Arzak – viel Lärm um nichts

Ein Kurztrip führt mich zwei Tage nach San Sebastián. In der Stadt mit der weltweit höchsten Dichte an Michelin-Sternen pro Quadratkilometer möchte ich zwei weitere von Spaniens wenigen Drei-Sterne-Restaurants unter die Lupe nehmen. Größtmöglicher Genuss ist dabei wie immer mein deklariertes und erhofftes Ziel. Erste Station der Reise ist das Restaurant Arzak, in dem Kochlegende Juan Mari Arzak und seiner Tochter Elena seit mehr als zwanzig Jahren drei Michelin-Sterne halten.

Ich bin – absichtlich – etwas unterinformiert und damit auch unvoreingenommen was die Küche im Arzak betrifft. Außer, dass es hier eine Art „Aromaarchiv“ gibt und dass Tochter Elena häufig auf internationalen Gastro-Events auftritt, weiß ich recht wenig über das Restaurant.

DasHaus liegt praktischerweise an derselben Straße wie mein (empfehlenswertes) Hotel. Vor dem Restaurant versammeln sich bereits einige asiatische Gäste und machen eifrig Erinnerungsfotos. Wir treten ein.

Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Vorraum werden wir an unseren Tisch geführt. Das Interieur ist modern, sachlich, in Erd- und Grautönen gehalten. Die Abwesenheit von Fenstern (die vorhandenen sind verhangen) sowie relativ eng gestellte Tische sorgen für eine etwas gedrungene Atmosphäre. Dass man hier, ein paar Tische weiter, zwei T-Shirt tragende Gestalten zu seinen Gästen zählen möchte, die in machohaften Posen biertrinkend in ihren Sesseln versacken, finde ich bedauernswert und unappetitlich. Sei es drum; ich muss ja nicht hinsehen. Hauptsache, das Essen ist gut.

Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen kann ist, dass ich in den folgenden paar Stunden ein beispiellos katastrophales Essen über mich ergehen lassen muss. Das Degustationsmenü (€ 179 und „the best way to get to know our cuisine“) gestaltet sich als eine Abfolge von Banalem, Groteskem und bestenfalls Mittelmäßigem. Ein anfangs umsorgter, später aufdringlicher Küchenchef ist dabei Teil des skurrilen Erlebnisses.

Doch beginnen wir von vorn.

Die Amuse-Bouches werden als Spektakel inszeniert. In einer Schale ist Trockeneis; milchiges Kohlendioxid kriecht ohne erkennbaren Nutzen über das Tischtuch. Als der Nebel sich lichtet, findet man darunter zunächst ein ganz ordentliches Maissüppchen mit dehydrierten, knusprigen Einlagen (Corn, figs and black pudding). Es wird die beste Speise des Abends bleiben. Ansonsten sind da: etwas Frittiertes an einem Stab, das trocken ist und nach Frittierfett schmeckt (Kabrarroka pudding with kataifi); ein merkwürdig geformtes Gebilde aus Ziegenkäse mit einer scheußlich geleeartigen Textur (Goat cheese with turmeric); eine quaderförmige Kartoffel mit Amaranth und Schokolade (schmeckt scheußlich) und „Stachelbeere mit Kokosnuss“ (kaum erwähnenswert). Von Wohlgeschmack keine Spur. Und wer, bitte schön, möchte heutzutage noch irgendwelche Gase über sein Tischtusch wandern sehen? Ein in jeglicher Hinsicht misslungener Start mit blamabler Fehlinterpretation moderner Küchentechniken.

Sehr gut ist immerhin der weiße 2009 Mas d’en Gil Coma Blanca (€ 56) aus dem Priorat, den der Sommelier (mit Lederschürze) aus der umfangreichen und, wie in Spanien üblich, für die Spitzengastronomie äußerst günstigen Weinkarte empfohlen hat.

Erster Gang des Menüs ist ein Konstrukt aus einer frittierten Hülle, gefüllt, unter anderem, mit Zwiebeln, Foie Gras und Kaffee (Cromlech with onion, coffee and tea). Man isst das irgendwie mit Gabel und Fingern. Der Eindruck am Gaumen ist süßlich herzhaft, die hauchdünne krosse Textur der „Hülle“ ist dazu ganz gut gelungen, aber mehr als „ganz nett“ ist das nicht.

Der nächste Gang, Hemp’s mustard and lobster, ist eine Kombination aus drei mickrigen Stückchen mittelmäßigen Hummers, zwei großzügig portionierten „Crackern“, die ein sehr unangenehmes, trockenes Mundgefühl hinterlassen sowie einigen ziemlich sauer angemachten Kräutern und zwei seltsamen Gebilden (Kartoffel? Topinambur?), die – erneut ohne nachvollziehbaren Sinn – zu einer Wäscheklammer geformt sind. Dazu, in einem separaten Schälchen, ein viel zu saurer Kräutersalat, der in schleimigem Zeugs mit Tapioka schwimmt. Bäh.

Etwas besser ist dann Fufú balls and fish of the day, ein eher mediterranes Gericht mit leicht gegrilltem Thunfisch(?), sommerlich frischen Kräutern und „Fufu“-Bällchen. Leider sind die abermals vorzufindenden trockenen Getreide-Cracker auch hier nichts weiter als plumpe Texturgeber.

Mit Dusted egg and mussel erhält man ein pochiertes Ei, das es zunächst von einem erneut frittierten Gebilde zu befreien gilt, um daranzukommen. Dem Ei fehlt es an Salz, die frittierte „Platte“ nervt mich, und auf die trocken aussehende Muschel mit noch mehr trockenen Elementen obenauf (frittiert, dehydriert oder anderweitig ihrer natürlichen Beschaffenheit beraubt) habe ich keine Lust; sie wird das Gericht ohnehin nicht retten. Wozu sollte ich sie also essen?

Etwas auf dem Teller zu lassen ist natürlich ein deutliches Signal, weswegen ich mich schon mal auf eine Nachfrage einstelle. Tatsächlich kommt wenig später Cheftochter Elena an den Tisch.

Wir kommen nett ins Gespräch (sie spricht perfekt Deutsch) und ich versuche, ihr zu erklären, was mir nicht gefiel. El chef persönlich gesellt sich ebenfalls hinzu; mit ihm spreche ich Französisch. Mein zunächst höflicher Erklärungsversuch, es sei einfach nicht so ganz mein Fall gewesen, wird nicht so einfach akzeptiert. Arzaks bestehen regelrecht auf eine ausführliche Erklärung. Was zuerst umsorgt und wissbegierig erscheint, wird nach ein paar Minuten lästig und aufdringlich. Es schmeckte einfach nicht besonders gut; ich sehe keinen weiteren Rechtfertigungsbedarf. Irgendwann lassen beide von unserem Ecktisch ab. Eine sonderbare Begegnung.

Fish of day ist wahlweise ein Gericht mit Seeteufel oder Wolfsbarsch. Ich probiere beide Gerichte. Der Seeteufel mit Stachelbeere und Dinkel wird auf einer Glasplatte serviert, unter der auf einem iPad-ähnlichen Gerät wallendes Meer in einer Dauerschleife zu sehen und zu hören ist. Ich glaube zunächst kaum, was ich da sehe. Etwas derart Affektiertes ist mir in einem Restaurant noch nie untergekommen. Soll das eine Video-Installation sein oder tatsächlich ein Gericht? Für mich ist das einfach nur befremdlich, manieriert und lächerlich. Wenn der Fisch dann noch wenigstens gut wäre… Ich bin sprachlos.

Das andere Fischgericht, mit Wolfsbarsch, kommt zumindest auf einem herkömmlichen Teller, ist jedoch so trostlos, dass ich auch hiervon etwas übrig lasse.

Das scheint Herrn Arzak allerdings nicht besonders zu gefallen. Er kommt erneut an den Tisch, will jetzt wissen, was Sache ist. Ich versuche mich abermals in Erklärungen; versuche, die Spannungslosigkeit und Qualitätsproblematik zu erläutern. Juan Mari verschwindet kommentarlos mit einem „dem kann man aber auch gar nichts rechtmachen“-Blick. Wie sehr er sich damit irrt!

Das Lamm mit – Achtung, Wortwitz – red-hot chilli peppers lässt sich wie folgt beschreiben: akzeptabel zubereitetes Fleisch in einem authentischen, aber zu simplen Arrangement mit Chilischoten, schwarzen Oliven und ein paar Rosenkohlblättern. Nicht beeindruckend.

Ein sonderbares Schokoladendessert ist dann eine der abscheulichsten Speisen, die ich je gekostet habe. Eine zerplatzende Sphäre gibt ein bitteres Extrakt frei, das einen Würgereiz auslöst. Es kann sich dabei eigentlich nur um Zyankali handeln. (Wer diese Zeilen liest, weiß jedoch, dass ich mich geirrt habe.) Natürlich kann ich davon nichts weiter essen.

Auch bei den weiteren Desserts wird kein Showeffekt ausgelassen. Mead and fractal fluid erzielt einen durchaus eindrucksvollen visuellen Effekt, verliert sich wenig später jedoch in Sinnlosigkeit, da das Ganze einfach über ein anderes merkwürdig krümeliges Dessert gegossen wird. Aus der fraktale Traum.

Die Pralinen – hier „Eisenwarenladen“ („Ferretería“) genannt – fügen sich nahtlos ein ins Bild einer gekünstelten, von Effekthascherei erfüllten Küche ohne Produkthighlights und Wohlgeschmack. Die „Schlüssel“ und „Schrauben“ – zumindest die wenigen Stückchen, die ich davon abbeiße – schmecken wie billigste Industrieschokolade. Außerdem: was haben Brombeeren und Anis in einem Eisenwarenladen zu suchen? Nein, danke. Ich wollte auch gar nicht in einen Eisenwarenladen, sondern in ein Restaurant.

In dieses jedoch ganz bestimmt nicht mehr.

Ganz gleich, mit welchen gastronomischen Errungenschaften, die ich nicht anzweifeln möchte, die Arzaks sich ihre Reputation aufgebaut haben: das heutige Menü verdient keinerlei Auszeichnung, sondern einen Warnhinweis. Dieser sei hiermit erteilt.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Arzak (→ Website)
Chef de Cuisine: Juan Mari Arzak
Ort: San Sebastián, Spanien
Datum dieses Besuchs: 22.03.2012
Guide Michelin (ES 2012): ***
Meine Bewertung dieses Essens 5 (Was bedeutet das?)