Aqua – Stippvisite Nr. 8

Wer wissen möchte, wie ich über das Aqua und das damit verbundene Hotel Ritz-Carlton in Wolfsburg denke, liest am besten meine diversen anderen Berichte hierzu. Darin gehe ich bereits umfangreich auf alle Annehmlichkeiten ein, die spätestens mit ein paar Bahnen im spektakulären Außenpool beginnen (negative Energiezufuhr vor einem opulenten Mahl ist gut fürs Gewissen) – und nicht selten damit enden, dass irgendjemand im Aqua am nächsten Morgen hinter mir das Licht ausschaltet. Na gut, fast.

Auch am heutigen Abend ist das alles wie gehabt. Nur die Küche – sie ist ein wenig anders als sonst, und ich möchte gleich in die Details gehen.

Bei den Amuse-Bouches fällt noch nichts auf, im Gegenteil, die großartige karamellisierte Kalamata-Olive (9/10) ist endlich wieder da und hat einen Mitspieler bekommen. Eine grüne Olive ist mit Kapernschaum gefüllt und mit Rauchmandelbröseln bestreut. Diese Idee gefällt auch, ist sehr präzise gearbeitet, kommt aber gegen das großartig schlichte, süßsaure Zusammenspiel, das die schwarze Olive bietet, nicht an (7/10).

Es folgt ein Mini-Burger mit geschmorter Rinderbacke und Bergkäse, der so unverschämt gut ist – herzhaft, warm, mit Biss und saftig – dass ich mich frage, ob man ein derartiges Geschmacksbild wirklich so gut finden darf, aber, ja, man sollte sogar. Die Zutaten sind exzellent, die Portionsgröße ist stimmig (und wichtig), alles ist auf den Punkt. In diesen wenigen Kubikzentimetern zeigt sich eindrucksvoll, was Spitzenküche ausmacht: beste Produkte, perfektes Handwerk, Wohlgeschmack. (9/10)

Genau dasselbe gilt für das folgende Vitello Tonnato „Tatar“, einer handwerklich und geschmacklich brillanten Zusammenfassung dieses italienischen Vorspeisen-Klassikers, der bei mittelklassigen Italienern meist nur als grau-beiges Trauerspiel auf dem Teller endet. Dieser kleine Schmaus ist cremig, frisch, nussig, würzig, exzellent! (9/10)

Letzter Streich vor dem eigentlichen Menü ist eine Gillardeau-Auster mit Artischocke und Algenöl – eine etwas diffuse Kombination, bei der zu deutlich eine weiche, ölige Textur im Vordergrund steht als die Auster an sich. (7/10)

Erster Gang des Menüs ist Norddeutsche Stulle, bestehend aus zwischen zwei millimeterdünnen knusprigen Brotscheiben eingerahmten Büsumer Krabben, Rinderrohfleisch und Remoulade. Küchenchef Sven Elverfeld hatte schon immer ein Faible dafür, deutsche Klassiker neu zu inszenieren. Das muss man ihm hoch anrechnen, schließlich findet das Thema klassische Deutsche Küche in der Spitzengastronomie dieses Landes wenig Platz. Diese Stulle gefällt mir daher konzeptionell sehr gut, in der Ausführung jedoch gibt es, auf dem zu erwarteten Niveau, einige Schwierigkeiten. Abgesehen von einem etwas zu harten Brot sind es vor allem die vielen schweren Cremes – in der Schnitte und daneben –, die nicht nur den feinen Geschmack der Krabben überdecken, sondern auch dafür sorgen, dass man nach zwei Bissen schon von der charmanten Idee dieser Stulle übersättigt ist. (7/10)

Es geht weiter mit einem Stück Flusszander von herausragender Qualität, das sich erneut gegen viele Tupfer aus Quetschflaschen behaupten muss: obenauf nicht weniger als Guacamole, Granatapfelgel und verschiedene knusprige Elemente, außen herum weitere säurebetonte Gels. Die Qualität des Fischs kämpft sich zwar immer wieder zum Vorschein, aber es bleibt ein Kampf zwischen Gut und Böse. Ungewöhnlich plump. (7/10)

Der nächste Gang macht dann allein schon visuell Hoffnung auf mehr. Gerichte mit schaumigen, süffigen Saucen waren schon immer ein Highlight aus der Küche des Aqua. In diesem Fall handelt es sich um ein luftiges Curry-Safran-Fumet mit herrlich kompakten und dennoch differenzierten Aromen. Darin findet man Bouchot-Muscheln und geschmorte Kaninchenkeule – was für eine treffsichere Kombination! Marinierter Fenchel, Pinienkerne und gepickelte Tomate unterstreichen dabei die ätherische Note des Safrans und befördern diese ungewöhnliche Kreation geschmacklich in eine Art Zwischenwelt zwischen „Seafood“ und Schmorgericht. Einziges Manko: das Kaninchenfleisch ist naturgemäß recht trocken und verbleibt dadurch auch immer als letzte Komponente am Gaumen. Da braucht man schon mal einen Schluck Wasser zur Hilfe. (8,5/10)

Sellerie, Ei und weißer Trüffel folgt und ist eine verheißungsvolle Kombination. In einem Stück gegartem Knollensellerie findet man ein pochiertes Ei, von dem ich mir erhoffe, dass es beim Anschnitt aus dem Sellerie läuft, doch das Ei ist wachsweich. Das ist so gewollt, nimmt jedoch ziemlich viel von dem „schlotzigen“ Genuss, den das Gericht ermöglichen könnte. Auch ohne meine Erwartungshaltung mit ins Spiel zu bringen, ist der Genuss, den diese Kreation bietet, weit entfernt von vergleichbaren Gerichten wie „Blumenkohl und Eigelb mit Parmesan und weißem Trüffel“ aus dem Aqua in 2011, oder, noch vergleichbarer, „Sellerie und schwarzer Trüffel“ aus dem Eleven Madison Park, das ich Anfang dieses Jahres genoss. In Summe sehr gut, aber ohne Referenzpotenzial. (7/10)

Nächster Gang ist geschmortes Schweinekinn und warm marinierter Kaisergranat, angerichtet wie ein Schnittchen, obenauf fermentierte Karotten, Krustentiermayonnaise und einige knusprige Elemente. Das Ganze befindet sich in einem Jus mit – da bin ich mir nicht sicher – Karotte, Ingwer und Koriander. Probiert man alles zusammen, ergibt sich weder geschmacklich noch auf die Textur bezogen ein besonders ansprechendes Bild. (Fast) rohes Krustentier ist eigentlich nie eine besonders gute Idee, vor allem weil die Textur auf diese Weise immer recht schleimig ist. Letzteres Problem wird durch das gehaltvolle, weiche Schweinekinn und einige Gels noch weiter unterstrichen. Insgesamt eine recht klebrige Angelegenheit, der jegliche Leichtigkeit fehlt. (6,9/10)

Mich erstaunt vor allem der Einsatz so vieler Gels und Cremes, eine Fertigkeit, der ich nie besonders viel werde abgewinnen können. Aromen, die man in gelartige Texturen überführt kommen zwangsweise immer mit dem Ballast des Texturgebers einher und wirken dadurch meist künstlich und sättigend, selbst dann wenn die Aromen passen.

Doch es geht leider in dieser Richtung weiter. Über eine Kalbszunge „Berliner Art“ werden aus einem vor Kälte dampfenden Gefäß gehobelte Gänseleberflocken gestreut, ringsherum gibt es weitere Tupfer von, unter anderem, Bergapfel. Der angegossene Jus ist nicht so recht identifizierbar, und die Kälte der Gänseleber erschlägt das ohnehin nicht sehr warme Fleisch. Alles ist kalt oder handwarm, weich und wirkt dadurch wie Astronautennahrung. Die einsame, aber naturbelassene Cipolla-Zwiebel ist sehr gut: eine ziemlich magere Ausbeute. (6/10)

Müritzer Lammrücken „in Heu gegart“ kommt mit Topinamburcreme, Ricotta und frischer Haselnuss, jeweils als präzise gearbeitete Mikrobeilagen. Das Fleisch ist von einer exzellenten Qualität, die sich besonders im Geschmack bemerkbar macht, hinterlässt am Gaumen jedoch auch den untrüglichen Eindruck eines im Vakuumbeutel gegarten Stücks Fleisch. Die Textur ist mürbe und kompakt, es gibt keine Maserung und auch keine Röstnoten. Zwar gelingt es, zusammen mit den anderen Komponenten aromatisch ansprechende Gabeln zusammenzubasteln, aber wenn man schon Fleisch isst, muss ein Teller mehr bieten als weiche Happen mit einheitlichem, gutem Geschmack. (7/10)

Das erste Dessert ist Shiso und Pflaume, weitere Zutaten laut der Menükarte sind Vanille, Kefir und weiße Schokolade. Die Pflaume wurde von allen positiven Eigenschafen, die sie innehat, beraubt, indem sie gefriergetrocknet wurde, zusätzlich werden vom Kellner noch kleine Perlen mit einer Temperatur nahe dem Siedepunkt von Stickstoff appliziert, was dabei ein Geräusch macht als würde man Murmeln auf einen Teller kullern lassen. Die Pflaume ist pappig und klebrig, die Temperatur der Perlen ist am Rande der vorsätzlichen Körperverletzung – das ist nicht genießbar. (5/10)

Das „süße Finale“ beginnt schließlich mit einer Schichtung aus Holundercreme und Champagnerschaum sowie abermals diesen kalten Perlen (als hätte hier jemand ein neues Spielzeug entdeckt), diesmal mit Erdnussgeschmack. Die Perlen sind allerdings nicht mehr ganz so kalt wie vorhin, und wenn man sie maßvoll dosiert, probiert man eine ziemlich gute, fruchtige Süßspeise. (7/10)

Es geht weiter mit „Muskat-Kürbis“, Preiselbeeren, Joghurt und Kürbiskernöl. Den Scheinkürbis bricht man auf, um an sein schaumiges Inneres zu gelangen, das wie Wurstbrät aussieht und in Kombination mit der essbaren Kürbisschale nach verbranntem Plastik schmeckt. (5/10)

Ein „Donut“ mit Sauerrahm, Campari-Orange und schwarzem Sesam ist ein versöhnlicher kleiner Happen, der angenehm frisch ist und nach Karamell schmeckt. (8,9/10)

Nach dreieinhalb Stunden endet damit ein Menü, das mich etwas ratlos macht. Wo waren solche Produkte wie der Huchen aus Tainach? Wo waren die großartigen Saucen? Wo waren die Champignons, die appetitanregende Geräusche machen, wenn man sie mit dem Löffel berührt?

Die größten Kritikpunkte des heutigen Menüs sind sicherlich, dass kein Produkt so herausgearbeitet wurde, dass es wirklich begeistern oder welches man überhaupt in seiner Authentizität genießen konnte. Viele Gels und Cremes, die aromatisch zwar häufig passend, aber viel zu massiv zum Einsatz kamen, ließen viele Gerichte dazu stellenweise recht plump erscheinen.

Das ist sehr ungewöhnlich, denn im Aqua genießt man regelmäßig nicht nur eine der besten und kreativsten Küchen des Landes, eine Küche, die trotz ihrer Kreativität sehr souverän alle Register des klassischen Handwerks zieht und dadurch eine hohe Individualität aufweist. Dass es heute Abend nicht in diese Richtung ging, tat einem kurzweiligen Abend mit reichlichen Genüssen und einem rundum exzellenten Team zwar keinen Abbruch. Ich habe hier oft genug gespeist, um zu wissen, was hier möglich ist. Dennoch ist der eingeschlagene kulinarische Kurs zumindest ein wenig beunruhigend. Ich kann nur hoffen, dass das Fahrwasser bald wieder ruhiger wird.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Aqua (→ Website)
Chef de Cuisine: Sven Elverfeld
Ort: Wolfsburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 12.11.2016
Guide Michelin (D 2016): ***
Meine Bewertung dieses Essens 7 (Was bedeutet das?)
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