NAHA – nur näher dürfte es sein

Natürlich waren die kulinarischen Erlebnisse im Next und Alinea beeindruckend. Aber eines der Restaurants, die mich ganz besonders für die Gastronomieszene in Chicago schwärmen lassen, ist das NAHA, das ich an diesem Freitagmittag ohne jegliches Vorwissen besuche.

In einem großzügigen Eingangsbereich, in dem sich auch eine Bar befindet, werde ich freundlich empfangen und zum Tisch geführt. Der ziemlich große Speisesaal mit dunklem Holz und weißen Tischtüchern ist schlicht und geradlinig; mannshohes knorriges Geäst in langen Kästen dient hier und da als Raumtrenner. Von der Ecke Clark Street/Illinois Street flutet Tageslicht durch eine große Fensterfront hinein.

Trotz aller Sachlichkeit fühle ich mich hier sofort wohl, was unter anderem einer Mischung aus entspanntem Personal und ebensolchen Gästen geschuldet ist. Das Publikum ist bunt gemischt, von Geschäftsleuten in Anzug über bei Champagner lebhaft diskutierenden Freundinnen bis zu einem älteren Paar, die alle offenkundig eines vereint: Freude an unbeschwertem Genuss.

Ein Blick in die Speisekarte offenbart in der Tat köstlich klingende Gerichte im Stil einer häufig New American Cuisine genannten Mischung aus mediterranen und amerikanischen Einflüssen. Auch die Weinkarte lässt mein Herz höher schlagen: Während sich in unseren Breiten – versprochen, es bleibt das einzige Deutschland-Bashing in diesem Artikel – oben beschriebene Freundinnen vermutlich eine Weißweinschorle oder, im besten Fall, „einen Sauvignon“ bestellt hätten, wählt man hier in der glasweisen Auswahl zwischen sorgfältig und äußerst sachkundig ausgewählten Weingütern aus Burgund, Mosel, Moulis-en-Médoc, Santa Barbara u. v. m. Ich bestelle erst mal ein Glas Au Bon Climat Chardonnay ($14) und stöbere in der Speisekarte, die ein Drei-Gänge-Menü für sagenhafte zweiundzwanzig Dollar (ca. € 17) offeriert. Dafür bekomme ich in Hamburg nicht mal einen Gang, egal wo. (Ja, ja, ich höre ja schon auf.)

Um mich herum werden die süffigsten aller süffigsten Gerichte aufgetischt: Angus Beef Burger mit herrlich duftenden, hand-cut Idaho potato fries und crispy onions; BLT-Sandwiches mit slow roasted bacon

Und ausgerechnet hier versuche ich mich – in Hinblick auf meine Reservierung im Next am Abend – in etwas Mäßigkeit und probiere als Vorspeise Cannelloni mit Spinat, Schafsmilchricotta, Kirschtomaten, Zuckerschoten und frisch gepresstem Tomatensaft. Unglücklicherweise ist das vermutlich das langweiligste der zig Gerichte, die ich hätte wählen können, und es fehlt auch etwas Salz, aber dennoch zieht mich der Teller auf seine Seite. Keine große Kochkunst, ganz klar, aber ebenso deutlich aus frischesten Zutaten und ohne viel Brimborium zubereitet. Ich habe einen solchen Teller, bei dem vielleicht jemand etwas nachlässig mit der Würzung war, der dafür aber gute Zutaten beinhaltet, erheblich lieber als einen teuren Teller in mäßiger Qualität. Und wohlbemerkt sprechen wir hier über ein Gericht für umgerechnet acht Euro fünfzig.

Etwas nachsalzen muss ich auch den Loup de Mer, der wunderbar mediterran mit Bohnen, Lauchpüree, gerösteten Artischocken, Topinambur und gerösteten schwarzen Oliven daherkommt. Aber schon eine kleine Prise Meersalz bringt die Köstlichkeit dieses kleinen Gerichts voll zur Geltung. Die Produkte sind makellos und präzise à point, man sieht und schmeckt die Sorgfalt, die in die Zubereitung dieses feinen Tellers geflossen ist. Sehr gut! Dazu passt der köperreiche Martinelli Chardonnay ($22), den ich mittlerweile im Glas habe.

Auf hohem Niveau bleibt auch das Dessert, Meyer Lemon and Almond Tart mit pochierten Blaubeeren und Eis von weißer Schokolade. Reichhaltig und schmackhaft! … Und schon leer, der Teller.

Das NAHA bietet eine unaffektierte, sehr gute Küche; exzellente Produkte; eine vielfältige Auswahl; freundliches, unkompliziertes Personal; eine angenehme Atmosphäre; günstige Preise sowie eine leidenschaftliche Weinkarte für alle Budgets. Was in aller Welt könnte irgendein Genießer hier bemängeln? Richtig: die Entfernung.


PS: Küchenchefin und Inhaberin Carrie Nahabedian betreibt das NAHA zusammen mit ihrem Cousin Michael Nahabedian. Beide haben gerade ein weiteres Restaurant in Chicago eröffnet, das Brindille. Ich habe an einem anderen Abend einen kurzen Blick hinein und in die französisch geprägte Speisekarte geworfen – äußerst überzeugend! Der Stern wird auch dort bestimmt nicht lange auf sich warten lassen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: NAHA (→ Website)
Chef de Cuisine: Carrie Nahabedian
Ort: Chicago, USA
Datum dieses Besuchs: 26.07.2013
Guide Michelin (CHI 2013): *
Meine Bewertung dieses Essens 6,9 (Was bedeutet das?)