Aqua – beide Menüs bitte!

Ich besuche Restaurants nicht, um sie zu testen. Ich besuche Restaurants in der Hoffnung, gut essen zu gehen. Und dass im Aqua diese Hoffnung regelmäßig übererfüllt wird, weiß ich bereits von meinen vorherigen Besuchen dort.

Und so wie manche Leute regelmäßig bei ihrem Lieblingsitaliener einkehren (weil es dort so gut schmeckt und Sandro so ein netter Kerl ist), mache ich mich eben ein, zwei Mal im Jahr – also auch regelmäßig – auf den Weg ins lediglich zwei Stunden von mir entfernte Wolfsburg (weil es dort so gut schmeckt und Sven so ein netter Kerl ist). In Anbetracht der Reisen, die ich sonst zu Restaurants unternehme, ist die entspannte Fahrt dorthin ein Katzensprung.

Meiner Heimatstadt Hamburg kehre ich ohnehin immer häufiger den Rücken zu, wenn es um die Frage geht, wo man dort gut essen gehen kann. Meinen Suchradius habe ich schon längst um zwei-, dreihundert Kilometer ausgeweitet. In Hamburg kann man in Berlin ganz gut essen, hört man mich häufiger mal sagen – oder eben in Wolfsburg, wenn man es mal wieder richtig krachen lassen möchte.

Ein paar Tage zuvor hatte ich mir schon die Freude gemacht, die Speisenfolge zusammenzustellen und sie dem Aqua mitzuteilen. Zwar ist das Restaurant ohnehin sehr flexibel, aber die Auswahl schon im Voraus zu treffen bringt zusätzliche Entspannung für beide Seiten.

Ich habe mir nicht gerade wenig vorgenommen: Aus beiden Menüs („Impressionen“ und „Visionen“) bilde ich eine Schnittmenge, die sich auf zehn üppige Gänge beläuft – zuzüglich der „Einstimmungen“, dem „süßen Finale“, der Pralinen und sogar noch einem Käsegang.

Um kurz nach sieben nehme ich dann im erst kürzlich neugestalteten Restaurant Platz. Ein großer Kronleuchter, dessen „organisch geformte Glaskörper Assoziationen an mysteriöse Tiefseebewohner wecken“ (so der Pressetext), ist – neben dem Verschwinden der säulenförmigen Raumtrenner – die auffälligste Neuerung. Insgesamt wirkt das Aqua durch verschiedene Überarbeitungen moderner und klarer, und nach wie vor sachlich. Doch inmitten der Hightech-Umgebung Autostadt ist Sachlichkeit immerhin auch ein Ausdruck von Authentizität.

Zufrieden über diese Folgerung – und über mein Glas Dom Pérignon 2004 – richtet sich mein Blick nun auf die ersten eintrudelnden Amuse-Bouches („Einstimmungen“).

Die kulinarischen Miniaturwunderwelten zu Beginn jedes Aqua-Menüs begeistern auch heute. Die karamellisierte Kalamata-Olive – ein Evergreen – erscheint mir besser denn je, obwohl eine Steigerung hier eigentlich nicht möglich ist. Eine hauchdünne, knusprige (und gar nicht klebrige!) Zuckerschicht ummantelt eine lauwarm temperierte, intensiv aromatische Olive und ergibt einen der gaumenschmeichlerischsten Snacks überhaupt. Das nächste Mal möchte ich ein Dutzend davon, liebes Aqua-Team.

Die kleinen Röllchen sind Kartoffel, Liebstöckel, Ricotta; Couscous, Quitte, Curry sowie Königskrabbe, Karotte, Ingwer. Wenngleich diese Kreationen bei mir nicht dieselbe Euphorie auslösen wie die miniaturisierten Klassiker Toast Hawaii, Currywurst oder Labskaus, setzen sie dennoch Maßstäbe für Amuse-Bouches, bei denen sich Qualität und Handwerk auf höchstem Niveau befinden.

Von zwei Süppchen – Maronencreme & Portwein sowie Feldsalat-Velouté & Steinpilzschaum – kann mich letztere etwas mehr begeistern, so wie auch ein wunderbar mediterran anmutender marinierter Tintenfisch mit Gemüsecreme „Mechouia“.

Sensationell ist dann „Unser Burger ‚Hong Kong Style‘“, ein an Herzhaftigkeit und Saftigkeit kaum zu überbietender Geniestreich. Zwischen den Brötchenhälften befinden sich Eisbergsalat, marinierter Rettich, eine asiatisch abgeschmeckte Mayonnaise, Barbecuesauce (natürlich alles hausgemacht) und dreißig Stunden sous-vide gegarter Schweinebauch.

Elverfeld demonstriert damit wieder einmal eindrucksvoll, dass keine Speise von sich aus verpönt sein kann (hier: Burger), solange sie gut zubereitet wird. Aber das ist für Genussmenschen ohnehin keine Neuigkeit.

Dass es sich im Aqua jedes Mal von Neuem lohnt, so ausführlich über die Amuse-Bouches zu berichten, ist ohnehin beachtlich.

Der erste Gang meines Menüs ist dann roh marinierter Hamachi mit Charentais-Melone, Kopfsalat, Mandel und Ei. Das Gericht gefällt wegen der sehr hohen Produktqualität der Makrelenart und hinterlässt einen kühl-frischen Eindruck am Gaumen. Sehr gut, wenngleich ich den Fisch gerne in einer noch natürlicheren Form genossen hätte, wie bspw. beim unvergesslichen „La Pelamide“ von Gérald Passédat.

An die hohe Produktqualität knüpft der nächste Gang an: (perfekt gebratene) Jakobsmuschel à la plancha & Gänseleber; dazu gibt es Linsen mit asiatischer Würze, Sesam und Pak-Choi. Auch dieser Teller ist qualitativ makellos und auch geschmacklich gelungen, doch ich vermisse Außergewöhnliches. Zu Recht, denn Elverfeld kann mitunter so geniale Gerichte komponieren wie den nächsten Gang.

Die Bachforelle aus der Lüneburger Heide (butterzart und mit einem Eigenaroma, das fast schon kitschige Assoziationen an einen glasklaren, plätschernden Bach im Frühling hervorruft) wird mit einer lauwarmen Vinaigrette serviert, verschiedenen Kräutern, Kartoffeln „Alte Sorten“, und „Rauch-Fumet“. Der regionale Fisch ist von noch besserer Qualität als das von viel weiter her beschaffte Meeresgetier der ersten beiden Gänge. Das ist zwar nicht zwangsweise so, demonstriert aber eindringlich, wie kulinarisch sinnvoll Offenheit gegenüber grundsätzlich guten Produkten ist – gerade, wenn diese aus der Umgebung stammen. Zusammen mit dem verführerischen Säurespiel der Vinaigrette ist dieser Teller schlicht grandios!

Weiter geht es mit Kabeljau mit geschmolzener Sülze vom Kalb, dazu braune Butter, Blumenkohl und Perlzwiebeln. Auch dieser Fisch ist in Perfektion gegart und ergibt in Kombination mit der üppigen Buttersauce ein herrlich dekadentes Gericht, dem es einfach nur an ein bisschen Fleur de Sel fehlt. Aber da hat der Gast mal wieder gut reden … In Summe exzellent!

Vom Genuss nur unwesentlich zu steigern ist dann wieder Kaisergranat & Kalbsschwanz-Confit mit geschmorter roter Bete, Mark-Emulsion und Chicorée. Das Surf and Turf besticht durch außergewöhnliche Produkte, präzises Küchenhandwerk und eine wunderbar süffige Sauce. Soul food par excellence!

Sehr gespannt bin ich – der eher selten verwendeten Zutat wegen – auch auf Lammzunge & pochierte Wachteleier. Weitere Zutaten sind Topinambur, Parmigiano Reggiano und weißer Trüffel. Das schmeckt dann auch genauso wie es sich liest: wunderbar „sämig“ und schmackhaft und so richtig schön zum Schlemmen geeignet.

Häufiger auf der Karte, aber immer etwas variiert, findet man das Iberico-Schwein. Hier kommt es als „Secreto“ und wird serviert mit geräuchertem Rettich, schwarzem Knoblauch und Misosud. Sehr gut, aber um mit einem Fleischgang ganz oben mitzuspielen, bedarf es dann schon einem Gericht wie dem folgenden.

Doch vorher gibt es noch das fast schon obligatorische Champagner-Crème-Sorbet, hier in Form einer Werbeveranstaltung für das Champagnerhaus Ruinart, das offenbar für alles gesorgt hat: Korken, Flaschenboden, Holz … Imponieren kann mir ein solcher Manierismus nicht, doch das Sorbet an sich ist, wie immer, ganz wunderbar.

Nach der kleinen Werbeunterbrechung geht es dann phänomenal weiter:

Altmärker Rehrücken mit Savora-Senf & Wildsalami, dazu Steckrübe und Palmkohl entpuppt sich als eines „meiner“ besten Fleischgerichte! Die selten verwendete Kohlart erinnert an Grünkohl, ist aber etwas milder (feiner) im Geschmack. Das Fleisch ist makellos, die Sauce hervorragend, und die verschiedenen Texturen bringen zusätzliche Spannung ins Spiel. Großartig! Wie bisher übrigens jeder Wildgang im Aqua.

Den Auftakt der Desserts macht Mandarine mit Kürbis, Quark & Lakritz, das zunächst durch die auffällige Präsentation hervorsticht. Wie auch schon bei einem Apfeldessert von der damaligen Patissière Nadja Hartl, ist auch hier die Mandarine nur eine optische Täuschung. Tatsächlich handelt es sich bei der verblüffend echt aussehenden Frucht um eingefärbte weiße Schokolade, die mit einer Art Madarinenschaum gefüllt ist. Ein großer Freund von „mit Schäumen gefüllten Hüllen, die man aufbrechen muss“ bin ich zwar nicht, doch diese Komposition gefällt, besonders durch die unerwartet passenden pikanten Süßholz-Akzente vom Lakritz.

Tropische Früchte mit Früchtetee und Kokos gefällt mir wegen der süß-säuerlichen Frische, der Echtheit und der Abwesenheit von Schaum noch etwas besser.

Auf konstant gutem Niveau folgt das „süße Finale“ mit den drei Leckereien Umeboshi-Pflaume, dunkle Schokolade & Matcha; Pancake, Schafsjoghurt, Ahornsirup & Preiselbeeren sowie Hagebutte & Pistazie.

Und da ich mich nach viereinhalb Stunden so richtig schön „eingegessen“ habe, wähle ich noch ein bisschen Käse vom Wagen. Jimmy stellt mir eine exzellente Auswahl kräftiger, bestens gereifter Rohmilchkäse zusammen.

Liebhaber einer einfacheren Küche könnten beim Betrachten eines so vielfältigen Menüs unterstellen, es sei zu aufwändig, doch würde es die Person als Unkundigen entlarven. Elverfelds Küche ist geprägt von Souveränität, Feinsinn, Wohlgeschmack und einem immer gelungenen Gesamtpaket. All das macht die Besuche hier so wiederholungsbedürftig.

Und jetzt heißt es gute Nacht! In den ebenfalls modernisierten Zimmern lässt es sich ganz besonders gut schlummern.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Aqua (→ Website)
Chef de Cuisine: Sven Elverfeld
Ort: Wolfsburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 07.12.2013
Guide Michelin (D 2014): ***
Meine Bewertung dieses Essens 8,9 (Was bedeutet das?)