DiverXO – über Frosch Erbrochenes

Xow, war das grauenvoll!

Madrids erstes Drei-Sterne-Restaurant seit fast zwanzig Jahren beschert mir an diesem Abend eines meiner denkwürdigsten Esserlebnisse … im negativen Sinn (wenngleich ich dem Abend an sich sowie dem Spaß, diesen Bericht zu schreiben, nichts Negatives abgewinnen kann). Dabei hat mir der aufwändig produzierte Trailer des Restaurants, der gerade in den sozialen Netzwerken die Runde macht, durchaus Hoffnung gemacht – von den höchsten Michelin-Weihen einmal abgesehen. In dem Kurzfilm wird eine spießig-verklemmte Tischgesellschaft darin belehrt, dass Essen durchaus Spaß machen kann, mehr noch, begeistern, aufwühlen und erregen kann. Das Überzeugende bei diesem Film ist vor allem die Botschaft, dass Essen allein in der Lage dazu ist, derartige Freuden auszulösen. Und wer mit seiner Küche für solche Werte einsteht, der verdient schon mal einen Besuch.

Umso erstaunlicher ist das schrille und um jeden Preis auffallen wollende Ambiente des Restaurants. Beflügelte Schweine, übergroße Ameisen und andere Fabelwesen schmücken inhaltsleer den Eingangsbereich, von dem aus man über eine Treppe nach oben den Speisesaal erreicht.

Dieser ist ganz in Weiß gestaltet und könnte auch als Filmkulisse für eine Star-Trek-Produktion herhalten, nur nicht ganz so stilsicher. Als Kontrast zu dem blendenden Weiß schwirrt überall in Rot und Schwarz uniformiertes Personal umher, das roboterartig ein Programm abspult, welches nicht Gastfreundschaft heißt. Selbst so etwas Banales wie Nettigkeit sucht man hier vergebens. Stattdessen blickt man in ausdrucksleere Gesichter, von denen die in Rot gekleideten auch noch alle dieselbe Brille aufhaben.

Man wird am Tisch platziert. Auf einer beschichteten Folie liegt dort bereits (wie lange schon?) irgendein vermutlich essbares Gebilde, und von der Decke hängt ein frittiertes Meerestier an einem Nylonfaden. Ist das Essen, Dekoration, oder kann das weg? Ich bin dabei, es herauszufinden.

Es gibt zwei Menüs. Schnell ist klar: das kleinere soll es werden (€ 140). Wobei: so schnell ist das gar nicht klar, denn das Personal hört überhaupt nicht auf zu reden und irgendetwas zu erklären. Das ganze Essen hier scheint überhaupt unglaublich erklärungsbedürftig zu sein.

Während jemand (immerhin mit Einweghandschuhen) die Kunststofffolie vor mir mit essbaren Klecksen und etwas Popcornartigem dekoriert und ununterbrochen redet, habe ich schon längst auf Durchzug geschaltet und esse dem „Anrichter“ einfach mal einen dieser Kleckse vor seien Fingern weg. Jetzt bin ich mal dran. Es ist schon halb zehn, und ich habe Appetit mitgebracht. Schmeckt nicht gut, so ein Klecks, irgendwie muffig; der Typ kann jetzt aufhören, Kleckse zu machen.

Eigentlich ist das jetzt schon kaum noch zu retten, außer vielleicht durch Kurt Felix, der neben dem immer noch über meinem Kopf baumelnden Meerestier auch an einem Nylonfaden herabschwebt und die versteckte Kamera enttarnt.

Aber Kurt Felix kommt nicht, sondern weitere Amuse-Bouches, die dem Thema Mais zugeordnet sind. Manches davon ist breiig, manches labbrig, alles recht geschmacksneutral. Man kann versuchen, irgendetwas Schmackhaftes ausfindig zu machen, aber wahrer Genuss ist kein homöopathischer Hokuspokus, sondern ganz real und unverkennbar.

Es folgt ein Gang mit Trüffeln und Tomate, das einzig gute Gericht des Abends. Könnte man glatt einen Stern dranheften.

Sieht der nächste Gang nicht wundervoll aus? Strahlend weißer Fisch, saftig zart und mittelfest, vorhin noch im Mittelmeer, jetzt auf dem Teller, dazu junge Gemüse und ein betörend duftender Sud … Oh, pardon, falscher Bericht. Vor mir auf dem Teller sind zwei plattgedrückte Frösche, die in Erbrochenem ertränkt wurden. Ja, wirklich!

Na gut, Scherz beiseite, es ist nichts von alledem, wobei Letzteres der Optik nach zu urteilen schon recht glaubwürdig ist, wie ich finde. Es handelt sich bei diesem unappetitlichen Teller um kokotxa, das sind Kiemenbacken vom Seehecht (eine mäßig interessante Delikatesse), mit einer dicklichen Sauce, die mich an reale Senfeier-Alpträume aus dem Kindergarten erinnert. Ich stochere nur kurz darin rum, probiere zwei Gramm und lasse den Rest stehen.

Aber es wird noch skurriler. Als nächstes wird man gebeten, aufzustehen und nach dem getrockneten Shrimp zu greifen, der seit geraumer Zeit über einem hängt. Wie das aussieht, zeigt das Foto von einem Nebentisch. Ich habe ernsthafte Bedenken, dass ich an einem Angelhaken ersticken werde. Wäre das nicht der gerechte Tod eines nimmersatten Essers auf der Suche nach Neuem? Die Rache des Küchenchefs für Gäste, die nicht artig aufessen, was auf den Tisch kommt. Doch der Köder kommt ohne Haken, schmeckt dafür aber auch nicht besser. Ein lächerliches Intermezzo mit dem prosaischen Titel Red shrimp with two simultaneous cooking styles, its soul in the center. Fried eggs and sticky smoked salmon. “Suquet-sudado” juice. Dieser Beschreibung nach zu urteilen fehlt da noch einiges an Zutaten …

… und die kommen auch schon in Form des nächsten Tellers, auf dem sich eine Geschmacksverirrung an die nächste reiht. Gut, in Spanien kennt man kein Hummergetier, also müssen ständig Garnelen herhalten – ich mag die überhaupt nicht –, aber immerhin ist hier noch ein Produkt erkennbar. Fast gierig verschlinge ich es. Immerhin bin ich schon eine Stunde am Tisch und habe fast noch nichts gegessen. Brot gibt es natürlich auch nicht, so etwas Klassisches passt hier nicht ins Konzept. Die anderen Zutaten auf dem Teller sind eine große kulinarische Katastrophe: alles klebt und ist pampig, ich habe selten etwas derart Abstoßendes probiert.

Der nächste Gang – die heißen hier übrigens canvas (Leinwand), als hätte das hier etwas mit Kunst zu tun – thematisiert zwei Variationen vom Iberico-Schwein. Eine davon ist erneut ertränkt unter einer klebrig-angedickten Sauce, die andere kommt als Tortilla, das man zusammenrollt um dann hineinzubeißen. Beides einfach nur belanglos.

Ich bin schon längst dazu übergegangen, die Gänge nur noch kurz zu probieren, ob unerwartet nicht doch etwas Essbares dabei ist. Dass ich überhaupt etwas auf einem Teller lasse, kommt sehr selten vor, und wenn, dann meist in Spaniens Spitzenrestaurants. Das letzte Mal passierte mir das so im Akelarre, Arzak und im El Celler de Can Roca, alles ebenfalls mit drei zu vielen Sternen bewertete Restaurants.

Der Chef, David Muñoz, taucht kurz im Hintergrund auf, beäugt unseren Tisch skeptisch aus dem Off und verschwindet wieder.

Und dann geht es weiter. Mit Erklärungen, wie man irgendetwas zu essen hätte, wo man beginnen soll, von links nach rechts, von oben nach unten, von Nord nach Süd, von Schwarz nach Weiß.

Das nächste Thema heißt Taschenkrebs. Diesen findet man einmal überbacken mit Ziegenkäse, umrandet von irgendeinem transparenten Spagetti, dann als frittiertes Teil, das erst später mit dem Hinweis „das gehört zusammen“ an den Tisch gebracht wird. Wenn es zusammengehört, warum wird es dann nicht auch zusammen serviert? Vielleicht, weil das frittierte Ding so nach Frittenbude stinkt, dass es einem schon viel früher den Appetit verdorben hätte.

Was noch alles als nächstes kommt, möchte ich gar nicht mehr im Detail beschreiben. Interessierte Leser können versuchen, dies aus der kryptischen Menükarte zu entziffern, die so aussieht als hätte man dem Küchenchef alle seine Fehler rot angestrichen, dabei kam sie schon so an den Platz.

An einem anderen Punkt des Menüs wird man erneut gebeten aufzustehen, dies mal um mit einem Löffel gefüttert zu werden. Wir protestieren, und nur mit Mühe lassen sich die Kellner den Löffel aus der Hand nehmen. Vielen Dank, aber danke, nein: für devote Spielchen bin ich hier nicht eingekehrt.

Ich weiß gar nicht genau, auf wen ich hier mit dem Finger zeigen soll: dem Restaurant, welches durch seinen immerhin bemerkenswerten Trailer arglistig täuscht und Gäste unter falschem Vorwand zu sich lockt, oder auf den Guide Michelin, der mit dieser unter keinen Umständen nachvollziehbaren Bewertung eigentlich für den Preis dieses Fiaskos aufkommen müsste. Ich zeige einfach auf beide – und erfreue mich an der Tatsache, einen immerhin unvergesslichen Abend gehabt zu haben. Das ist auch nicht alltäglich.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: DiverXO (→ Website)
Chef de Cuisine: David Muñoz
Ort: Madrid, Spanien
Datum dieses Besuchs: 17.12.2014
Guide Michelin (E/P 2015): ***
Meine Bewertung dieses Essens 5 (Was bedeutet das?)