Haerlin, Hamburgs neue Perle

In Hamburg, meiner kulinarisch ewig hinterherhinkenden Heimatstadt, erhoffe ich mir von einigen Restaurants ganz besonders, dieser Ära ein Ende zu setzen. Hierzu zählen vor allem Gerald Zogbaums Küchenwerkstatt mit ihren kreativen Impulsen und das gediegen-noble Haerlin im Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten. Dort hat Küchenchef Christoph Rüffer im letzten Jahr einen Michelin-Hoffnungsträger für den zweiten Stern erkocht und betreibt damit zurzeit gastronomische Pionierarbeit für die Hansestadt.

Nach einem recht beeindruckenden kulinarischen Höheflug im Februar 2010 (kein Bericht), der leider mit einem Service-Eklat endete, und einem weiteren Besuch im November desselben Jahres, diesmal unter neuer Leitung, aber mit weiteren unübersehbaren Problemen, wolle ich die Hoffnung auf einen glanzvollen Abend im Haerlin dennoch nie aufgeben.

Mit großem Glück ergattere ich heute Abend ganz spontan einen Tisch in dem prachtvollen Haus an der Alster. Schon zu Beginn dieses Abends machen sich Veränderungen seit meinem letzten Besuch bemerkbar. So wurde die Innenraumdekoration etwas aufgefrischt; der Service von und um Restaurantleiter Raoul Steinbach ist unkompliziert, offen und nett; und die Speisekarte wurde vom A-la-carte-Ballast befreit und konzentriert sich jetzt aufs Wesentliche. Es gibt nur noch zwei Menüs, innerhalb derer auch flexibel kombiniert werden kann. Das ist souverän, verschafft der Küche effizientere Planungsmöglichkeiten und dem Gast eine einfachere Auswahl. Begrüßenswerte Leichtigkeit scheint hier eingekehrt zu sein – natürlich weiterhin im festlichen Kontext eines traditionsreichen Grandhotels.

Der Rahmen stimmt also; umso gespannter bin ich auf die heutige Küchenleistung.

Für eine kulinarische Einstimmung erster Güte sorgen dann einige Amuses-Bouches: Flusskrebs & Duwicker Karotte, Entenleber & Apfelkraut, Sardine & Zitronat-Zitrone, Gurke & Joghurt. So überzeugt die intensiv aromatische und herrlich erfrischend duftende Gurkenzubereitung ebenso wie die angenehmen aromatischen Kontraste, die sich auf kleinstem Raum bei der Sardine und dem süßlichen Brot abspielen. Eine sehr gelungene Einstimmung.

Weiter geht’s, noch immer einstimmend, mit einem Rindertatar mit Maisespuma und Senfkörnereis. Die nicht neue, aber gute Kombination Senf/Eis/Tatar bringt mit der Maiscreme und pikanten Senfblättern abwechslungsreiche Nuancen mit.

Der von mir allein schon der exotischen Herkunft wegen gewählte Chardonnay vom Weingut Wölffer aus den Hamptons, New York, sorgt inzwischen auch für Heiterkeit im Glas. Auch die Weinkarte des Haerlin wurde um diverse spannende Erzeugnisse – auch zu erschwinglichen Preisen – sichtlich erweitert. Die angestaubte Auflistung großer Namen für Etikettentrinker scheint auch hier passé. (Wer dennoch auf fünfstellige Rechnungen wert legt, für den hält der Weinkeller trotz kürzlicher Überschwemmung natürlich nach wie vor ein paar Fläschchen Screaming Eagle bereit. Also keine Sorge für all jene.)

Den ersten Gang des von mir gewählten „Signature“-Menüs (5 Gänge, € 115) habe ich gegen den ersten Gang des „Haerlin“-Menüs getauscht, Cannelloni von Thunfisch & Gelbschwanzmakrele mit Meerrettichcrème & griechischem Joghurt. Ausgezeichnete Produktfrische und Leichtigkeit stehen bei diesem Gericht im Vordergrund. Die mit einer angenehm pikanten, aber nicht scharfen, Meerrettichcreme gefüllten Gemüseröllchen aus Avocado und Ringelbete ergänzen die nur leicht gewürzten Fische sowohl aromatisch als auch texturell (durch die knackige Ringelbete). Hervorragend.

Noch besser ist die Jakobsmuschel mit Tomatenraritäten aus der Region mit Joselito-Schinken & Rapsölvinaigrette. Auf diesem Teller spielen seltenere Tomatensorten die Hauptrolle, die alle aus dem Alten Land stammen, wie uns das informative Tischkärtchen kundtut, das sinnvollerweise zu jedem Gericht gereicht wird und keine Fragen bezüglich der jeweiligen Zutaten offen lässt. Neben der bekannteren Ochsenherztomate findet man hier marinierte „Prune noire“-Tomaten, Wildtomate „Golden Currant“ und „paprikaförmige Tomate“. Alle Sorten zelebrieren sich mit ihrer intensiven Aromatik selbst, unterstützt durch eine leichte Vinaigrette mit Schnittlauch und den herzhafteren Mitspielern Jakobsmuschel und Joselito-Schinken. Ein Gericht mit zeitgemäßem, regionalem Fokus und begeisternd frischen Aromen.

Dritter Gang, ebenfalls aus dem „Haerlin“-Menü und an Stelle einer Taubenbrust gewählt, ist der Cordon Bleu von Kalbsbries & Gänseleber mit Albina-Bete & Paprika-Curryvinaigrette. Es handelt sich dabei um Gänseleber in Kalbsbries, ummantelt von einer gebackenen, hauchdünnen Briochekruste. Die exotische Vinaigrette mit Paprika und Jaipur-Curry ist sehr gut gelungen, doch die Hauptkomponente mit ihrem recht rohen Gänseleber-Kern und der gebackenen Kruste kann mich nicht so recht für sich gewinnen.

Erheblich interessanter ist dann der Wolfsbarsch mit Aalschmalz, Himbeeressiggelee & Suppengemüse. Viele einzelne Komponenten, z. B. die „tomatisierte Brathühnchenbouillon mit Lorbeer & Piment“ oder die „Aalpraline mit Bohne und Ei“, spielen hier subtil in- und miteinander und bieten abwechslungsreiche Kombinationsmöglichkeiten am Gaumen, die alle gefallen. Beim Wolfsbarsch finde ich lediglich die sehr kross gebratene Haut unpassend und hätte hier eine vorsichtigere Garmethode bevorzugt, was dem Fisch eine elegantere Präsenz verliehen hätte. Doch auch so ein sehr gelungenes Gericht.

Der „Hauptgang“, Confierter Lammrücken „Soubise des Nordens“ mit Ziegenfrischkäse, Zwiebel & mildem Senfkörnerjus wird unter anderem serviert mit Streifen von grünem Spargel, knackigen Erbsen, gerösteten Pinienkernen, Quinoa und weißem Zwiebelpüree. Auch hier gelingt das Zusammenspiel der vielen Komponenten; Erbsen und die Zwiebelcreme gefallen mir besonders gut, doch könnte das Fleisch etwas zarter sein. Auch kommt dem Fleisch zugute, dass verschiedene Meersalze auf dem Tisch stehen (natur und mit Olive aromatisiert), die man bereits zu Beginn des Abends unter vielen auswählen kann. Gleichwohl gelingt Rüffer mit diesem Gericht eine sehr gute, nordisch interpretierte Lamm-Zubereitung französischen Ursprungs, die er so raffiniert präsentiert wie niemand sonst in der Hansestadt.

Den Fleischgang begleitete glasweise ein dazu gut passender Mont du Toit aus Südafrika.

Ganz gleich was noch kommt, steht zu diesem Zeitpunkt schon fest: So „fein“, elaboriert und wohlschmeckend habe ich in Hamburg noch nie gegessen! Niemandem gelingt es derzeit so geschickt, eine Küche mit klassischer Basis so entstaubt zu servieren wie Rüffer. Und dass dabei sogar richtige Sensationen entstehen, zeigt die vor dem Dessert servierte Minestrone von Obst & Gemüse mit Kalamansisorbet.

In einem mit Kräutern abgeschmeckten, leicht schaumigen Zitrusfrüchtesud „schwimmt“ unterschiedliches Obst und Gemüse, z. B. kleine Stückchen von der Charantais-Melone, Karottenstreifen, rote Johannisbeeren, eingelegter Fenchel, Ananas, rote Spitzpaprika(!), Navelina-Orangenfilets und Jasminblüten. Dazu in der Mitte ein cremiges Sorbet von der so genannten Calamondinorange. Das erfrischende Süppchen, das mal nach Gummibärchen (nicht negativ gemeint), mal nach Cocktail-Aperitif in der Karibik und mal nach den Gerüchen eines Teeladens schmeckt, ist nicht nur äußerst originell und sehr schön anzusehen, sondern von ergreifendem Wohlgeschmack. Die Balance zwischen Exotik, Säure und Fruchtsüße gelingt in Perfektion. Das ist Großartig und tröstet auch hinweg über das leider gar nicht überzeugende Dessert, Fusion von Himbeeren & weißem Pfirsich mit Honig-Frischkäsecrème & Basilikumsorbet. Das Sorbet ist zu wässrig geraten und überportioniert, die Pfirsichcreme etwas belanglos, und das war’s dann auch schon fast. Schade, aber im Gesamtkontext durchaus verschmerzbar.

Ein sehr heiterer Abend auf kulinarisch hohem Niveau neigt sich damit dem Ende zu. Besonders erfreulich waren heute auch der charmante und ungezwungene Service. Die Küchenleistung unter der Leitung von Christoph Rüffer ist derzeit in Hamburg unübertroffen und schlägt mit Gerichten wie am heutigen Abend endgültig den richtigen Weg ein – den Weg zum ersten Zwei-Sterne-Restaurant der Hansestadt seit fast zwanzig Jahren.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Haerlin (→ Website)
Chef de Cuisine: Christoph Rüffer
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 17.09.2011
Guide Michelin (D 2011): *
Meine Bewertung dieses Essens 7,9 (Was bedeutet das?)