Akelarre – fast Erdbeersaison

Den Schock vom Arzak noch im Nacken, steht an diesem Freitagabend die zweite und auch schon letzte Station meiner kurzen Expedition in die baskische Drei-Sterne-Küche auf der Agenda. Hoffnungsvoll begebe ich mich heute in die Hände von Pedro Subijana Reza, von dem man – zumindest in Deutschland – so gut wie nichts hört.

Das Restaurant befindet sich in einem höher gelegenen Teil von San Sebastián. Der moderne Flachbau steht direkt an einem Hang. Wäre es nicht dunkel, hätte man von hier aus einen grandiosen Ausblick über den Golf von Biskaya.

Leider greift das Interieur die klare Modernität des Gebäudes nicht auf. Der viel zu grell ausgeleuchtete Speisesaal ist recht bizarr konstruiert. Von zwei vermutlich der Aussicht bei Tageslicht wegen unterschiedlich hohen Sitzebenen befindet sich eine unter einem Spitzdach aus Holz und ist mit halbhohen Wänden von der tieferen Sitzebene abgetrennt. Das wirkt ein bisschen wie das Innere eines Tempels. Wie gut, dass ich erst später erfahre, dass „Akelarre“ (in eigentlicher Schreibweise mit Doppel-r) das baskische Wort für Hexensabbat ist, sonst hätte ich das ganze Szenario hier ziemlich okkult gefunden, zumal den gesamten Abend über auch nur zwei weitere Tische besetzt sind – an einem Freitag! Ein wirklich gutes Omen ist das nicht.

Über die beklemmende, fast depressive Atmosphäre – es ist so leise, dass Flüstern schon laut erscheint – hilft kurzzeitig ein Glas Champagner hinweg (Delamotte blanc de blanc für faire € 10), doch die Omnipräsenz der einen stets beobachtenden Kellner sorgt den gesamten Abend für eine unzeitgemäße Förmlichkeit und den Drang, hier eigentlich schnell wieder raus zu wollen. Die Hoffnung auf ein Essen, das einen alles Drumherum vergessen lässt, steigert sich. Und sowieso: lieber ein grandioses Essen in bescheidenem Ambiente als umgekehrt.

Eine sehr freundliche Dame erläutert am Tisch die Karte. Neben einzelnen Gerichten à la carte gibt es zwei Degustationsmenüs („Aranori“ und „Bekarki“, was auch immer das bedeuten mag, zu jeweils überschaubaren € 145). „Bekarki“ spricht mich ein wenig mehr an, aber das ist – die Gerichte und den Küchenstil nicht kennend – nur ein Bauchgefühl.

Den Anfang machen ein paar Appetizers in Form des Sea Garden. In einem rechteckigen Schälchen findet man eine Handvoll Kleinigkeiten mit Assoziationen zum Meer. Ein Austernblatt; eine Miesmuschel mit einer etwas bröseligen Hülle aus Kakao; ein „Seeigelschwamm“; „Kieselsteine“ mit Schalotten und Mais; und eine frittierte „Koralle“ von Teilen der Entenmuschel. Selbst der „Sand“ ist essbar, da aus Krustentier hergestellt.

Das ist konzeptionell recht schlüssig, aber alles ziemlich trocken. Da kann man lange drüber philosophieren – oder das einfach sein lassen und sich fragen, warum man daraus nicht einfach etwas wirklich Schmackhaftes gemacht hat.

Der erste Gang des Menüs, Xangurro in Essence, its Coral Blini and “Gurullos” ist eine ausgelöste Schere von der Teufelskrabbe auf einem Blini vom Krebsrogen. Dazu, links auf dem Teller, Pasta in reisähnlicher Form. Das ist nicht mehr als ganz nett, und auch hier lässt sich die Empfindung „trocken“ nicht ignorieren. Weder die Produktqualität noch die Aromen können mich begeistern. Abermals ist das fern von jedweder Großartigkeit und einfach nur „essbar“.

Razor Shell with Veal Shank (Stabmuschel mit Kalbshaxe) ist ein merkwürdiges Gericht mit einer unappetitlich stark gebundenen und muffig schmeckenden Sauce und weiteren, schleimigen Komponenten. Ein als cauliflower mushroom bezeichneter Pilz ist zwar vom Biss ganz interessant, hebt das Gericht jedoch nicht in genussreiche Sphären. In der Karte ist das Gericht untertitelt mit „Textures, flavours, contrasts“. Falls damit auf die breiige Textur, die neutralen Aromen und die nicht vorhandenen Kontraste angespielt wird, ist diese Beschreibung ein Volltreffer. Aufessen möchte ich das nicht.

Als hervorragendes Produkt präsentiert sich Sauteed Fresh Foie Gras with “Salt Flakes and Grain Pepper”. Was wie Fleur de Sel aussieht ist eine Präparation aus Zucker und etwas Salz; der „Pfeffer“ besteht aus Reis. Das ist einfallsreich und passend, lediglich der ziemlich bittere Weinsud stört die sonst stimmige Komposition.

Das beste Gericht des Abends ist Pasta Carpaccio, Piquillo and Iberic with Parmesan shrooms. Auch hier setzt man auf Illusion als Überraschungsmoment: das „Carpaccio“ sieht aus und schmeckt sogar ein bisschen wie Fleisch, ist jedoch mit Paprika eingefärbte Pasta, die in Schinkensud aromatisiert wurde. Dazu gesellen sich einige aromatisch und texturell spannende Komponenten wie dehydrierte Bete, einige Kräuter, Trüffeln und Parmesan. Nach einigem Stöbern und Herumprobieren fühlt sich das ein wenig so an wie ein Waldspaziergang. Ziemlich originell und wohlschmeckend, wenngleich ich mir hierzu auch gut einen unterstützenden Jus oder ein Dressing vorstellen könnte – oder einfach nur etwas Olivenöl. Dennoch gut.

Ganz hervorragend ist auch der weiße Rioja, ein 1981 Viña Tondonia von Lopez de Heredia, ein komplexer Wein voller Finesse, mit einer rauchig-mandelig oxidativen Note. Es ist großartig, dass man in Spanien selbst solche Schätze für vergleichsweise moderate 98 Euro probieren kann.

An diesen Weingenuss muss ich mich ab jetzt klammern, denn das Niveau des Essens rauscht jetzt rapide in den Keller. Turbot with “Kokotxa”, dessen Komponenten (bis auf eine „Pil-Pil-Sauce“) alle aus Steinbutt gemacht sind, ist penetrant fischig (riecht auch so) und schleimig. Ich bin ziemlich enttäuscht. Kann man eigentlich nur in Paris wirklich großartigen Fisch essen? Ich bin ratlos und lasse abermals etwas auf dem Teller – auf diesem Kurztrip mittlerweile Usus.

Es folgt “Desalted” Cod Box with Shavings. Die Idee dahinter basiert auf einer vergangenen baskischen Transport- oder Konservierungsmethode für Fisch, der in Holzkisten (auf Späne) und mit Salz gelagert wurde. Der Fisch kommt auch hier in einer Holzbox, in der erneut bestimmte Komponenten (Holzspäne, Salz) nicht das sind, was sie vorzugeben scheinen. Der Kabeljau wird auf einer Art Tomatenessenz, in der sich weitere Präparationen vom Fisch befinden, angerichtet und mit den „Spänen“ (Frittiertes) dekoriert. So weit, so gut.

Hat man sich durch die trockenen Späne gekämpft, empfängt einen ein akzeptables, aber recht neutrales, Fischfilet und ein sehr nach mit Xanthan angedickt erscheinendem Sud. Fad und langweilig.

Das Fleischgericht klingt recht vielversprechend (Roasted Suckling Pig with Tomato “Bolao” and Iberian Emulsion), entpuppt sich jedoch als völlig misslungen. Das Fleisch vom Ferkel hat eine viel zu dicke, lederartige Haut, die Garung lässt ebenfalls sehr zu wünschen übrig, und die unpassend süß-säuerliche Sauce ist erneut befremdlich angedickt. Die Tomatenbaisers zerspringen am Gaumen zu Hustenreiz auslösendem Staub. Jämmerlich! Vielleicht hätte ich die kleingedruckte Bedienungsanleitung in der Karte beachten sollen: „To get a crispy and juicy texture, the baby pig is cooked in Iberian broth and finished in the oven. Start with the baby pig with tomato ‘bolao’; continue with another bit of the iberico emulsion. Finish tasting all together.”

Der Käsegang, Milk and Grape, Cheese and Wine in Parallel Evolution, ist abermals ein „Gericht“ zum Stehenlassen. Verschiedene Käse oder andere Milcherzeugnisse wurden teilweise in abscheuliche Texturen überführt (so wie die geleeartige Schafsmilch ganz links); zwei banale Weintraubenhälften buhlen auf „puderförmigem Frischkäse“ um Beachtung; und für die verdächtig nach Kokain aussehende Line fehlt offenbar das richtige Besteck, z. B. ein Geldschein oder ein silbernes Röhrchen. Verstörend.

Besonders tragisch ist auch das Dessert, Layered Strawberry and Cream. Die nach grässlichster Industrieerdbeere schmeckenden, extrem süßen Präparationen sind kaum essbar. Meine spätere Nachfrage, ob überhaupt schon Saison für Erdbeeren sei, scheint die Bedienung etwas peinlich zu berühren: „Almost!“, erwidert sie und hat sich damit selbst beantwortet, warum ich fast alles auf dem Teller lasse.

Ein anschließend noch servierter „Mojito“ ist ausnahmsweise mal exzellent; die Pralinen dagegen gewöhnlich.

Was bleibt? Die Erfahrung eines erneut frustrierenden Essens in dieser Region, bei dem Wohlgeschmack vollständig auf der Strecke blieb und auch Produkthighlights nicht zu finden waren. Handwerkliche Fehler (mangelhafte Saucen; Garungen), keine einzige gelungene Aromakomposition, viele Verfremdungen, ein offensichtliches Unverständnis von Jahreszeiten („Erdbeere“) und eine sehr bedrückende, förmliche Atmosphäre gaben diesem Essen den Rest.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Akelarre (→ Website)
Chef de Cuisine: Pedro Subijana
Ort: San Sebastián, Spanien
Datum dieses Besuchs: 23.03.2012
Guide Michelin (ES 2012): ***
Meine Bewertung dieses Essens 5 (Was bedeutet das?)