Margaux – Fleisch: 0, Aromen: 100

Das mit der Null stimmt nicht ganz. Ich habe noch Kabeljau als zusätzlichen Gang bestellt. Doch das achtgängige Menü „Terroir Gemüse“ (wie auch immer man das ohne Bindestrich verstehen soll) kommt ansonsten gänzlich ohne tierische Produkte aus (€ 160).

Ich bin heute Abend in Michael Hoffmanns Restaurant Margaux, nur einen Steinwurf vom Brandenburger Tor entfernt. Dem Taxifahrer ist es unbekannt, dabei zählt es zu Berlins besten. Der Michelin führt es schon zum wiederholten Mal als „Hoffnungsträger“ für einen zweiten Stern auf.

Das Margaux ist kein vegetarisches Restaurant, aber Michael Hoffmann hat sich speziell mit seiner Gemüseküche (aus eigenem Anbau) über die Grenzen Berlins hinweg einen überaus guten Ruf erarbeitet. Mehrere Reservierungen hatte ich hier bereits – alle musste ich bisher wieder absagen. Heute habe ich es endlich geschafft.

Das Interieur ist auf eine charmante Art unkonventionell. Einige der zahlreichen Stützpfeiler sind mit einer goldgelb leuchtenden, halbtransparenten Verkleidung in Natursteinoptik ummantelt und schaffen so innerhalb des Saals einige gemütliche „Zwischenräume“. Der Fußboden ist aus schwarzem Marmor, die Tischtücher weiß und die gepolsterten Sessel senffarben oder rot. Dann gibt es noch eine Sitzbank mit integrierter Vitrine auf Augenhöhe (darin Kristalle), einen zusätzlich abgetrennten kleinen Speisesaal an der straßenseitigen Fensterfront (es gibt noch eine nach hinten raus) sowie einige Möbel aus dunklem Holz. Das mag etwas unruhig klingen, aber die Atmosphäre ist warm und gemütlich.

Die ersten beiden Amuse-Bouches gelangen an den Tisch. Als erstes ein Blatt getrockneter sibirischer Kohl mit Paprika und Physalischutney, das eine spielerische Süße aufweist, danach ein pikantes, texturell abwechslungsreiches und aromatisch hervorragendes Trio von Hörnchenkürbis, Minze und Quinoamüsli. Ein erfrischend origineller und höchst schmackhafter Start!

Ohne an Höhe zu verlieren geht der Start weiter mit „Brotkruste/Bronzefenchel“. Der akkurat angerichtete Teller voller unscheinbarer Kleinigkeiten (Gemüse, Kräutergel, Orangenschaum und mehr) hat es richtig in sich: Süße, leichte Schärfe, einen flüchtigen Hauch Orientalik, Frische, Knackigkeit… wirklich beeindruckend.

Der Service ist jung und nett, aber ein wenig zu förmlich und schon zu Beginn schnell überfordert: als das Restaurant sich langsam füllt, findet mein Tisch keine Beachtung mehr. Schade eigentlich – und auch nicht besonders geschäftstüchtig –, denn ich wollte gerade Wein bestellen (also das Einzige, mit dem ein Restaurant nennenswerten Gewinn erzielt).

Einige Zeit später steht dann schließlich doch ein beglückender 2009 Berg Schlossberg Riesling von August Kesseler (€ 100)in einem Kühler neben dem Tisch, und auf Nachfrage ist auch mein Wasserglas wieder befüllt.

In der Zeit bis zum nächsten Gang ist das ohnehin nur sehr gering gefüllte  Weinglas zwar wieder leer, aber „Tomate, Basilikum, Pflücksalat / ‚Gazpacho Verde‘“ degustiert sich auch ohne Wein ganz hervorragend. Hier überzeugt ein komplexes, aber dennoch einfach zu verstehendes, Zusammenspiel der frischen, kühlen Zutaten. Und das separat servierte Gazpacho ist geschmacklich das beste, das ich je probiert habe. Ganz große Klasse!

Leider bleiben die leeren Teller lange stehen, die Weingläser sind immer noch leer (versiertes Personal hätte mir zu diesem Zeitpunkt des Menüs schon eine zweite Flasche verkaufen können), und nach Wasser muss man auch immer wieder fragen. Das ist kein Drama, aber schon ein wenig lästig, denn im Restaurant möchte ich nun wirklich nicht auf dem Trockenen sitzen müssen. Und selbst nach dem Weinkühler zu greifen ist auch keine Option. Als der Kellner irgendwann mal wieder in Reichweite ist, weise ich ihn kurz auf den Füllstand meines Glases hin. Das Versäumnis ist ihm sichtlich unangenehm. Danach wird es besser.

Das Wichtigste jedoch – das Essen – bleibt auch beim Folgegang auf hervorragendem Niveau. Sellerie, Radieschen, Gurke / Lauch Gartenkräuter, Zitrone ist nicht nur eine glanzvolle Darbietung von „kräuteriger Harmonie“, sondern auch eine Hommage an den Sellerie. Sellerie! So kann der also schmecken – und schafft es damit mühelos ist die Liste meiner besten Gerichte mit ebendieser Zutat.

Die bisherigen Gerichte lassen mich zu diesem Zeitpunkt begeisterter zurück als vegetarische Pendants in vergleichbar fleischarmen, aber viel berühmteren Restaurants wie Arpège oder Noma.

Als nächstes folgt Gemüse / Textur & Boullion, danach „Chinesische Keule“ (dahinter steckt eine Kohlsorte) / Junge Bohnen, Paprika, Schafsjoghurt, Basilikum. Beide Gänge sind sehr gut, aromatisch anspruchsvoll und von den Texturen her abwechslungsreich. Ich freue mich dennoch auf den folgenden, von mir ins Menü eingeschobenen Fischgang.

„Bourride“ / gegrillte Sepia, Kabeljau, Melone ist geschmacklich stimmig. Etwas pikant, die Produkte überzeugen, auch aromatisch gefällt mir das sehr gut, doch ein ganz kleines Bisschen beginnt die Vielfalt an Zutaten auch zu überfordern.

Der einzige wirkliche Ausrutscher im Menü ist dann „Ein Teller Spinat“ / Eigelb, frische Kräuter, zu dem mir nur „ziemlich fad“ einfällt, bevor es weitergeht mit dem für mich besten Gericht des Abends, Aubergine, Erbse, Melone mit Süßdolde, Minze, eingelegtem Koriander und Zwiebeln.

Man muss schon sehr genau hinsehen, um die Aubergine nicht für ein Stück Fleisch zu halten – oder einfach seine Nase dafür bemühen. Die olfaktorische Eleganz der geschmorten Aubergine ist betörend.

Auch geschmacklich überzeugt das Gericht in höchstem Maß. Limonenabrieb, Erbsen, Zwiebeln, der Sud, all das ist überaus wohlschmeckend. Nur die Minze muss man dringend weglassen – sie übertönt sämtliche Nuancen! Wer bei diesem Teller bereut, dass die Aubergine kein Stück Fleisch ist, ist ein kulinarischer Grobmotoriker.

Was dann auf den flüchtigen Blick aussieht wie ein Teller mit Fisch und kleinen Speckwürfeln, ist Patisson, Mangold, Würzkräuter / Dicke Bohnen, Röstzwiebeln – ein abermals hervorragender Gang voller Wohlgeschmack.

Der Flasche Riesling ist inzwischen leer. Für das Dessert bitte ich dann um eine glasweise Begleitung. Der servierte Wein (nicht notiert) ist jedoch ziemlich schwach. Meine Frage an den Sommelier, ob er uns nicht einen etwas „ernsthafteren“ Wein servieren könne, scheint ihm zu gefallen, denn er lächelt verständnisvoll. Wenig später ist eine sehr gute Beerenauslese (ich glaube von Kracher, aber auch hier habe ich keine Notizen) im Glas.

Den Wein finde ich besser als das Dessert, Pfirsich, Buttermilch, Fenchel / im Pergament serviert. Das ist zwar ein stimmiges Ensemble, doch ist der Pfirsich nicht so aromatisch wie erhofft. Ob der auch aus eigenem Anbau stammt? Falls ja, wäre die authentische Komponente natürlich nicht von der Hand zu weisen.

Die kleinen Süßspeisen zum Abschluss sind dann wieder exzellent.

Keine Frage, das gebotene Menü macht das Margaux für mich zu einer der kulinarischen Empfehlungen in Berlin. Wer das Gemüse-Menü von Herrn Hoffmann nicht kennt, sollte sich definitiv darauf einlassen. Dass Gemüse auch in der gehobenen Küche eine so große Rolle einnehmen kann, ist für mich selbstverständlich keine Überraschung. Jedes Produkt kann überragend sein; das muss man nicht kategorisieren.

Und genau an diesem Punkt gibt es im Margaux dann auch ein kleines Aber: Denn trotz meiner Begeisterung – vor allem der erfrischenden Originalität wegen – ist das Ende der Genussskala hier noch nicht erreicht. So stand bei keinem Gericht ein einzelnes Produkt in seiner natürlichen Perfektion im Fokus, sondern immer mehrere Zutaten im Zusammenspiel. Das gelingt zwar fast immer hervorragend, aber es fehlte mir zwischendurch auch mal eine Aussage wie „das hier ist eine perfekte Karotte, perfekt zubereitet“. Aber ich messe hier gerade an den ganz Großen – ein gutes Zeichen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Margaux (→ Website)
Chef de Cuisine: Michael Hoffmann
Ort: Berlin, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 11.08.2012
Guide Michelin (D 2012): *
Meine Bewertung dieses Essens 7,5 (Was bedeutet das?)