichen „grünen“ 2005er bei der Weinprobe eines Freundes), und er empfiehlt stattdessen einen mir unbekannten Wein aus dem Südwesten Frankreichs (Côtes du Marmandais), einen 2000er Clos Baquey. Ich bin gespannt. Das Essen wird serviert.

Das Amuse-Bouche — vier unterschiedliche Kreationen, die auf einem Teller gereicht werden, von Asia-Wan-Tans bis Gänseleber-Irgendwas (ich habe sie nicht behalten können) —, ist gut, aber nicht überwältigend. Auf die Nachfrage, wie es war, richten wir ein der lockeren Atmosphäre angepasstes „Das war schon mal ein Anfang!“ an den Kellner, der uns sodann erwidert „Das können wir noch toppen…!“. Zwar ist diese Aussage äußerst beruhigend, in Anbetracht der noch bevorstehenden Gänge, aber ich wundere mich doch sehr über die Selbstverständlichkeit, die uns der Kellner hinsichtlich der Tatsache entgegenbringt, dass es noch so viel besser werden soll. Sind wir hier nicht in Deutschlands bestem Restaurant? Ein Drei-Sterne-Restaurant begeistert michnicht durch fette Trüffeln und Silberbesteckskulpturen, sondern dadurch, dass das Essen in wirklich (fast) jeder Hinsicht nicht mehr verbesserungsfähig ist – von der gereichten Butter über das Amouse-Bouche bis hin zum Kaffee zur Patisserie. Ein erstes Manko also gleich zum Auftakt.

Die Vorspeise, Mosaik von Entenleber, Gemüse und Trüffel in Banyulsgelee (€ 48) ist dagegen ein echtes Meisterstück. Ein handwerklich äußerst beeindruckendes geschichtetes Törtchen von Entenleber, Gemüsen und Trüffeln, umhüllt von glänzendem Banyulsgelee schmeckt so perfekt, wie es aussieht. Der im Namen des Gerichts nicht erwähnte Kräutersalat mit Trüffel-Juliennes und einer schlicht großartigen Vinaigrette begeistert jedoch ebenso. Eine klassische „Foie-Gras-Terrinen-Vorspeise“ kann man (und muss man) wohl nicht besser machen. Der 1998er Ch. Rieussec (ca. € 90, EB 93) harmoniert erwartungsgemäß.

Das Service-Team freut sich offenkundig, dass wir als nächsten Gang „eine Suppe“ bestellen, nämlich eine Kalbsschwanz-Essenz mit Enokipilzen und Gänseleber-Blätterteigtasche (€ 23). „Das wird nicht so häufig bestellt“, teilt man uns mit. Ein Jammer, wenn man bedenkt, wie aufwändig die Zubereitung einer solchen Essenz ist und welchen Wohlgeschmack sie uns bietet. Die dazu gereichte gegarte Gänseleber in einer Blätterteigtasche ist ein Geschenk des Himmels. Das Süppchen ist beeindruckend und von intensiver Aromatik. Wenn jeder Gast diese Essenz bestellte, gäbe es sicher bald keine Kälber mehr.

Es folgt eine Rondelle von der Sankt-Jakobsmuschel auf Kürbismark mit Ingwer aromatisiert. Der karaffierte Chablis ist indessen wunderbar blumig, mineralisch, kreidig und von unglaublicher Samtigkeit, Tiefe und Klarheit (ca. € 130, EB 95). Das Gericht ist sehr gut. Nicht mehr, nicht weniger. Es bleibt weiter eine Hoffnung auf Steigerung.

Die Steinbuttschnitte und Schalentiere mit Kartoffel-Korianderstampf serviert in einer Safranbouillon mit Chilifäden (€ 65) stellen ein denkwürdiges Gericht dar, das durch ein filigranes, komplexes Zusammenspiel von an sich schwierigen Aromen (Safran, Koriander) brilliert. Die Frische und die Zubereitung des Fischs sind auf höchstem Niveau und begeistern entsprechend; die Bouillon ist würzig, fein, elegant, aromatisch. Ein Hochgenuss. Es bleibt für mich das elaborierteste Gericht an diesem Abend.

Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass die letzten beiden Fischgerichte jeweils mit Chilifäden garniert waren, dies jedoch nur in der Beschreibung eines Gerichts erwähnt wurde. Abgesehen von der Tatsache, dass diese Zutat ohnehin nur gering erwähnenswert ist, hätte ich von einer Drei-Sterne-Küche erwartet, dass sie in dem wahrscheinlich seltenen Fall, dass ein Gast, wie ich, zwei Fischgänge bestellt, rasch improvisiert und die Garnitur bei einem der Gerichte abwandelt. Es wäre die Art von Aufmerksamkeit, die mir das Gefühl gibt, individuell behandelt zu werden, anstatt in einer Gourmet-Maschinerie abgefertigt zu werden.

Wir degustieren inzwischen den 2000er Clos Baquey, und ich bin zunächst skeptisch. Die erste Zeit im Glas präsentiert sich der Wein äußerst verschlossen, zeigt jedoch viele unterschiedliche Facetten, je länger wir warten. Ich blicke hoffnungsvoll in das Glas.

Das folgende Karree vom Limousin-Lamm mit konfierter Zitrone und Blattpetersilie an Gremolatasauce (€ 130 für zwei Personen) ist leider vergleichsweise enttäuschend. Das Lamm ist von sehr guter Qualität, ohne Zweifel, aber die Sauce und der noch kürzer als bissfest gegarte Broccoli sind einfallslos und gerade mal auf Ein-Stern-Niveau. Die Präsentation (s. Foto) ist ebenfalls erstaunlich lieblos. Ein betrüblicher Abschluss des Menüs vor der Patisserie und ein klares No-go für ein Restaurant dieses Niveaus – das bekommt jeder passionierte Hobbykoch hin.Der Clos Baquey hat bis hierhin eine erstaunlich positive Verwandlung durchgemacht und begeistert mittlerweile durch eine komplexe Aromatik, die an einen Saint-Emilion erinnert.

Die Patisserie kann jedoch wieder vollends überzeugen. Ein absolut genüsslicher Halbflüssiger Biskuit mit Mandeln, Himbeercoulis mit Rosensirup und Mirabellensorbet mit Eisenkraut-Granité (€ 24) schmeckt ungemein köstlich und hat alle Eigenschaften einer traumhaften Süßspeise. Ich bin ebenfalls angetan vom 1976er Bas Armagnac von Laberdolive.Die folgenden kleinen Süßspeisen lehnen wir wegen vorherrschenden „Platzmangels“ zunächst ab, man legt uns jedoch ans Herz, sie mitzunehmen. Sie werden uns daraufhin in einer transparenten Kunststoffschachtel an den Tisch gebracht. Während wir als letzte Gäste noch angenehm berauscht auf unseren Plätzen verweilen, probieren wir schließlich doch eine der süßen Kleinigkeiten, und dann noch eine. Wir lassen keine übrig, als wir das Restaurant verlassen.Wir hatten einen schönen Abend in der Schwarzwaldstube. Einen langen, genussreichen, abwechslungsreichen Abend mit wenigen hervorragenden, einigen guten und keinem wirklich großartigen Gericht. Der heutige Abend wies leider zu viele Schwächen auf, um die 700 km Fahrt allein des Essens wegen zu rechtfertigen. Schade, aber vermutlich eine Ausnahme.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Schwarzwaldstube (→ Website)
Chef de Cuisine: Harald Wohlfahrt
Ort: Baiersbronn, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 07.11.2009
Guide Michelin (D 2009): ***
Meine Bewertung dieses Essens 8,5 (Was bedeutet das?)