Blanca – so schräg, so gut, so New York

Alles fing vor einigen Jahren damit an, dass Küchenchef Carlo Mirarchi, Jahrgang 1980, in seiner Pizzeria Roberta’s in Brooklyn – zusätzlich zum regulären Betrieb – zwei Mal pro Woche kleine Degustationsmenüs servierte. Mittlerweile ist aus dieser Idee ein eigenes Restaurant im Hinterhof der Pizzeria geworden, das den Namen Blanca trägt und vorher eine Autowerkstatt war. Natürlich hat man dort am Anfang überhaupt keinen Tisch bekommen. Nur zwölf Plätze am Tresen in einer abgelegenen Ecke New Yorks, dazu ein stadtbekannter Koch und ein saftiges Preisschild von ungefähr zweihundert Dollar für ein Menü ohne Auswahlmöglichkeiten: all das ist für die ständig nach Neuem suchenden Gourmets New Yorks viel zu attraktiv, um sich nicht die Finger wund – und die Ohren heiß – zu wählen, um es bei dem aussichtlosen Reservierungsprozess nicht zumindest mal zu versuchen.

Inzwischen ist das alles entspannter geworden. Der erste Hype hat sich gelegt, und das Blanca akzeptiert Reservierungen jetzt auch bequem übers Internet, einen Monat im Voraus. Natürlich muss man auch dort schnell sein, aber ein Wählmarathon, wie etwa beim Chef’s Table at Brooklyn Fare oder Per Se fällt aus. Die Reservierungsbedingungen sind, wie in vielen der angesagten Restaurants New Yorks, sehr strikt und bleiben für europäische Gastronomen nur ein Traum: sieben Tage Stornofrist bei vollem Menüpreis, zwei seatings à drei Stunden, und wer nicht pünktlich kommt, verpasst eben einige Gänge. Mich würde interessieren, ob die dann trotzdem serviert werden; das fände ich amüsant.

Trotz ausreichenden Zeitpuffers für die überschaubare Strecke aus Downtown Manhattan hierhin nach Bushwick, Brooklyn, erscheine ich an diesem frühen Freitagabend mit dem Taxi nur eine Minute vor meiner Reservierungszeit vorm Restaurant. Zähflüssiger Verkehr strapazierte meine Nerven aufs Äußerste, dazu herrscht draußen eine unerträglich tropische Schwüle. Zum Glück gibt es hier überall Klimaanlagen.

In der angenehm lebhaften Pizzeria werde ich nett empfangen und durch den Hinterhof ins Blanca begleitet. Im Wesentlichen ist das eine große Halle mit einem Tresen und einer sehr geräumigen offenen Küche, die fast komplett aus Edelstahl besteht.

Der Tresen mit bequemen Lederhockern ist schon fast vollständig besetzt. Auf der anderen Seite agieren zwei junge Frauen im Service, beide in privater, legerer Kleidung. Weiter hinten kann man die werkelnden Köche beobachten, die bereits Verschiedenes präparieren, unter anderem eine gigantische Meeresspinne, die bei noch lebendigem Leib in aller Seelenruhe zerkleinert wird. Diese Tatsache hatte bereits bei meiner Vorberichterstattung auf Facebook für eine rege Diskussion gesorgt, auf die ich an dieser Stelle verweise, falls Fortsetzungsbedarf besteht.

Holzkohle glimmt im Hintergrund.

Bei einem Glas Champagner, das mir sofort eingeschenkt wird, atme ich tief durch und weiß schon in diesem Moment, genau richtig hier zu sein. Das puristische (fast karge), nur aufs Kochen und auf die Produkte fokussierte Ambiente, das entspannte Publikum, der lockere Service sowie die Vorfreude auf ein mir vollkommen unbekanntes Überraschungsmenü sind genau das, was ich in dieser Stadt suche!

Im Verlauf der nächsten drei Stunden werden zweiundzwanzig kleine Gerichte serviert ($ 195 netto), die nach dem Verständnis von Inhaber Mirarchi im Kontext der italienischen Küche zu verstehen sind. Betrachtet man die produktbezogene, pure Herangehensweise sowie diverse Pastagerichte im Menü (und, wenn ich böse bin, auch die Tatsache, dass für einen letzten Schliff die Finesse der französischen Küche fehlt), ist diese Einordnung durchaus nachvollziehbar.

Wie ausnahmslos alle Gäste heute folge auch ich der Wein- (oder besser: Getränke-)begleitung. In Restaurants dieser Art ist das meist eine gute Wahl. Bei uns zulande sind Weinbegleitungen ja eher im Verruf, mäßig zu sein – häufig leider zu Recht.

Das auf konstantem Niveau sehr gute bis hervorragende Menü ist dann das Folgende, das ich aufgrund des Umfangs nur kurz beschreibe.

Nut Curd – Pfirsich, Mandelcreme, Totentrompete (gut)

Glass Shrimp – Glasgarnele, Melone, Schlafmohn („melonig-meerig“, sehr gut)

Pancetta – ein makelloses Scheibchen (sehr gut)

Radishes – Rettich, Beten, Frischkäse, Tomatillo (gut)

Eggplant Ceviche – Aubergine, Yuzu, Schalotte (schöne Säure, hervorragend)

Wagyu Beef – mit Kaffir-Joghurt, Meerrettich (buttrig-zartes Fleisch, Holzkohlearomen, hervorragend)

Fluke – Flunder-Sashimi, weiße Gazpacho (gut)

Honeycomb – frische Mandel, Topinambur, Kapuzinerkresse (süß/salzig, hervorragend)

English Pea Soup – Erbsen, Kirsche, Amaranth (hervorragend)

Aged Mackerel – Makrele (gehobelt!), Blumenkohl (gut). Dazu wird ein außergewöhnlicher Wermut serviert: eine tolle Überraschung in dieser ohnehin unkonventionellen, sehr guten Getränkebegleitung!

Farfalle – mit Tomatenherz (sehr gut)

Plankton Agnolotti – überraschenderweise ganz hervorragend!

Nduja Ravioli – ein mit pikanter Salami gefüllter Raviolo (auch hervorragend!). Hier kann jemand definitiv exzellente Pasta kochen. Könnten ruhig noch ein Dutzend davon sein …

Salt-Roasted Potato – in Salz gebackene Kartoffel, Macadamia-Espresso-Jus (sehr gut)

King Crab – dass die Karkasse des guten Tiers am Ende auch noch als Behältnis für eine (wunderbare) Bottarga-Sauce dient, könnte man durchaus makaber nennen; oder auch würdevoll, schließlich zollt es dem Tier einen letzten Respekt. Wie auch immer man es nennt: ein ganz hervorragender Schmaus.

Bread & Butter – auch dies wird als Gang serviert und ist sehr gut.

Duck – wunderbar saftige Entenbrust, Heidelbeere, Rote-Bete-Mole (sehr gut)

Frozen Yoghurt – mit Ingwer und Gurke (pikant, kühl, sehr gut)

Lamb – gegrilltes Lamm, Minzgelee, Favabohnen (hervorragend). Da gibt es gleich noch etwas Nachschub!

Melon – mit Straciatella (gut)

Poblano Cake pikanter Kuchen, Tamarinde (sehr gut)

Smoked Ricotta – mit Pinienkernen; schmeckt wie Eis mit Holzkohlearoma (hervorragend)

Chocolate & Marshmallow – (gut)

Der Abend im Blanca hat mich in vieler Hinsicht begeistert, weil das Restaurant mit allen Konventionen bricht, derer ich bei uns zulande in Zusammenhang mit gehobener Gastronomie überdrüssig geworden bin. Hier strebt kein „junger, ambitioniert Koch“ nach Michelin-Sternen und lässt dabei den Genuss auf der Strecke; hier will niemand die Küche neu erfinden; hier kommt niemand hin, um gesehen zu werden; hier gibt es keine komplizierten Gäste, die eher wegen ihrer neurotischen Restriktionen essen gehen als wegen des Essens selbst; es gibt kein Tafelsilber; keine tolle Aussicht; keinen Küchenchef, der später seine Runden dreht …

Ins Blanca kehrt man ein, um die Freude zu erleben, sich sehr gut bewirten zu lassen – ohne Etikette, ohne Allüren und ohne Vorurteile. Was man dabei erlebt ist abwechslungsreich, wohlschmeckend und stark wiederholungsbedürftig. Schon jetzt ein klarer Favorit für mich in dieser aufregenden Metropole, die auch gastronomisch niemals schläft. Das ist New York!

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Blanca (→ Website)
Chef de Cuisine: Carlo Mirarchi
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 01.08.2014
Guide Michelin (NYC 2014): *
Meine Bewertung dieses Essens 7,5 (Was bedeutet das?)