Ask for Luigi – ja, wo ist er denn?

Ciao! Ist Luigi heute da?“ – Wer sich mit dieser Eröffnung im Restaurant präsentiert, erntet höchstwahrscheinlich nicht mehr als ein müdes Lächeln. Denn Luigi gibt es nicht, zumindest nicht hier. Aber es gibt ihn – oder seine Pendants Mario, Giovanni oder Sandro – in diversen anderen italienischen Restaurants, deren Namen zu kennen einem sicherlich hie und da zu einem schnellen Tisch verhilft. Es ist die Standardfrage von Stammgästen schlechthin, selbst wenn der Stammkellner oder Inhaber in Wahrheit vielleicht Ali heißt. Der Name des Restaurants ist als Karikatur dieses wahren Klischees zu verstehen.

Die Rede ist vom Restaurant Ask for Luigi in Downtown-Eastside-Vancouver, einer zurzeit noch von einigen zweifelhaften Gestalten bevölkerten Gegend. „The neighborhood is not very safe“, warnt der Hotel-Concierge, doch der hat vermutlich nicht mitbekommen, dass die Gentrifizierung dieses Stadtteils längst voll in Gange ist. Es gibt eine pulsierende Brauerei und Weinbar einen Block weiter, ein Café mischt sich in der Nähe auch schon zwischen Fabriklagerhallen und Obdachlosenunterkunft. Und das farbige Gebäude mit schwarzem Eingang könnte mühelos als hippe Kunstgalerie durchgehen.

Der Nachbarschaftsitaliener mit dem Imperativ im Namen dürfte von diesen neuen Läden am auffälligsten sein, denn die Menschen warten hier nicht selten in Schlangen auf einen Einlass, nur, um sich dort in eine Liste eintragen zu lassen, in der man dann erst eine Reservierungszeit genannt bekommt, für vielleicht ein, zwei Stunden später.

Doch dieser Wirbel ist nicht künstlich erzeugt. Es geht alles vollkommen ungezwungen, freundlich und demokratisch zu. Der Laden ist einfach verdammt beliebt. So beliebt, dass der ursprüngliche Plan, nur abends zu öffnen, recht schnell wieder verworfen wurde.

Grund für diese Beliebtheit ist eine herzensgute italienische Küche. Süffig, hausgemacht, frisch und herzhaft. Ohne „Scampi“, ohne Pfeffermühle, ohne breit grinsende Kellner und ohne Tignanello auf der Karte (schade, eigentlich …). Stattdessen gibt es hier karge Holztische mit Blick auf eine gerade eben ausreichend große Küche, Weingläser so klein wie Fingerhüte und dazu passenden, authentisch schlichten Wein. (Dass es zusätzlich noch eine Raritätenkarte gibt, erfahre ich erst, als ich zum zweiten Mal hier bin – und schon bezahlt habe.)

Dass ich innerhalb von kurzer Zeit gleich zwei Mal hier war, hat den Grund, dass ich nach dem ersten Mal regelrecht süchtig nach dem exzellenten Essen hier war.

Ein Salat bestehend aus verschiedenen Salatblättern, leuchtend frischen Tomaten, roten Zwiebeln, Oliven, Burrata, sehr gutem Olivenöl und süffig eingelegten Brotstückchen macht zum Beispiel schon allergrößte Laune. (7/10)

Die zwei Teller Pasta, die bei meinem ersten Besuch folgen, und von denen ich abwechselnd probiere, sind wunderbar. Pancetta Trottole heißt die eine der handgemachten und ganz perfekt al dente gekochten Sorten, in deren Furchen und Aushöhlungen sich die pikant gekochten Steinpilze und der Albacore-Thunfisch verführerisch verfangen. (Aber man hätte durchaus noch mehr von den Steinpilzen schmecken dürfen.) (7/10)

Die andere Pasta beschert gleichen Hochgenuss. Mafaldine kommen mit süffigem Enten-Sugo und Taggiasca-Oliven und sind so gut abgeschmeckt, dass ich glatt noch einen Teller davon verspeisen könnte. Es bleibt aber beim Konjunktiv. (7/10)

Gut so, sonst hätte ich keinen Platz mehr gehabt für den mit Olivenöl gebackenen, saftigen Kuchen mit eingelegten Orangen. Jedes Molekül dieses Desserts versuche ich bewusst zu genießen. Schlicht, aber vom Genuss nur ganz schwer zu überbieten. (8/10)

Bei meinem zweiten Besuch – zwei Wochen später – bestelle ich noch mehr, allein der Vielfalt wegen.

Ein erfrischendes Gericht mit Gurke, Dill, Forellenrogen und Radieschen beeindruckt mich besonders. Die Gurke wurde hier nicht geschnitten, sondern in grobe Stückchen „zerschlagen“. Mit einem Nudelholz. Vielleicht wurde hierfür eigens eine Mamma eingestellt, die man pausenlos in Rage bringt, damit sie mit einem Nudelholz auf irgendetwas draufhaut. So unwahrscheinlich diese Stellenbeschreibung klingt (Was machen Sie denn so beruflich? / Na warte, du Schlingel, ich haue dir gleich einen über die Rübe!), umso sicherer ist der kulinarische Vorteil dieser Methode gegenüber scharfkantigen Scheibenvierteln. Die Gurkenstücke haben durch die poröse, heterogene Oberfläche perfekten Biss und können besonders viel von den anderen Aromaten des Tellers aufnehmen: keck pikante Radieschen, ätherischer Dill, salziger Rogen, und dazu eine konstante, angenehm kühle Temperatur, die die knackige Frische dieses Gerichts eindrucksvoll unterstreicht. Sehr gut! (7/10)

Die Freude, die ich hier empfinde, ist mir ins Gesicht geschrieben. Am Nachbartisch blickt man gerade etwas neidisch herüber, denn dort kämpft man seit zehn Minuten mit der ersten Vorspeise: einer Portion meat balls. Das sind wunderbar pikante Fleischbällchen mit darüber gehobeltem Parmesan und süffiger Tomatensauce, die normalerweise drei restlos sättigende Stück davon umfasst, an meinem Tisch jedoch nur einen. Ich hatte der Kellnerin ganz zu Beginn meinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, möglichst viel Unterschiedliches probieren zu wollen – woraufhin sie sofort kleinere Portionen anbot. Man muss als Gast auch bestellen können! Man muss wissen, was einem Spaß macht. Essen in Restaurants macht unglaublich viel mehr Spaß, wenn man genau weiß, was man will (und wenn man weiß, wo es passend ist, diesen Willen zu äußern). Das kann man lernen.

Eine abermals exzellente Pasta mit Brokkoli, Chili und Brotkrumen ist erneut wunderbar süffig/umami (durch den Parmesan und die Brotkrumen), knackig-frisch (durch den Brokkoli) und glücklich machend. (7/10)

Zwei Wochen ist es jetzt her. Zwei Wochen lang habe ich von diesem Dessert geträumt, das mir in all seinen Nuancen noch immer präsent ist. Die bittersüße Orange, der fluffige und saftige Kuchen, die mit Olivenöl aufgeschlagene Sahne.

Erneut bestelle ich diesen Dessert-Traum, schließe die Augen und weiß nur eines: bei wahrem Genuss geht es um all diese Dinge, die man hier im Ask for Luigi erleben kann. Das würde ich gerne diesem Luigi persönlich sagen. Ob der heute im Haus ist? Moment, ich frage mal.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Ask for Luigi (→ Website)
Chef de Cuisine: Jean Christophe Poirier
Ort: Vancouver, Kanada
Datum dieser Besuche: 26.07.2016 und 09.08.2016
Meine Bewertung dieser Essens (?): 7 und 7
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