Locks Brasserie – sei es Iren gegönnt!

In einer unscheinbaren Gegend an einer ebenso unscheinbaren Straßenecke in Dublin befindet sich ein gemütliches, pulsierendes Restaurant mit Gästen unterschiedlichster Couleur. Mit einem Sakko ist man hier schon fast overdressed. (Wobei das fälschlicherweise impliziert, dass sich hier irgendwer um die Kleidung Anderer schert.)

Das Ambiente ist schlicht, der Geräuschpegel angenehm lebendig. Es ist genau die Art von Restaurant, die man sich für den Alltag in seiner Nähe wünscht – und in Deutschland wohl niemals finden wird.

Bevor ich mich der Essensauswahl widme, lassen wir am Tisch schon mal zwei Flaschen öffnen: einen 2009 Chablis Grand Cru Vaudesir von der Domaine Droin und einen 2009 Côte Rotie von Stéphane Ogier. Bei dem umfangreichen Weinangebot (vom Glas zu € 6,50 bis zum 1990er Mouton Rothschild zu € 650) kann hier wirklich jeder fündig werden.

Nach dem ersten Schluck des knackigen Chablis schlage ich die in Leder eingebundene, zweiseitige Speisekarte auf. Diese strotzt nur so vor lecker klingenden Gerichten zu, seien wir ehrlich, geradezu hinterhergeschmissenen Preisen. Die Vorspeisen kosten zwischen sieben und vierzehn Euro, die Hauptgerichte liegen fast alle unter € 30.

Und was man dafür bekommt, ist nicht weniger als sensationell!

Mein Warm Trout Salad (€ 13,50) besteht aus Tranchen von lauwarmer Meerforelle, herrlich marmoriert und in Olivenöl pochiert. Dazu gesellen sich Radieschen (knackige Textur), konfierter Fenchel (angenehme Süße), Kapern (saurer Gegenpol) und Nektarine und Kardamom in einem genial ausbalancierten Verhältnis: Der gehaltvolle Fisch bleibt stets im Mittelpunkt der Wahrnehmung, wird aber durch eine feine Süße und ein hinreißendes Säurespiel unterstützt. Ich bin begeistert!

Da meine Neugier meist ebenso groß ist wie mein Appetit, wählte ich gleich zwei Vorspeisen. Die zweite folgt jetzt in Form von Grilled Smoked Haddock (€ 13,50), also gegrilltem Räucherschellfisch. Das Filet von makelloser Qualität wird in einer waldigen, angenehm säuerlichen Consommé aus Pilzen und karamellisierten Zwiebeln serviert, dazu gibt es ein 60-Grad-Ei und junge Bohnen. Herzhaft, süffig und schnell verputzt.

Weiter geht’s mit meinem Hauptgang, Slow-Cooked Lamb Rump (€ 27,50). Perfekt rosa gegartes, zartes Lamm-Rumpsteak ist dort gebettet auf sommerlich frischem Gemüse (u. a. Bohnen, Zucchini, Karotten, Tomaten, Zwiebeln, gegrillte Artischocke), dazu gibt es einen leichten, herzhaften Sud. Ganz wunderbar, wie hier ein potenziell mächtiges Gericht für den Sommer zubereitet wurde! Hätte man mir das bei Alain Ducasse serviert, hätte ich ähnlich geschwärmt. (Gut, es gibt tatsächlich noch denkbare Qualitätssteigerungen beim Lamm, aber das ist Makulatur.) Bevor ich genussvoll in diesen Teller abtauche, erblasse ich noch einmal kurz vor Neid, dass man hier in Dublin so wunderbar unbeschwert und exzellent genießen kann. Das hat in Deutschland einfach noch (fast) niemand verstanden, weder Gäste noch Gastronomen. Man überzeuge mich vom Gegenteil, angefangen bei mir in Hamburg.

Und weil es so gut war und noch nicht aufhören soll, ordere ich noch einen Gang: Cod, Carrot & Coriander (€ 25). Auch dieses Gericht ist hervorragend. Das schneeweiße Kabeljaufilet ist perfekt goldbraun angebraten, dazu gibt es verschiedene Gemüse (Karotten, Frühlingszwiebel) und ein „Koriander-Dressing“. Durch eine fein justierte Süße, deren Quelle ich nicht genau ausmachen kann, bekommt das Gericht eine sehr originelle Note. Wohlgeschmack pur, hinsichtlich der Güte der Zutaten und der souveränen, von jedem Firlefanz befreiten Komposition.

Das Dessert fällt lediglich flüssig aus (in Form eines offenen Monbazillac, € 6), wobei ich keine Zweifel habe, dass auch die Süßspeisen (auf separater Karte) hier köstlich sind.

Mein Fazit ist eine Mischung aus 80 Prozent Freude über die Entdeckung dieses kleinen Restaurantjuwels und 20 Prozent Frust, in ein Land zurückzukehren, bei dem unbeschwerter Genuss in dieser Form unbekannt ist. Dass die Deutschen nicht schon längst den Großteil ihrer Gastronomie boykottieren ist eigentlich ein Skandal und zeugt sowohl von der überwiegenden Anspruchslosigkeit an Produktqualität als auch vom allgemeinen Unverständnis, was eigentlich gutes Essen ist.

Doch jeder bekommt bekanntlich das, was er verdient, und die Iren verdienen offenbar eine Locks Brasserie. Gönnen wir es ihnen!

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Locks Brasserie (→ Website)
Chef de Cuisine: Keelan Higgs
Ort: Dublin, Irland
Datum dieses Besuchs: 12.07.2013
Guide Michelin (GB/IRL 2013): *
Meine Bewertung dieses Essens 7 (Was bedeutet das?)