Guy Savoy – Umzugsschwierigkeiten

Guy Savoy ist mit seinem Flaggschiff-Restaurant aus der Rue Troyon umgezogen – in ein Museum. Dieser Schritt signalisiert jedoch nichts Museales. Im Gegenteil: Savoy ist gastronomisch nach wie vor äußerst umtriebig. An seinem ehemaligen Standort betreibt der 62-Jährige nun zusammen mit Küchenchef Clément Leroy das neue Spitzenrestaurant Etoile sur Mer sowie, gleich gegenüber, das äußerst empfehlenswerte Austernlokal L’Huîtrade. Und mit der Eröffnung des Ladens Goût de Brioche widmete Savoy seiner legendären Süßspeise gleich ein ganzes Geschäft. Dies und mehr.

Als ich vor etwas über drei Jahren zum ersten Mal in Savoys Stammhaus war, erlebte ich eine hervorragend reduzierte Produktküche, die früher oder später nach einer Wiederholung schrie. Der Umzug des Restaurants in die inzwischen in ein Museum umfunktionierte alte Münzprägerei am Quai de la Monnaie direkt an der Seine war ein guter Anlass dafür.

Dass sich Savoy für die neue Herberge seines Restaurants gleich einen Palast ausgesucht hat, wirkt allerdings selbst für Pariser Maßstäbe übertrieben. Tritt man ein, weist einem ein Sicherheitsmensch in schwarzer Montur den Weg nach oben über breite Treppen mit rotem Teppich zum eigentlichen Eingang des neuen Restaurants.

Im Restaurant selbst herrscht ein ungemütlicher Kontrast zwischen dunklem Interieur (graue Wände, dunkelgraue Sessel, viel Schwarz) und punktueller, kühler Beleuchtung durch Spots. Tagsüber ist der Saal durch die großen Fenster bestimmt wunderschön durch das von der Seine kommende Licht ausgeleuchtet, aber an einem dunklen Winterabend wie heute wirkt dieser Saal (es gibt mehrere) nicht sehr einladend.

Skurril sind auch die zwei großformatigen Bilder, unter denen ich speisen soll, die zwei rauchende junge Männer (oder ist es derselbe?) in Anzug zeigen, die so ähnlich aussehen wie der Sicherheitsmensch, der mich vorhin die Treppe hinaufgeführt hat.

Der eine von beiden hat eine Zigarette im Mund und starrt mit ernster Miene nach vorne, der andere hält die Fluppe in einer femininen Handhaltung nach oben und blickt den Betrachter lasziv an. Die Bilder haben ungefähr dieselbe vulgäre Ausstrahlung wie Daniel Craig als James Bond. Es gibt ohne Zweifel eine Klientel, die das toll findet, ich gehöre auf jeden Fall nicht dazu und fühle mich dadurch merkwürdig fehl am Platz.

Wie dem auch sei. Ich habe all die schönen Gerichte meines letzten Mahls im Kopf und stöbere mit diesem Wissen mit Vorfreude in der Karte. Irgendwann steht eine viergängige Auswahl.

Zum Aperitif gibt es Savoys klassische Toastecken mit Foie Gras, an denen es nichts auszusetzen gibt, dann eine schaumige Kartoffelsuppe sowie ein paar nichtssagende Tartelettes, unter anderem mit Champignon. Ein eher schwacher Auftakt für ein Restaurant dieses Niveaus.

Mein erster Gang hört auf Taschenkrebs „Graffiti“ in zwei Gängen (€ 87). Gang eins von zwei ist ein eigenartig dekorierter Teller mit einer geschmacklich recht eleganten, säuerlich frischen Komposition aus Taschenkrebsfleisch und roter Bete. Ein dazu serviertes lauwarmes Küchlein mit einem weiteren Betegemüse macht Freude, ist aber alles weit entfernt von berauschend.

Gang zwei von zwei ist fast dasselbe: es gibt Taschenkrebs und rote Bete. Dazu wird dann ein ockerfarbener Jus angegossen, der so stechend riecht als hätte man Sardellen und Krustentierkarkassen in Terpentin ausgekocht. Genauso scheint es auch zu schmecken. Mehr als ein paar Gabeln bekomme ich davon nicht herunter. Ein in jeder Hinsicht misslungenes Gericht, bei dem man sich fragt, wie es die Küche eines Drei-Sterne-Restaurants verlassen kann. Ich merke meine Kritik an, und wenig später serviert man mir eine Alternative. Das ist eine nette Geste, die selbst in Spitzenrestaurants längst nicht selbstverständlich ist.

Ein warmes Gericht mit Pilzen und Austern ist ein schöner Ausgleich. Es duftet herzhaft nach Wald und Erde und schmeckt sehr gut. Doch auch nach diesem Gericht habe ich in diesen Räumlichkeiten noch immer nichts wirklich Außergewöhnliches zu mir genommen.

Der folgende Gang ist ein Klassiker, den ich bereits von meinem letzten Besuch kenne. Bei dem Gericht wird ein Stück Lachs von fabelhafter Qualität über Trockeneis „angebraten“ und dann mit einer heißen Consommé mit australischer Zitrone aufgegeossen (saumon « figé » sur la glace, consommé brûlant, « perles » de citrons, € 83). Durch den hohen Temperaturunterschied und die Säure erhält der Fisch eine zarte, fast zersetzte Textur.

Das puristische Gericht ist sehr elegant, doch erst beim Vergleich zu den Fotos meines letzten Besuchs wird mir klar, warum mich dieses Gericht damals mehr überzeugen konnte als heute: anstatt die heiße Consommé nur um den Fisch herum anzugießen, was ihn langsam von unten garen lässt und man dadurch ein interessantes Spiel zwischen der natürlichen und langsam garenden Textur erleben kann, wurde die heiße Brühe heute direkt über den Fisch gegossen, was ihn sofort fertig garen ließ. Zudem ist das Stück heute auch noch dünner geschnitten, was zu einer noch schnelleren Garung führt. Eine kleine Abweichung in der Zubereitung, die aus einem meisterhaft nuancierten Gericht ein „nur noch“ sehr gutes macht.

Ein weiterer Klassiker aus Savoys Küche ist die Artischockensuppe mit schwarzem Trüffel und altem Parmesan, die mit einem Preis von € 97 eigentlich unverschämt hoch bepreist ist, aber sie ist und bleibt auch unverschämt gut. Zu der dichten, heißen und erdig duftenden Suppe gibt es dann noch ein Stück von Savoys hervorragender, noch ofenwarmer, Brioche, auf die man eine ebenso hervorragende Trüffelbutter streicht und am besten in die Suppe tunkt. Große Produktküche.

Weiter geht’s mit einem Stück auf der Haut gebratenen Wolfsbarsch, der mit einer Sauce serviert wird, die behutsam mit Vanillearomen spielt (bar en écailles grillées aux épices douces, € 115). Totentrompetenpilze und Algen balancieren das Geschmacksbild raffiniert aus. Interessant: auch dieses Gericht kannte ich von früher (was ich beim Bestellen vergessen hatte), empfand die Süße der Vanille damals jedoch als zu dominant. Erneut beobachte ich eine feine Nuance beim gleichen Gericht, die in diesem Fall ganz zu seinem Vorteil ist. Die Qualität des heißen, perfekt gegarten Filets ist zudem über jeden Zweifel erhaben.

Doch ich bin enttäuscht. Zwei Stunden ist das Essen schon in Gange, und die „Genussausbeute“ ist für ein Drei-Sterne-Restaurant (in Paris!) die geringste, die ich je hatte. Völlig verpatzte Gerichte (Taschenkrebs), Fehler bei der Zubereitung (Lachs) und die unwirtliche Atmosphäre möchten mich eigentlich nur noch gehen lassen.

Trotz allem probiere ich noch eines der Desserts. Der Millefeuille « minute » à la gousse de vanille (€ 47) reißt das Ruder jedoch auch nicht herum. Der trockene Turm aus Blätterteig und etwas Vanillecreme ist kaum essbar und endet als krümeliges Gemetzel auf dem Teller.

Schadet Savoys gastronomische Expansion etwa der Küche seines Stammhauses? Sind es nur Startschwierigkeiten nach dem Umzug? Sicher ist: drei Sterne, gerade in Paris, schmecken anders, und man kann sie zudem in weitaus angenehmerem Ambiente erleben. Die sündhaft teure Rechnung begleiche ich zähneknirschend und mache bis zum nächsten Umzug Savoys lieber einen Bogen um dieses Haus.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Guy Savoy (→ Website)
Chef de Cuisine: Guy Savoy
Ort: Paris, Frankreich
Datum dieses Besuchs: 10.10.2015
Guide Michelin (F/MC 2015): ***
Meine Bewertung dieses Essens 7,5 (Was bedeutet das?)