Facil – lukullische Oase am Potsdamer Platz

Während sich in anderen Großstädten in Deutschland das gastronomische Niveau, sagen wir mal, gefunden hat, regiert in Berlin zurzeit der Fortschritt. Zumindest höre ich dies aus vielen satten Mündern. Höchste Zeit also, meinen Kenntnisstand diesbezüglich aufzufrischen. Und so mache ich mich an diesem Freitag auf den Weg, um mittags die erste Station meiner kulinarischen Kompaktexpedition in die Hauptstadt anzusteuern.

Im fünften Stock des „Mandala“ Hotels trete ich dann ein in eine Oase der Ruhe, die man hier am Potsdamer Platz nicht vermutet. Würde man mit verbundenen Augen an diesen Ort geführt, wähnte man sich auch nicht in einem Obergeschoss, sondern in einem Garten. Für diese (angenehme) Sinnestäuschung sorgen vor allem die großzügig verglasten Fenster mit Blick auf eine Außenterrasse mit Bäumen und üppiger Vegetation; haushohe Fassaden dahinter machen die Illusion perfekt. Willkommen im „Facil“.

Die Speisekarte bietet auch an diesem Freitagmittag ein umfangreiches Menü (bis zu acht Gänge, € 145) sowie eine Wahl à la carte. Ich entscheide mich für eine sechsgängige Auswahl aus dem Menü und eine Flasche 2007er Vielles Vignes Blanc von der Domaine Gauby (€ 77). Welch gute Aussicht auf ein Mittagessen.

Der Vorfreude keinen Abbruch tut dann schon mal das erste Amuse-Bouche in Form eines keck gewürzten Kartoffel-Lauchsüppchens mit Forellen(?)kaviar sowie der zweite Auftakt, bei dem ein Schwanz von perfekt gegartem Kaisergranat in einer sehr feinen Sauce und Karotte brilliert. Mehr davon!

Und wäre das ganze Essen dann so weitergegangen wie der nächste Gang, hätte ich mich gefragt, ob den Michelin-Testern nicht ein weiterer Stern auf dem Weg zur derzeitigen Bewertung heruntergefallen ist.

Zu gut ist die Bretonische Sardine auf einer Schalottentarte, dazu Boskopapfel, Kapern-Limetten-Marmelade und Zwiebelhäute. Die süßlich-säuerlichen Aromen von Zwiebel, Apfel und Schalotte harmonieren mit der salzig-herzhaften Sardine wie zwei passende Puzzleteile, und auch von den Texturen her wurde an alles gedacht. Wohlgeschmack mit einfachen Zutaten in frappierend reduzierter Form. Wirklich beeindruckend!

Eine kleine Verschnaufpause gönnt mir die Atlantik-Scholle mit Feldsalat und Finkenwerder Sauce. Zwar ist der Fisch von makelloser Qualität, abermals perfekt gegart und ergibt mit den weiteren Komponenten ein frisches und klares Geschmacksbild; dennoch fällt das Gericht etwas schwächer, weniger mutig aus.

Der folgende Hokkaido-Kürbis mit Pomeranze und Sichuanpfeffer ist dann nicht nur wieder hübscher, sondern auch couragierter. Insbesondere der Sud überzeugt bei diesem kleinen Gericht durch eine exotische Würzung, die durch den Einsatz von nur sehr wenig (oder gar keinem?) Kreuzkümmel noch interessanter, da ungewöhnlicher, als vergleichbare Saucen ist. Lediglich das aus Karotten gebastelte „Nudelnest“ ist etwas überportioniert und lässt sich nur mühsam zerteilen.

Der Rücken vom Müritzlammmit Teltower Rübchen und „Theobromajus“ (unnötig geschwollen für Kakaojus) ist nicht so zart wie erhofft, doch sowohl die aromatische als auch die texturelle Komposition des Gerichts sind gut gelungen. Mit einem besseren Hauptdarsteller hätte dieser Gang wirklich glänzen können.

Sehr gut ist das Lammbries mit Schlutzkrapfen, Filderkraut und grünem Kardamom. Wie auch beim Hokkaido-Kürbis steht hier ein hervorragender orientalisch fokussierter Jus im Vordergrund, der jedoch – anders bspw. als die Gerichte von Wahabi Nouri – trotz seiner Intensität und Charakteristik hier im Facil nicht das gesamte Gericht „orientalisch“ erscheinen lässt. Für diese Wahrnehmung zeichnet besonders das eher klassisch zubereitete Bries verantwortlich, das perfekt gegart ist. Ein gelungenes Zusammenspiel.

Wenig später wird das Dessert serviert, „Pure Exotik“ – mit tasmanischem Pfeffer, Manjari- und Tanarivaschokola. Es ist hervorragend! Ein derart genussreiches süßes Finale habe ich lange nicht probieren dürfen. Das Schokoladentörtchen begeistert mit einer vornehmen Süße, hervorragender Schokoladenqualität und betörender Cremigkeit. Als spielerischer Gegenpol hierzu ein nicht nur farblich intensives Eis aus Beerenfrüchten. Kumquats und Mandarine ergänzen das Ganze stimmig. Die Patisserie im „Facil“ hat ganz ohne Zweifel verstanden, wie man bei der Erfüllung süßer Gelüste am Ende eines Menüs voll ins Schwarze trifft. Das ist – gerade in „modernen“ Küchenzeiten – keine Selbstverständlichkeit und äußerst souverän. Châpeau!

Chefkoch Michael Kempf und sein Team servierten an diesem Mittag ein in großen Teilen exzellentes Menü, geprägt von Leichtigkeit, Originalität und nicht nur geschmackvoller, sondern auch wohlschmeckender Ästhetik. Der Service ist jung, freundlich und ungezwungen, die Weinkarte umfangreich, die Patisserie zum Träumen und die Atmosphäre außergewöhnlich. Berlin, ich komme wieder – obwohl ich gerade erst angekommen bin.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Facil (→ Website)
Chef de Cuisine: Michael Kempf
Ort: Berlin, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 21.10.2011
Guide Michelin (D 2011): *
Meine Bewertung dieses Essens 7,5 (Was bedeutet das?)