La Vision – gegessen, vergessen

Vor einigen Jahren, noch bevor Küchenchef Hans Horberth das Ruder im Kölner La Vision übernahm und zügig zwei Michelin-Sterne erkochte, war ich schon einmal hier oben, im elften Stock des „Hotels im Wasserturm“. Damals war ich eher zurückhaltend begeistert.

Doch heute sind neue Zeiten, mit neuem Koch und neuen Sternen. Aus diesem Grund sitze ich jetzt wieder hier und bin gespannt, ob Köln – neben dem Evergreen Le Moissonnier – mit einer weiteren kulinarischen Spitzenadresse aufwarten kann.

Am Tisch begleitet zunächst ein begrüßenswert volles Glas Bruno Paillard Rosé (€ 17) mein Stöbern in der Speisekarte. Diese bietet zwei flexible Menüs (bis zu 6 Gänge zu € 125) und einige Klassiker à la carte.

Dass man in den dunklen Wintermonaten nur wenig von dem Panoramablick hier oben profitieren kann, ist schade. Umso mehr erhoffe ich mir die schöne Aussicht auf kulinarischer Seite.

Es werden vier kleine Amusesserviert. Der unnötige Hinweis, dass man das Zedernholzstäbchen, auf dem sich etwas (nahezu Geschmacksfreies) vom Taschenkrebs befindet, nicht mitessen soll, ist genau an der falschen Stelle platziert. Stattdessen kaue ich bei einem recht inspirationslosen Ziegenkäsebällchen eine halbe Minute auf einer fremdartigen Masse herum, bevor ich merke, dass die Enzyme in meinem Mund völlig wirkungslos gegen sie sind: es handelt sich um Papier, in dem der kugelförmige Snack angerichtet wurde. Wie ungeschickt von mir. Doch in Zeiten von Essen, das in allen erdenklichen Formen, Farben und Aggregatzuständen auf den Tisch kommt, kann man schließlich nie so genau wissen. Langweilig waren die vier Kleinigkeiten in jedem Fall.

Die dann folgenden Bouchot-Muscheln in ihrem Sud sind qualitativ leider zu gewöhnlich, um durch Produktpurismus überzeugen zu können, und ein dazu in einer Muschelschale serviertes Brunnenkresse-Granité katapultiert die Geschmacksempfindung „bitter“ auf eine neue Ebene. Genießbar ist das nicht. Da wünsche ich mir eine so anmutige und feine Kreation wie die von Dirk Luther auf den Tisch, die mich erst kürzlich mit demselben Protagonisten maßlos begeistern konnte.

Der folgende Seeigel mit Olive ist ganz recht, tröstet jedoch noch nicht über den enttäuschenden Beginn hinweg.

Erster Gang des Menüs ist Jakobsmuschel / Schwarze Zwiebel. Auf dem Teller befinden sich drei Tranchen von der Jakobsmuschel, dazu leicht geräucherter Baeri-Kaviar, Yuzu, Sauerrahm und schwarze Zwiebeln. Die prinzipiell harmonische Komposition löst gleichwohl kein kulinarisches Feuerwerk aus. Weder ist die Jakobsmuschel qualitativ besonders hervorzuheben, noch überzeugt die etwas friemelige Konstruktion, die dazu gleich dreifach vorhanden ist.

Die Atlantik-Seezunge „ganz in Weiß“ mit Jasminreis, Enokipilzen und Kokosschaum wurde mir besonders empfohlen. Auf die Tatsache, dass alle Bestandteile des Gerichts weiß sind, scheint die Dame aus dem Service recht stolz zu sein. Nach ein paar Gabeln frage ich mich, was es meinem ohnehin farbenblinden Gaumen nützt, wenn das dominierende Aroma des Gerichts das von süßlicher Kokosnuss ist. Erwärmte man eine Handvoll Ferrero „Rafaello“ schmeckte das wahrscheinlich recht ähnlich.

In der Zwischenzeit spult der heute Abend offensichtlich wenig enthusiastische Sommelier eine Weinbegleitung ab (€ 77), die ich über mich ergehen lasse. Selbst hier: Temperaturprobleme bei nahezu jedem Wein: ein eiskalter und damit aromafreier Meursault benötigt zwei Gänge, um zur richtigen Temperatur zu gelangen, ein 1994 Castello Dei Rampolla Sammarco hatte definitiv Kork und wird durch einen zimmerwarmen Wein aus dem Priorat ersetzt. Meine Anmerkungen stoßen auf Unverständnis und Gleichgültigkeit.

Der folgende Gang Aal / Rosenkohl beinhaltet in einem separat gereichten Schälchen zur Abwechslung mal eine hervorragende Kreation. Diese ist „süffig“, subtil und mit einer leichten Süße von Preiselbeeren. Leider ist in der Karte nicht weiter beschrieben, worum es sich bei diesem Extra handelt, und bei der Erläuterung vom Service war ich offenbar nicht aufmerksam. Die eigentliche Komposition jedoch – kross gebratener Aal auf gezupftem Rosenkohl in Rosenkohlsud – ist blass, schmeckt irgendwie nach Schinkenwurst und, viel schlimmer, hinterlässt für die nächsten 60 Minuten einen bitteren Nachgeschmack am Gaumen, den man selbst durch Brot, Butter und Champagner nicht bekämpfen kann. Das sinnlose grüne Stück Esspapier, das ebenfalls auf dem Tisch steht, hilft auch nicht weiter.

Nach so vielen Enttäuschungen möchte ich eigentlich gar nicht mehr weiteressen, doch die Neugier auf zumindest ein wirkliches Highlight überwiegt.

Das Zicklein aus der Eifel, das in drei Varianten, mit Chicorée, gelber Bete und einer „Wacholder-Tonicreduktion“ serviert wird, zeigt lediglich, dass die Küche verschiedene Garmethoden beherrscht, lässt jedoch Einfallsreichtum oder gar herausragende Produkt-Highlights vermissen – abgesehen von der etwas unsicher wirkenden Präsentation. Ja, sicherlich schmeckt das ganz akzeptabel, aber jedweder Enthusiasmus wäre hier fehl am Platz.

Der Käsegang „4 / 4“ hat vier Sorten Rohmilchkäse in jeweils vier Reifegraden zur Auswahl. Ich entscheide mich für vier unterschiedlich gereifte Stück Brin d'Amour. Zu dieser begrüßenswert originellen „Käse-Vertikalverkostung“ wird eine Rosmarinkartoffel gereicht – ebenfalls originell und harmonierender als so manche Feigensenfsauce. Das ist ein richtig gelungener Käsegang.

Ein Gruß aus der Patisserie kommt in Form von warmem Milchreis mit Zimt-Tee, darauf etwas Puffreis. Das schmeckt etwas ungeschickt nach „Wrigley’s Big Red“ und ist mir ohnehin eine zu wässrige Angelegenheit. Auch der Puffreis ist ziemlich dominant.

Das Dessert, Mandel / Apfel, „mit Mandelschaum, in Salzbutter gebratener Sternrenette mit Gewürzkaramell und Koriandersorbet“ kann ebenfalls nicht überzeugen. Eine Currysauce und ein Koriandereis wollen Andersartigkeit forcieren, schlagen damit jedoch zumindest an meinem Gaumen fehl – so wie es die meisten „Desserts“ bei mir tun, die versuchen, alles außer einer wirklichen Süßspeise zu sein.

Ganz hervorragend sind dann zu guter Letzt die Pralinen, die ich fast alle verputze, während ich (mühselig lange) auf die Rechnung und ein neues Glas Wasser warte. Zum Beispiel ist ein Salbeiparfait ganz hervorragend und schmeckt wunderbar träumerisch nach Wald, Herbstlaub und Tanne. Ebenso begeisternd ist eine intensive Mokkapraline, die durch eine hervorragende Schokoladenqualität besticht; ein buttriges kleines Küchlein erfreut ebenso. Meine „Genussrezeptoren“ saugen die vierzehn Köstlichkeiten auf wie ein trockener Schwamm.

Man kann es drehen und wenden wie man will: von den Speisen, die hier heute aus der Küche kamen, wird mir keine positiv in Erinnerung bleiben. Keine Produkthighlights, keine besondere Handschrift, kein Gericht, das mir „richtig gut geschmeckt hat“. Damit bleibt dieser Besuch einer der seltenen durchweg enttäuschenden Erlebnisse in der meist glanzvolleren Spitzengastronomie. Doch auch solche Besuche bereue ich nicht.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: La Vision (→ Website)
Chef de Cuisine: Hans Horberth
Ort: Köln, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 15.02.2012
Guide Michelin (D 2012): **
Meine Bewertung dieses Essens 5 (Was bedeutet das?)