Jungsik – Koreanisch auf Französisch in Amerika

Als der Guide Michelin in seiner 2014er-Ausgabe für New York City ein koreanisches Restaurant mit zwei Sternen auszeichnete, war mein Interesse dafür geweckt. Koreanisch isst man schließlich nicht alle Tage (ich wüsste nicht, wann ich das überhaupt mal getan habe), und wenn, dann vermutlich eher als falsch interpretierte Landesküche in einem „Spezialitätenrestaurant“ zweifelhafter Art.

Da ich die koreanische Küche kaum einordnen kann, bin ich umso gespannter, als ich heute Abend das Jungsik (sprich: dschang-schick) im Stadtteil Tribeca betrete.

Dass es sich hier um fine dining handelt, wird spätestens klar, sobald man eintritt: hochwertige Materialien, uniformiertes Personal, Gäste in Abendgarderobe, sprich: recht förmlich.

Die Speiseauswahl gestaltet sich nicht leicht. Sechzehn Gerichte (sowie vier Desserts), jeweils als kleine und große Portion, unterteilt in die Kategorien Vorspeisen, Reis, Fisch und Fleisch erlauben mannigfaltige Kombinationsmöglichkeiten (nämlich 1.048.575, wenn man davon ausgeht, theoretisch 1-20 verschiedene Gerichte bestellen zu können und man die Reihenfolge und Portionsgröße außer Acht lässt – und ich mich nicht verrechnet habe; eine Korrektur ist jederzeit willkommen).

Auf eine dieser Möglichkeiten fällt irgendwann meine Wahl.

Vorab gibt es eine kleine Variation an Amuse-Bouches, recht teiglastig, würzig-herzhaft, aber auch schnell wieder vergessen.

Meine erste gewählte Speise ist Oktopus mit Ssamjang-Aioli, ein Teller mit würzigen Röstaromen des (perfekt zarten) Oktopus, frischen Akzenten durch Tomate und Radieschen, aber etwas zu viel Knoblauchgeschmack. Dass hier nicht die Finesse französischer Küche zelebriert wird, muss einem bewusst bleiben! Sofern die Aromen authentisch für die koreanische Küche sind und von einer sorgfältigen Zubereitung herrühren (und daran habe ich keine Zweifel), gilt diesem Auftakt gebührender Respekt.

Aus der „Reis“-Kategorie geht es weiter mit Gelbflossen-Thun mit wildem Sesamreis und knusprigem Reis in Chips-Form. Trotz eines erkennbar hervorragenden Fischs (leicht gegart) versinkt das Gericht unter der Last eines überdosierten Algenpulvers. Dadurch allenfalls mäßig.

Der knusprige Schweinebauch mit Dwenjang-Reis und Quinoa lädt dank der kleinen, gehaltvollen Fleischfetzen zum frivolen Weglöffeln ein und weckt animalische Instinkte – und Erinnerungen an „Döner scharf und mit alles“-Sünden. Leider fehlt es dem Gericht an einer verbindenden Sauce, die die Kreation sicherlich in den siebten Süffigkeitshimmel hätte hieven können. Doch auch so sehr gut.

Es geht weiter mit Kohlenfisch (black cod) mit Soja-Pfeffer-Marinade. Wie schon beim Oktopus, macht man hier leider ein potenziell hervorragendes Produkt zunichte, in diesem Fall durch extreme Schärfe der Sauce und einen erneut zu heftigen Algengeschmack. Ich kann nur mutmaßen, dass die koreanische Küche – wie auch viele andere asiatische Küchen – viel von diesen starken Würzungen lebt und das unverfälschte Produkt weniger im Vordergrund steht. Der Versuch, edle Produkte mit diesen Extremen zu kombinieren, ist zwar hier so gut umgesetzt wie vermutlich irgend möglich, aber in sich ein eventuell nicht aufzulösender Widerspruch für produktorientierte Esser.

Als kleinen Einschub – vermutlich als Aufmerksamkeit für uns europäische Gäste – serviert die Küche überraschend einen nicht bestellten Zwischengang mit Graupenrisotto, Gänseleber und Trüffeln. Hier stimmt die Balance; das Gericht ist köstlich, aber eben auch sehr Französisch. Dass die Küche hier ihr Handwerk beherrscht, steht außer Frage.

Es folgt „Jungsik Steak“ in Form von gegrilltem Wagyu mit rotem Curry. Ein paar Tage zuvor hatte César Ramirez eindrucksvoll demonstriert, wie man Fleisch mit extrem hohem Marmorierungsgrad am besten serviert: in einer kleinen, konzentrierten Portion, die am Gaumen zergeht. Die vier Stücke auf diesem Teller sind etwas „zu gut“ gemeint, das angedickte rote Curry dazu wirkt unpassend, und die kleinen Gemüse sind zwar absichtlich kalt, aber etwas banal. Auch hier: ein gutes Produkt trifft auf durchaus gewissenhaftes Küchenhandwerk, aber die Kreation in Summe begeistert mich nicht.

Auf ein Dessert verzichten wir am Tisch einstimmig. Nicht etwa, weil wir es der Küche nicht zutrauten, sondern weil die Portionen sehr gehaltvoll waren und der erste Eindruck dieser Küche zunächst einmal sprichwörtlich verdaut werden muss.

Interessant war das allemal, aber wie so häufig mit „Länderküchen“ genießt man diese vermutlich am authentischsten vor Ort.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Jungsik (→ Website)
Chef de Cuisine: Jungsik Yim
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 31.07.2014
Guide Michelin (NYC 2014): **
Meine Bewertung dieses Essens 7 (Was bedeutet das?)