Sukiyabashi Jiro Honten – die Mast

Jiro Ono ist jetzt 91 Jahre alt. Vielleicht wird er noch weitere zehn, zwanzig, neunzig Jahre hinter seinem Tresen in dem kleinen Kabuff in der U-Bahn-Unterführung in Tokio-Ginza Sushi zubereiten. Ich hoffe es. Jiro Ono ist Japans Paul Bocuse.

2014 war ich zum ersten Mal bei Jiro, zitternd vor Aufregung und Ehrfurcht. Ich hatte mir lautschriftliche Sätze notiert, die ich in bestimmten Situation sagen konnte – alles, um dem Meister Respekt zu zollen. Das Essen damals war kurz und heftig, es war das Fundament meines Verständnisses für gutes – großartiges – Edomae-Sushi.

Heute stehe ich erneut vor dieser U-Bahn-Station, mit genau so viel Respekt, aber etwas größerem Wissen, was mich erwartet. Hätte ich damals gewusst, dass ich in eintausendzweiundsechzig Tagen erneut hier sein würde: ich hätte mich jeden Tag darauf gefreut.

Ich weiß, dass ich gleich hervorragendes Sushi essen werde. Ich weiß, dass es schnell gehen wird, letztes Mal war ich nach achtzehn Minuten wieder draußen. Ich weiß auch, dass ich dafür meinen Batzen Bargeld loswerde, den ich bei mir trage wie die Gangster in Martin Scorceses Goodfellas.

Aber was ich nicht weiß ist, dass es mir dieses Mal so anders vorkommen wird. Nicht das Sushi, das ist weiterhin exzellent. Soweit ich das beurteilen kann. Denn wenn man gemästet wird wie eine Gans, dann ist es schwierig, Qualität und Handwerk zu beurteilen.

Der Laden ist brechend voll, und heute serviert mir nicht Jiro Ono, sondern sein Sohn Yoshikazu. Ich halte ihn aber während meines kurzen Besuches mehrmals für den Alten, immer so lange, bis ich etwas weiter nach links gucke, wo sein Vater serviert.

Die Nigiris werden im Dreißig-Sekunden-Takt aufgetischt. Manchmal kaue ich gerade noch auf dem Stück herum, schmecke dessen perfekte Temperatur, Textur und Qualität, als schon das nächste Stück auf dem Tablett steht. Das schockiert mich. Präzises Timing ist einer der wichtigsten Aspekte, um Sushi zu genießen. Auf der neuen Website von Jiro liest man bei Regel Nr. 12: „Lassen Sie Sushi niemals stehen – es gibt nichts Köstlicheres als Sushi, das gerade auf ihrem Teller platziert wurde“. Doch was soll ich tun? Mir zwei Stück gleichzeitig in den Mund schieben?

Nach dem zwölften Stück Sushi, als die Portionen noch mundfüllender werden – z. B. in Seetang eingerollter Reis mit mächtigen, esslöffelgroßen toppings mit Rogen oder Baby-Jakobsmuscheln – bin ich dem Brechreiz nahe. Und es steht schon das nächste Teil auf meinem Tablett. Ich habe nicht einmal Zeit, mit meinem Bier die Stücke runterzuspülen, was ich dringend tun müsste, weil meine Speichelproduktion nicht hinterherkommt.

Nach zwanzig Stück und zehn Minuten ist die ungefähr dreihundert Euro teure Mast vorbei.

Nein, ich bin nicht der typische Tourist, der darüber meckert, dass das hier alles viel zu schnell ging. Ich bin der untypische Tourist, der sich mit der Materie auskennt und weiß, dass das selbst in Edomae-typischem Stil zu schnell serviert wurde. Diese Ungenauigkeit ärgert mich, schließlich geht es bei Jiros Handwerk seit Jahrzehnten um nichts anderes als um Präzision. Dass man seine eigenen Prinzipien hier verrät, macht mich ziemlich stutzig.

Bei meiner Bewertung der Speisen muss ich daher berücksichtigen, dass das Volumen der Nigiris nicht an meinen Gaumen und an mein Esstempo angepasst worden sind. Wenn das der Alte wüsste, müsste sein Sohn vielleicht wieder Teller waschen.

Hinweis: Fotos waren diesmal leider nicht erlaubt.

Dieser Artikel ist Teil meiner kulinarischen Reise nach Japan im März 2017, siehe: „Neun Tage Japan, 13 Restaurants, 32 Michelin-Sterne, eine Million Eindrücke“

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Sukiyabashi Jiro (Roppongi)
Chef de Cuisine: Takashi Ono
Ort: Tokio, Japan
Datum dieses Besuchs: 14.03.2017
Guide Michelin (TYO 2017): **
Meine Bewertung dieses Essens 8 (Was bedeutet das?)
Diskussion bei Facebook: hier klicken