Küchenwerkstatt – Auf und Ab®

Wer die Berichte meiner vergangenen drei Besuche in der „Küchenwerkstatt“ verfolgt hat, kann feststellen, dass ich eine Sympathie für Hamburgs gastronomische Kreativschmiede hege, da Gerald Zogbaum und sein Team im Stadtteil Winterhude eine junge, inspirierte Küche auftischen – abseits von Foie Gras, Käsewagen und Kristalllüstern –, die in Hamburg so sonst niemand serviert.

Gleichzeitig habe ich jedoch auch von einer Achterbahnfahrt gesprochen, wenn es um meine Beurteilung der Konsistenz des Genusserlebnisses innerhalb eines Menüs ging. Einem sehr guten Gang folgen häufig wieder welche, die nicht überzeugen können. Und dabei geht es nicht um persönliche Stil- oder Geschmacksvorlieben, sondern um Gerichte, bei denen es den Anschein hat, als wäre ihnen in wichtigen Details nicht die notwendige Aufmerksamkeit zuteil gekommen.

Dieses Auf und Ab hat sich nach meinem heutigen Besuch regelrecht zu einer Art Markenzeichen manifestiert, das nicht unbedingt schützenswert ist.

So wird das heutige Menü (€ 121) mit dem „Willkommensgruß“ eingeleitet, einem Cornet mit Avocadocreme und Zitronenschalenmarmelade sowie einem Parmesanmarshmallow mit Oliventapenade. Beide Snacks sind geschmacklich beinahe neutral, und der gummiarte Parmesan ist auch keine besonders gute Idee. Es ist schade (und ein viel zu häufiges Vorkommnis), wenn sich bereits bei den Snacks die Hoffnung auf Besserung einstellt. Soll der Parmesanmarshmallow wirklich gut schmecken, oder einfach nur originell sein? Im Idealfall träfe beides zu, in diesem Fall nichts davon. Dass man diese Einleitung mit „ist ja nur ein Snack“ abhaken muss, ist schade.

Die Mixed Picklesmitgeräuchertem Eigelb, Hagebutte und Traubenkernöl sind knackig frisch, fein im Geschmack, und die Idee mit dem getrockneten, knusprigen Dillzweig gefällt wegen der Aromatik und der leicht bröseligen Textur. Die Vollmundigkeit der Gurkencreme ist mir etwas zu massiv und überlagernd.

Der Meeresspaziergang mit Tempura von frischen Anchovis und Jakobsmuscheltatar ist sehr gelungen. Das Gericht könnte auch kaum einen passenderen Namen haben, denn der Esser taucht regelrecht ein in eine Unterwasserwelt, in der es viel zu entdecken gibt. Auf der Entdeckungsreise findet man immer neue Schätze wie hauchdünne Anchoviskelette, Algeneis(?) und wie Perlen glänzende Saucentupfer; selbst der organisch geformte Teller sieht aus wie Sand, in dem man gerade einen Fußabdruck hinterlassen hat. Eine sehr gute Interpretation des Themas Meer und eines der Highlights am heutigen Abend. Das ist die mutige, inspirierte Küche Zogbaums, die (bestimmt nicht jedem, aber mir) schmeckt und gefällt.

Zweimal Kaisergranat mit Brunnenkresse und Kastanien zählt leider nicht dazu. Der Kaisergranat (und warum „zweimal“?) ist nicht gerade ein Prachtexemplar seiner Zunft und auch etwas übergart, und von der absichtlich, aber nicht vorteilhaft kühlen Kastaniencreme befindet sich eine viel zu große Menge auf dem Teller, um sie sinnvoll mit dem kleinen Krustentier kombinieren zu können. Ohnehin überzeugt diese Kombination geschmacklich nicht, da die Kastanie sehr dominant ist.

Das Schweinekinn mit Kakao und eingelegten Feigen ist sehr gut durchdacht – abwechslungsreich in Aromen, Texturen und Zutaten, aber das Fleisch ist leider ziemlich fad und lässt damit jegliche Herzhaftigkeit vermissen. Das Gericht hätte vermutlich mit nur wenigen Kniffen sein ganzes Potenzial ausschöpfen können. Beim Garen des Fleischs (wahrscheinlich sous-vide) fehlten offenbar jegliche Aromaten.

Der Vergessene Genuss mit Herz, Zunge und Bries vom Kalb ist wiederum exzellent. Die sehr zarten Innereien, die alle ihre jeweiligen Vorzüge zur Geltung bringen können (Zunge mürbe; Bries sehr zart; Herz etwas fester, aromatischer), gehen eine äußerst gelungene Kombination mit der leichten Süße der Zwiebeln und den herzhaften Aromen der Röstzwiebeltapioka ein. Schön, dass hier auch Zutaten auf den Teller gelangen, die normalerweise nur selten auf Speiseplänen stehen und dann auch noch so überzeugen können. Dieses zweite Highlight bleibt jedoch leider schon das letzte.

Die Braisierte Dorade mit Schmorbratensauce und Rosenkohl ist eindimensional, ohne Spannung, und setzt auch qualitativ die Messlatte nicht sehr hoch; obendrein ist auch die Sauce dünn. Diesem Gericht fehlt sowohl eine gute Idee als auch eine gelungene Ausführung.

Das Falsche Enteneiist eine Farce, jedoch nicht im gastronomischen Sinn. Es handelt sich bei diesem Gebilde (das als Menügang mitgezählt wird) schlicht um eine „Eierschale“ aus gefrorener Kokosmilch, über die eine Currymischung mit Hibiskus gestreut wird. Abgesehen davon, dass das Konstrukt beim Aufbrechen auf dem Nachbarteller landet, schmeckt das Eis naturgemäß so wie Kokosmilch eben schmeckt – nach fast nichts. Hier ging es offenbar ausschließlich um die Form und nicht um Geschmack. Was soll so etwas? Essen kann man das zumindest nicht.

Es folgt der Rosa gebratene Tafelspitz vom US-Rind, der mit einer Zwiebel-Tarte tatin, Zwiebelpüree und jungem Lauch serviert wird und mit dem ich die im Menü eigentlich an dieser Stelle vorgesehene Ente ersetze. Das Fleisch ist von sehr guter Qualität und Garung, so viel steht fest, und die saftig-herzhafte Zwiebeltarte verdient ebenfalls besondere Erwähnung. Doch Enttäuschung stellt sich ein, nachdem ich feststelle, dass das Fleisch kräftig nachgesalzen werden muss – das Töpfchen Fleur de Sel am Tisch ist auf diese Weise schnell geleert. Leider ist auch die Sauce ziemlich dürftig und schafft es nicht, hier unterstützend zu wirken. Auch das Zwiebelpüree ist ausdruckslos.

Nicht besonders einfallsreich ist, dass der zweite Gang des Gerichts eine Wiederholung des ersten Gangs ist – nur ohne Lauch, und jetzt lediglich mit ein paar Saucentupfern. So puristisch sich der Fleischgenuss hier auch darstellt, erscheint das gesamte Gericht verloren, phantasielos und völlig unterhalb der Möglichkeiten, die sich um ein so gutes Produkt ranken.

Der Roquefort mit Verjus und blauen Trauben ist mäßig – die eiskalten Komponenten gehen in Verbindung mit dem Roquefort etwas unter.

Das Dessert Buchweizen mit Weizengras und Milch reiht sich optisch in die Meereslandschaft vom Anfang des Menüs ein – es sieht ein wenig nach Wald aus, dann wieder nach einem Korallenriff –, ist jedoch geschmacklich vollkommen langweilig. Nach ein paar Gabeln ist klar – das muss man nicht zu Ende essen.

Der Wintergarten mit Birne, Schokolade und Karamell ist stimmig, interessant zu essen und schön birnig, das kann man so machen.

An diesem Abend waren die Gerichte, die schwächelten, deutlich zu zahlreich, um von einem durchweg guten Menü sprechen zu können. Die Schwächen lagen dabei zu einem überwiegenden Teil in handwerklichen Standards wie dem Abschmecken und Würzen; ein weiterer Teil der Schwächen in der Gewichtung und aromatischen Zusammensetzung von Komponenten. Die originelleren Gerichte hingegen – wie etwa der „Meeresspaziergang“ oder der „vergessene Genuss“ – waren sehr gelungen, aber in der deutlichen Minderheit.

Dass ich den Stil der „Küchenwerkstatt“ grundsätzlich als Bereicherung für Hamburgs festgefahrene Gastronomielandschaft empfinde, ist auch nach dem heutigen Abend meine Meinung, allerdings auf Dauer nur dann, wenn das vorhandene Potenzial weiter ausgeschöpft wird. Die Schwankungen innerhalb eines Menüs sind regelmäßig zu groß, als dass man hier von einem verlässlich guten Genusserlebnis sprechen könnte, was bedauerlich ist. Es muss ein viel stärkerer Fokus auf das geschmackliche Gelingen allerGerichte der Karte gesetzt werden und auf „Gags“ (wie das „falsche Entenei“) gänzlich verzichtet werden. Vielleicht fallen in dieser Werkstatt dann künftig weniger Späne.

Informationen zu diesem Besuch
Datum: 17.12.2010
Restaurant: Küchenwerkstatt (→ Website)
Chef de Cuisine: Gerald Zogbaum
Ort: Hamburg, Deutschland
Guide Michelin (D 2011): *
Meine Bewertung dieses Essens 6 (Was bedeutet das?)