GästeHaus Klaus Erfort – puristisch, klassisch, wesentlich

Wenn ich sage, dass mir noch drei der elf Drei-Sterne-Restaurant in Deutschland „fehlen“, dann klingt das vielleicht etwas pragmatisch. Aber auch dieses Abhaken ist immer nur meiner Suche nach Genuss geschuldet, verbunden mit Reiselust. Der Guide Michelin macht das Auffinden solcher Ziele dabei zu einem Kinderspiel.

An diesem Januarwochenende möchte ich zwei weitere Häkchen setzen. Saarbrücken und Rottach-Egern heißen die nicht gerade benachbarten Orte – und GästeHaus Klaus Erfort und Restaurant Überfahrt Christian Jürgens meine tatsächlichen Ziele –, zu denen ich an diesem Freitag von Hamburg aus aufbreche. Ziemlich genau zweitausend Kilometer werde ich insgesamt dafür zurücklegen, und wer glaubt, das sei ein hoher Aufwand für zwei Essen, der liest meine Berichte vermutlich zum ersten Mal.

Dass ich dem Michelin gerne folge, ist ja hinlänglich bekannt. Dass mir jedoch ganz offensichtlich auch der Michelin folgt, ist eine überaus bemerkenswerte Auffälligkeit, die mich gleich zu Beginn meiner Reise optimistisch stimmt. Gesprächig war der Bib aber zu meinem großen Bedauern nicht.

In Saarbrücken angekommen, stehe ich am Abend dann schließlich vor der einladenden Tür einer weißen Stadtvilla, die das GästeHaus Klaus Erfort beherbergt. Ein Anbau mit Glasfront gibt bereits von außen spannende Einblicke in die Küche preis.

Der Kontrast zur Umgebung ist recht groß: von links strahlt die blaue Farbgebung einer großen Tankstelle an die Fassade, etwas weiter rechts schreien die Leuchtbuchstaben eines chinesisches Spezialitätenrestaurants um Aufmerksamkeit. Doch davon bekommt man im GästeHaus natürlich nichts mit.

Das Ambiente hier ist sachlich schlicht, die Tische etwas zu grell beleuchtet und das Publikum … nun ja, wir sind hier nicht gerade in einer Metropole. Und während sich der Sechsertisch links von mir offenbar große Probleme mit der Aperitifauswahl macht („haben Sie auch Gewürztraminer?“), genieße ich schon mal ein Glas perfekt temperierten 2004 Laurent-Perrier Brut.

Zunächst hatte ich damit geliebäugelt, à la carte zu bestellen, doch man bietet mir ein Überraschungsmenü an (€ 160), worauf ich mich gerne einlasse. Dies ist dann der Beginn einer wahrhaftigen Genussreise.

Nach einigen absolut deliziösen Petitessen („Les Délices“: Gurkengelee mit Imperial-Kaviar; Kräuterquark mit hausgebeiztem Lachs; Rote-Bete-Macaron gefüllt mit Gänsestopfleber; Krabbenchip mit roh marinierter Garnele und Curryschaum; kleines Pizzakissen gefüllt mit Tomatenmascarpone und Olive), folgt das „Goldene Ei“, gefüllt mit Kartoffelmousseline, pochiertem Wachtelei und Périgord-Tüffel. Alles ist ganz hervorragend! Meine Anspannung (das ist mein Normalzustand) löst sich allmählich. Aber natürlich muss es jetzt auch irgendwie weitergehen, aufregender noch, und da kehrt sie auch schon zurück, meine Anspannung. Schnell noch ein Glas von dem Laurent-Perrier.

Vor dem eigentlichen Menü folgen dann Garnelen und Gänsestopfleber. Die roh marinierten Krustentierchen, die man natürlich mitsamt ihres knusprigen Schwanzes verzehrt, passen mit ihrer Textur sehr gut zu dem Schmelz der Foie Gras. Etwas Limonenöl und zwei säurebetonte Saucentupfer komplettieren diesen Auftakt, der durch makellose Ingredienzen glänzt. Selbst der Einsatz von Garnelen, denen ich sonst in der Regel nur wenig abgewinnen kann, überzeugt hier auf ganzer Linie.

Aber ich mache mir so schnell auch nichts vor. Das war zwar alles hervorragend und auf höchstem Niveau, doch ein Grund, der für mich eine Reise rechtfertigt, muss noch folgen.

Er folgt auf dem Fuße. Und zwar in Form aller nun folgender Speisen, denen ich fast ausnahmslos jeweils zehn von zehn möglichen Punkten in meinen Notizen attestiere, was in dieser Form großen Seltenheitswert hat.

Nehmen wir zum Beispiel gleich die jetzt folgende roh marinierte Sankt Jakobsmuschel mit rosa Ingwergelee und Avocado. Das Zusammenspiel von Säure, leichter Schärfe, dem Biss der Jakobsmuscheltranchen und dem Schmelz der Avocado ist hinreißend. Und die Frische der Produkte pustet einem regelrecht eine kühle Brise ins Gesicht. Ein unfiltrierter Schaumwein aus dem Hause Chapoutier, der mir aus einer unetikettierten Magnum dazu ausgeschenkt wird, komplettiert das Erlebnis.

Ein Salat vom Taschenkrebs mit Pomelo, Haselnuss und Zitrusmarinade setzt dann das Säurespiel fort, das mit unglaublich viel Feinsinn auch in dieses Gericht eingearbeitet wurde. Das Erlebnis am Gaumen ist so gut, dass ich mein langsames Herantasten in kleinen Portionen schnell aufgebe und den ganzen Teller in zwanzig Sekunden leerputze. So muss lecker.

Doch selbst auf diesem hohen Niveau sind Steigerungen möglich, und zwar immer dann, wenn die Gerichte so grundlegend gut sind, dass sie eine Vorbildfunktion erfüllen. So bringt beispielsweise das nun kommende Gericht eine fundamentale Aussage mit sich: Einige wenige, handwerklich fehlerfrei zubereitete, Produkte von allerbester Qualität sind die einzigen Erfordernisse, um ein großartiges Gericht zuzubereiten.

Zunächst wird mir in einer großen gusseisernen Cocotte ein auf grobem Meersalz thronender, ausgelöster Kaisergranat präsentiert (Langoustine „Royale“). Einige Aromaten (Knoblauch, Chili, Thymian, Lorbeer u. a.) schmiegen sich daneben. Wenig später finde ich das prächtige Exemplar dann in der Mitte meines Tellers wieder. Daneben ein Arrangement von Artischocke, Rauke und geschmolzene Kirschtomaten, an dem sogar Alain Ducasse seine Freude hätte.

Keine Schäumchen, keine Schwämme, keine Röllchen, keine Gags. Stattdessen bringen ein triumphaler Kaisergranat mit einem Hauch Piment d‘Espelette, wunderbares Gemüse und ein säurebetonter Artischockenjus, den ich restlos leere, dieses Gericht zur Vollendung. Welch provokanter, delikater Purismus!

Der nächste Gang, Topinambur in Texturen mit Topinambur-Meerrettich-Sud, klingt dann zwar etwas verspielt – und sieht auch so aus –, doch auch dieser Teller ist herausragend und huldigt ein wohlschmeckendes, vielseitiges Gemüse. Der dazu à part gereichte Sud (kein Foto) ist so deliziös, dass ich mir das Elixier direkt aus dem Kännchen in den Rachen gieße. Vielleicht hätte ich vorher kurz daran nippen sollen – richtig heiß ist es nämlich auch noch. Ein großzügiger Schluck meines weißen Burgunders (Erzeuger nicht notiert) schafft Linderung, wo gar kein Leid war.

Und wer, wie ich, den Kaisergranat schon puristisch fand, der sehe sich mal das nächste Gericht an: Sankt Petersfisch mit geräucherter Auster, Pak Choi und Auster-Beurre-blanc.

Der marine Geschmack dieses frischesten Fischs wird hier ergänzt durch die jodige Aromatik der Auster. Passenderweise erscheint das in diesem Zusammenhang sonst vielleicht zu dominante Aroma der Muschel durch die Garung etwas abgemildert, wird aber wieder durch die samtige, leicht schaumig montierte Austern-Buttersauce wieder zurück ins Spiel gebracht. Die Sauce verhält sich damit wie eine Welle, die die Aromatik der beiden Meerestiere auf den Teller spült. Ein makelloses Gericht.

Auf die Zwischenfrage, wie es um meinen Appetit stünde, antworte ich: „Ich könnte den ganzen Abend so weiteressen“. Sowohl das Niveau als auch die Ganganzahl betreffend, scheint man diesem Wunsch scheinbar mühelos und mit Freude nachzukommen.

Kabeljau auf Kartoffelmousseline mit Périgord-Trüffel, Trüffelschaum und knuspriger Hühnerhaut ist der nächste Gang, bei dem Zusammenspiel von Produktqualität, Zubereitung und Wohlgeschmack sich auf höchstem Niveau befinden. Und diese Sauce … !

Als nächstes befindet sich auf meinem Teller ein ganz hauchdünnes Stück Schweineschwanz, dessen knusprige Kruste eines der wohl appetitanregendsten Geräusche verursacht. Das Fleisch darunter ist schmelzend zart, heiß und saftig, und wie gut die kleinen gegrillten Perlzwiebeln und eine würzig abgeschmeckte Auberginenzubereitung dazu passen, bedarf vermutlich keiner weiteren Ausführung. Als alles verbindende Element wird ein tief konzertierter, dank Chili, Ingwer und Koriander angenehm pikanter, Jus gereicht, erneut in einem eigenen Schälchen zum Nachgießen und abermals zum ausschlürfen gut. Ein Narr, wer auch nur einen Milliliter davon vergeudet.

Dazu passt ein würziger 2005 Côte-Rôtie „Les Rochains“ von der Domaine Patrick et Christophe Bonnefond.

Es ist rar, dass mich Fleischgerichte derart begeistern. Dass es dann gleich zwei in einem Menü werden, hat hohen Seltenheitswert.

Auf einem kleinen, aber glutheißen Tischgrill, wird mir als nächstes ein Entrecôte präsentiert – aus eigener Aufzucht und Reifung. Und als wäre der betörende Lagerfeuerduft, der den ganzen Raum erfüllt, nicht schon Grund genug zur Freude, spricht die charmante Dame aus dem Service das Wort „Entrecôte“auch noch richtig aus, mit hörbarem t in der letzten Silbe! Ich bin sprachlos ob dieser Vollkommenheit.

Auf den Teller gelangt das Stück (d. h. ein Teil davon) dann wenig später in dünnen Tranchen, mit jungem Lauch, einer mit Kartoffelcreme gefüllten karamellisierten Zwiebel und dicht eingekochtem, makellosem Rotweinjus.

Ein vollkommener Fleischgenuss dieser seltenen Art ist einer der Gründe, warum ich schon länger bewusst auf das meiste Fleisch verzichte. Das schont meine Nerven und das Tier. Gäste, die sich in diesen ganzen neumodischen Steakhäusern allenfalls mittelmäßiges Fleisch für 80 Euro andrehen lassen, sollten zur Kur einmal Fleisch wie dieses kosten.

Natürlich lasse ich auch eine Käseauswahl von Antony nicht an mir vorbeiziehen. Wenn schon Genuss, dann richtig.

Es folgt noch ein erdiges, frisches Pré-Dessert mit Artischocke, Balsamico und Petersilienjoghurt (sehr gut!), bevor ein Schokoladenbaum mit Himbeeren das Ende des Menüs einläutet. Die Schokoladenqualität ist ausgezeichnet, aber ein derart mächtiges Dessert überfordert mich jetzt doch ein wenig.

Verlockender sind dann noch die „Petites Sucreries die da wären: Mandarinen-Lolly, Nougat-Macadamia-Praline, gesalzene Erdnuss-Praline, Limone-Cassis-Praline, Himbeerschiffchen, kleine Madeleine, Heidelbeermacaron, Operaschnitte, Nuss-Joghurt-Kreation, Mousse au Chocolat. Ich koste alle. Alle sind köstlich.

Der Abend im GästeHaus Klaus Erfort ist zu Ende. Er war gewaltig. Ich habe hier eines meiner besten Essen in Deutschland genossen. Gerade auch, weil eine so produktnahe, klassisch französisch fundierte Küche für mich immer wieder ein ultimatives Maß an Genuss darstellt, war dieser Abend ein absoluter Volltreffer. Ich hätte nicht gedacht, an irgendeinem Tisch in Deutschland so zu essen. Erforts Produkte sind makellos, die Zubereitung perfekt und der Purismus souverän. Dort, wo sich viele von Erforts Kollegen in „Präzision“, Technik und Trends verrennen, bleibt er beim Wesentlichen. So ist auf der Website zu lesen, Erfort koche „nur mit einem Ziel: Damit es Ihnen schmeckt.“ Dieses Ziel wurde bei mir übererfüllt.

Als ich das Restaurant verlasse, ist der neue Tag gerade angebrochen. In neunzehn Stunden steht bereits die Reservierung bei Christian Jürgens in Rottach-Egern an. Was auch immer dort auf mich wartet – die Reise hat sich schon jetzt gelohnt.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: GästeHaus Klaus Erfort (→ Website)
Chef de Cuisine: Klaus Erfort
Ort: Sarbrücken, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 17.01.2014
Guide Michelin (D 2014): ***
Meine Bewertung dieses Essens 9 (Was bedeutet das?)