Dal Pescatore – die Familie

Santini. So heißt fast jeder, der in diesem Betrieb arbeitet. Großmutter, Mutter, Tochter, Vater, Sohn, Cousin. Sie alle sorgen heute Abend, wie jeden Abend, persönlich für das Wohl der Gäste. Das Anwesen im kleinen Ort Canetto sull’Oglio ist seit vier Generationen der Lebensmittelpunkt einer ganzen Familie. Das Dal Pescatore eröffnete 1925 – damals noch unter dem Namen Vino e Pesce – als kleine Osteria. Inzwischen ist das Restaurant mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet und eine weltweite Referenz für eine Küche, die ihre Wurzeln hier im Ort hat, aber auch Einflüsse von außen sucht.

So ist auf der Website des Restaurants zu lesen, dass besonders die großen französischen Meister – von Fernand Point, Michel Guérard, Paul Bocuse bis zu Anne-Sophie Pic – die Küche der Santinis maßgeblich beeinflusst haben. Und noch heute reist die Familie regelmäßig in der Welt umher, um sich inspirieren zu lassen.

Zu kritisieren ist an einer solchen Institution schon naturgemäß nichts. Neunzig Jahre passioniertes Gastgewerbe bilden die Basis eines gastronomischen Monuments mit Weltruhm. Mein Respekt und meine Bewunderung zu dieser Hingabe, derer man den ganzen langen Abend über Zeuge ist, steht über allem. Meine Geschichte über das Essen im Dal Pescatore ist daher nur ein winziges Puzzleteil in der Geschichte dieses Restaurants. Ihre Bedeutung erscheint vor der immensen Tradition dieses Hauses geradezu nichtig, dennoch erzähle ich sie, natürlich.

Den kulinarischen Auftakt des Abends machen einige herzhafte Aperitifsnacks, deren Zutaten ich nicht genau verstanden habe. Es dominiert bei allen jedoch ein recht teiglastiger Eindruck, und mehr Salz hätte ich bei allen Kleinigkeiten als Mehrwert empfunden. (6,5/10)

Ein weiteres Amuse-Bouche thematisiert Kartoffelcreme, ein Rübengemüse und weißen Trüffel. Die handwerkliche Ausführung ist sehr präzise, aber die einzelnen Zutaten sind auch hier schwer zu identifizieren. Selbst der Trüffel geht in der (exzellent gearbeiteten) Kartoffelcreme unter, und abermals vermisse ich Salz, diesmal so deutlich, dass ich es als fehlerhaft abgeschmeckt empfinde. (6,5/10)

Der erste Gang des Menüs (Menu del Pescatore, € 250) ist eine Portion Culatello di Zibello, eine italienische Schinkenspezialität, deren Grundlage eine aufwändige Schweineaufzucht ist, die mit der spanischen Jamón-ibérico-Produktion vergleichbar ist. Culatello wird in der Regel dicker geschnitten als das spanische Pendant, ist weniger fettig und kann mit dem iberischen Genuss nicht so recht mithalten. Es geht hier natürlich gar nicht um spanischen Schinken, dennoch zieht man als Gast unweigerlich Vergleiche. Dieser Schinken ist für seine Art zweifellos gut, aber mir persönlich sind die Scheiben zu dick, zu mager, und etwas aceto balsamico tradizionale oder exzellentes Olivenöl wären gegen die Trockenheit ein gutes Mittel. (6,5/10)

Der nächste Gang ist eine Hummerterrine mit Aspik, Osietra-Kaviar und weiteren Zutaten wie Ingwer und Olivenöl. Ich erfreue mich an dieser klassischen, fast schon ausgestorbenen Zubereitungsart, die hier handwerklich perfekt umgesetzt ist. Dass die exzellente Qualität des Hummers selbst noch nach so vielen Verarbeitungsschritten offensichtlich ist, spricht für sich. Das Aspik – vermutlich aus einem reduzierten Fischfond hergestellt – ist exzellent abgeschmeckt, doch auch hier fehlen mir Akzente, Kontraste und Nuancen. Dafür hätte gut der Ingwer sorgen können, doch der ist recht homöopathisch dosiert. Hervorragend ist das dennoch, allein der Qualität des Hummers und des Handwerks wegen. (8,5/10)

Gang drei ist ein Stück gebratene Foie Gras, die von hervorragender Qualität und makellos gebraten ist. Sie ist mit einer Jus auf Rotweinbasis überglänzt und wird mit exotischen Früchten serviert, u. a. mit einem Passionsfruchtgel und Ananaswürfeln. Letztere dürften ruhig von einer reiferen Frucht stammen, doch es tut dem Genuss dieses klassischen, sehr französisch anmutenden Gerichts keinen Abbruch. (8/10)

Ravioli mit Perlhuhn, Artischockenreduktion und schwarzem Trüffel folgen als nächstes. Ich probiere hin und her, und die Essenz des Probierens sind zwei Wahrnehmungen. Erstens, das Handwerk der Ravioli ist meisterhaft: hauchdünn und perfekt al dente (und auch so, dass sie ihre perfekte Konsistenz die ganze Zeit beibehalten). Zweitens, das Gericht ist trocken und ziemlich geschmacksneutral. Der Brokkoli ist ungesalzen und ziemlich weichgekocht, die „Schwämme“ sind eine befremdliche Spielerei, auch die Trüffelabschnitte steuern wenig bei. Außer einer Begeisterung für das Pasta-Handwerk kann ich dem Gericht nicht viel abgewinnen. (6,5/10)

Das Menü fährt fort mit Gnocchi, Calamaretti, Bottarga und Rote-Bete-Sauce. Auch hier sind meine Empfindungen deckungsgleich zu dem vorherigen Gericht. Salz sucht man hier erneut vergebens, und so exzellent das Handwerk der Gnocchi auch ist, tunkt man sie durch eine ziemlich fade Rote-Bete-Sauce. Die weiteren Zutaten sind allenfalls anstandslos … Mir fällt beim besten Willen nicht ein, wie man dieses Gericht den Himmel loben könnte. (6,5/10)

Auch das dritte Gericht mit Pasta begeistert eher mit seinem Handwerk als mit der Komposition an sich. Die perfekt gearbeiteten Triangoli enthalten eine Farce aus Ricotta und Pecorino, die für ein etwas pelziges Gefühl auf der Zunge sorgt, dazu gibt es eine Parmesancreme mit weißem Trüffel. Von irgendwoher kommt auch etwas unwillkommene Süße, aber erneut kaum Salz. (6,5/10)

Frittierte Froschschenkel sind von sehr guter Qualität und die (keinesfalls aufdringliche) Panierung schmeckt fein nach Kräutern. Ein kleiner Salat dazu bringt etwas Kühle ins Spiel und ist perfekt säurebetont abgeschmeckt. Der Knabberspaß macht Freude, ist jedoch von einem Niveau, das der Guide Michelin mit drei Sternen auszeichnet, deutlich entfernt. (7,5/10)

Vor dem Hauptgang wird noch ein kleiner Gang eingeschoben: Pasta mit Kürbis. Die sehr gut zubereitete Petitesse befindet sich erneut eher in einer süßen Geschmackswelt und bereitet damit offenbar auf den Hauptgang vor. (7/10)

Der Hauptgang selbst ist ein Stück Ente mit einer Sauce auf Balsamico-tradizionale-Basis, dazu gibt es süße Früchte und eine weihnachtliche Geschmackswelt durch vermutlich Zimt oder Kardamom. Die Haut der Ente enthält recht viel Fett, sodass sie weich anstatt knusprig ist – auch nicht optimal. (6,9/10)

Eine Käseauswahl ist exzellent, und die Desserts schließlich alle grandios.

Walderdbeeren mit Ananas und einem Himbeercoulis schmeckt fantastisch. Kleine, reife Erdbeeren thronen hier auf hauchdünn gerollten, mit einer süßen Creme gefüllten Ananas-maccheroni; etwas Minze setzt frische Akzente. Das ist viel zu schnell aufgegessen! (10/10)

Ein Amaretti-Kuchen (mit Café, Sahne, Krokant und Zabaione) ist himmlisch gut. Das liebliche Spiel zwischen Bitterkeit vom Café, Süße der Cremes in Verbindung mit dem knusprigen Krokant sorgen für größtmögliche Dessertfreude! (10/10)

Eine Kreation mit Schokolade (Guanaja 70 %), Sahne und Haselnuss ist ebenfalls ganz hervorragend. (9/10)Die Desserts sorgten für ein versüßtes Ende eines Mahls, von dem ich mir durchaus mehr erhofft hatte. Man spürt, besonders bei der Pasta, wie exzellent das seit Generationen einstudierte Handwerk ausgeführt wird. Dies führte jedoch kaum zu geschmacklich hervorragenden Gerichten. Das auffällige Fehlen von Salz und Herzhaftigkeit war mitunter schwierig zu verstehen, und wirklich grandiose Produkte konnte man nur wenige bewundern.

Dabei sagt man doch gerade in Italien immer, dass Mamma am besten kocht. Hier stehen sogar gleich zwei Mammas am Herd. Vielleicht sollte man die Damen des Hauses einfach mal machen lassen. Inspirationen aus der weiten Welt haben die doch gar nicht nötig.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Dal Pescatore (→ Website)
Chef de Cuisine: Nadia Santini
Ort: Canetto sull’Oglio, Italien
Datum dieses Besuchs: 15.10.2016
Guide Michelin (I 2016): ***
Meine Bewertung dieses Essens 7 (Was bedeutet das?)
Diskussion bei Facebook: hier klicken