Astrance

Nirgendwo sonst sind gerade die Drei-Sterne-Restaurants so pompös wie in Paris. Kronleuchter, Wandteppiche, Holzvertäfelungen, Marmor, Tafelsilber..., also genau die Art von luxuriösem Ambiente, die vom Michelin mit vier oder fünf „gekreuzten Bestecken“ gekennzeichnet ist (und die von vielen als Voraussetzung für die Sterne missverstanden wird).

Das nur sechsundzwanzig Gäste beherbergende, nach einem (nicht essbaren) Doldengewächs benannte Astrance, nahe dem Eiffelturm, bildet zusammen mit Alain Passards Arpège in Paris die einzige Ausnahme hierzu. Zwar geht es auch im Astrance keinesfalls bescheiden zu, doch das Interieur ist hier modern und sachlich. Die dominierenden Farben Gelb (Sitzbänke) und Grau (Wände) sagen mir nicht besonders zu, aber das ist natürlich reine Geschmackssache.

Seit 2007 zeichnet der Guide die Küche dieses von Küchenchef Pascal Barbot und Manager Christophe Rohat geführten Hauses kontinuierlich mit der Höchstwertung aus. Als einziges Restaurant dieser Kategorie in Paris gibt es hier keine Speisekarte. Stattdessen findet man den Hinweis auf eine kulinarische Reise vor (€ 210 bzw. € 330 mit Weinbegleitung), deren Leitmotive „Authentizität der Produkte“ und „Vorstellungskraft“ sind. Das ist so zu verstehen, dass Pascal Barbot täglich neue Gerichte erfindet – auf Grundlage der verfügbaren Produkte und seiner Ideen.

Das Menü beginnt mit zwei kleinen Snacks, die auf einer Schieferplatte serviert werden: ein kleines Stück lauwarme Brioche mit Rosmarin-Zitronenbutter sowie eine Art Mandeltaler mit Püree von grünem Apfel und Praliné. Ein Gedankenauszug:

Ach, Brioche! Mal probieren. / Hm… Ganz nett mit dem Rosmarin und dem Zitronenaroma. / Aber so eine Brioche habe ich auch schon mal saftiger gegessen, oder? Mit mehr Butter. / Ja, ganz klar. Die hier ist nicht so toll, Rosmarinzeugs hin oder her. / Mal den anderen Snack probieren. / Irgendwie weihnachtlich… das ist ganz gut. / Aber kann ich mich im Astrance(!) jetzt den ganzen Abend nur über „ganz gute“ Sachen freuen? / Ruhig bleiben. / Erst mal abwarten. / Aber es gibt doch Restaurants, bei denen man nicht erst mal abwarten muss, um Großartigkeit zu erleben…

Der Sommelier nimmt in der Zwischenzeit unaufgefordert das Glas Champagner zurück vom Tisch, um es gegen ein „besser temperiertes“ auszutauschen. Da mir das bisherige Glas nicht zu warm erschien und auch das neue dann nicht merkbar kühler ist, war dies ein aufmerksames, aber nicht weiter relevantes Intermezzo.

Eine Erbsen-Velouté mit Ingwerjoghurt und Safran-Kardamom-Schaum schmeckt zwar wenig nach Erbse, dafür aber sehr floral, fast wie ein Parfum. Selten habe ich die Analogie zwischen Geruchs- und Geschmackssinn so eindringlich wahrgenommen wie hier. Man isst einen „flüssigen Duft“. Faszinierend!

Mit einer „Galette“ von in Verjus marinierter Foie gras, Champignons de Paris folgt ein Klassiker des Hauses. Das hör- und fühlbare Zerbrechen der hauchdünn aufgeschnittenen rohen Pilze ist zwar ein Erlebnis seltener Güte, doch von diesem Textur-Erlebnis abgesehen ist das aufwändige Konstrukt nicht besonders spannend. Eigentlich nimmt man nur die sehr feinen Champignons und die Zitronenmasse war. Das ist interessant, erzeugt jedoch eher ein Fragezeichen als puren Genuss.

Mit dem nächsten Gang dreht dann der Wind. Ein (wunderhübsches) Arrangement von Gemüsen, Kräutern, Blüten und Kaisergranat von Paris-üblicher Perfektion wird mit einer Krustentierconsommé aufgegossen und ergibt eine Komposition von ergreifender Harmonie. Die Gemüse sind knackig und aromatisch. Separat dazu werden kleine knusprige Röllchen mit pikant gewürztem Inhalt (Krustentierfarce?) gereicht, die dem eleganten Gericht einen selbst justierbaren Textur- und Schärfe-Kick hinzufügen. Ein wunderbares, leichtes Gericht voller Finesse und Eleganz. Haute Couture auf dem Teller.

Ein weißer Spargel ist mit seinen feinen orientalischen Akzenten sehr spannend und zeigt, dass auch ein einzelnes Exemplar dieses Gemüses absolut begeistern kann.

Ein Petersfisch mit Chinakohl, Miso-Haselnuss-Vanillebutter und geschabter Birne und Ingwer ist auf einer Linie mit der grandiosen Produktqualität der vorherigen Gänge. Auch hier stehen feine, klare Aromen im Vordergrund der begeisternden Kreation.

Die Weinbegleitung ist herausragend. Mir weitestgehend unbekannte Weine kleinerer Weingüter stehen im Vordergrund der Selektion des smarten Sommeliers. Einen 2008 Vielles Vignes von der Domaine Gauby errate ich immerhin zutreffend.

Doch im Menü wechselt der Wind erneut die Richtung. Ein Fleischgang mit Lammhals, Morcheln in Vin Jaune und geschmolzenem Parmesan ist zweifellos von bestmöglicher Qualität und Zubereitung, hinterlässt aber ein weitestgehend säuerlich-käsiges Geschmacksbild.

Auch eine Ente aus Challans mit Sauerkirschpüree und Mandeln ist leider nicht mein Fall – zu rosa, und man sucht das Besondere.

Interessant zu beobachten ist, wie stark Pascal Barbot improvisiert. Man findet keinen Teller genauso an einem Nachbartisch wieder: mal ist es ein anderes Püree, mal ist der Spargel grün statt weiß usw. Der zentrale Gedanke der jeweiligen Komposition bleibt dabei jedoch immer bestehen. Diese Spontaneität ist sympathisch, da nahezu jedes Gericht ein Einzelstück ist. Es gibt Stammgäste, für die Barbot ein völlig eigenes Menü auf Grundlage individueller Vorlieben ersinnt. Ich kann z. B. an diesem Abend beobachten, dass an einem Tisch sonderbarerweise fast nur Gerichte mit Krustentieren auf den Tisch kommen.

Vielleicht ist diese Improvisation, so meisterhaft sie auch ist, der Grund, warum (mich) nicht alle Kreationen überzeugen. Üblicherweise elaborieren Küchenchefs ihre Gerichte über lange Zeit – hier sind es ggf. nur Stunden oder sogar spontane Einfälle.

So ist ein Püree mit Kartoffel, Quark und Thymian-Vanille-Eis das einzige Gericht, an dem ich noch wirklich Gefallen finde.

Die Desserts sind alle „irgendwie okay“, verlieren sich aber häufig in Monotonie durch eine zu häufig eingesetzte, forciert wirkende Schärfe, und ein Obstteller mit grob geschnittenen exotischen Früchten, die selbst ich schon in besserer Qualität eingekauft habe, verwirrt eher als er gefällt.

Drei Michelin-Sterne hin, Top-20-Platzierungen in den „World’s 50 Best Restaurants“ her, bleibt – trotz einiger Highlights, die derartige Auszeichnungen rechtfertigen mögen – ein etwas fader Nachgeschmack. In dieser Stadt gibt es kulinarisch deutlich Großartigeres zu entdecken.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Astrance
Chef de Cuisine: Pascal Barbot
Ort: Paris, Frankreich
Datum dieses Besuchs: 11.05.2012
Guide Michelin (F 2012): ***
Meine Bewertung dieses Essens 8 (Was bedeutet das?)