Jean-Georges ‒ dafür steht er mit seinem Namen

Mit seinem Namen für etwas zu bürgen darf man als Garantie verstehen, dass jemand persönlich hinter der Sache steht, so wie Claus Hipp hinter seinem Babybrei. Es wäre aber voreilig, sich auf diese Garantie zu verlassen, zumindest im Fall des Flaggschiffrestaurants des französischen Gastro-Moguls und Wahl-New-Yorkers Jean-Georges Vongerichten, der allein in dieser Stadt dreizehn Restaurants betreibt. Die meisten davon beruhen eher auf legeren, trendigen Konzepten wie z. B. die ABC-Reihe oder das Mercer Kitchen.

Das Fine-Dining-Restaurant, untergebracht am Central Park im Trump International Hotel and Tower ist eine Ikone in New York, hält hohe Weihen in diversen Gastro-Führern und dient nicht nur in Fernsehserien und Filmen gerne als Kulisse für exklusive Essen einer noch exklusiveren Upper-East-Side-Klientel. Bei vielen privaten Essbegeisterten außerhalb dieser Kreise steht das Restaurant dagegen nicht hoch im Kurs. Einen Besuch dort vor vielen Jahren (und noch ohne Blog) habe ich kaum in Erinnerung, Negatives blieb allerdings auch nicht hängen.

Heute Abend fühle ich dem Restaurant also wieder auf den Zahn, leicht vom Jetlag umnachtet, dafür jedoch bewaffnet mit Appetit, Lust auf New Yorks schillernde Restaurantszene und einem deutlich umfangreicheren Erfahrungsschatz.

Das Restaurant ist ausgebucht, überall schwirrt Personal umher. Im Nachbarrestaurant Nougatine ergibt sich dasselbe Bild. Ich versacke etwas zu tief in einer der Sitzbänke und stöbere in der Karte. Diese hält verschiedene Menüs bereit, die für amerikanische Drei-Sterne-Verhältnisse moderat budgetiert sind (z. B. drei Gänge prix fixe für umgerechnet € 138 oder zwei umfangreichere Menüs für jeweils € 222). Man ist insgesamt flexibel, ich wähle mehrere Gänge aus der Prix-Fixe-Karte.

Die Weinkarte ist anstrengend umfangreich. Hauptsächlich gibt es hier die großen Gewächse aus Bordeaux, Burgund und Kalifornien. Wer hier nicht aus Gewohnheit zum Romanée-Conti-Abschnitt blättert, ist gut darin beraten, schon vorher in der Karte zu stöbern, die, wie bei vielen Restaurants in den USA, auch online einsehbar ist.

Nach einem offenen Glas Chablis Premier Cru (Erzeuger nicht notiert, € 20), begleitet mein Menü eine Flasche 2007 Château Malartic-Lagravière blanc aus Bordeaux (€ 206, aktueller Marktpreis ca. € 56).

Amuse-bouches gelangen auf einem Teller an den Tisch, der bereits optisch nicht allzu viel Großartigkeit vermuten lässt. Und in der Tat, eine Art Gazpacho schmeckt eher nach einer soliden Tomatenbasis für Pizza (6,5/10), ein zylinderförmiges Stück Räucherlachs auf einer Creme mit Sonnenblumenkernen offenbart nicht mehr als eine gute Fischqualität (6,5/10), und ein Stück frittierte Aubergine mit einem trockenen, schwitzenden Parmesanabschnitt obenauf (6/10) ist der letzte Zeuge eines insgesamt lieblos und in Massen vorbereiteten Vorspeisetellers auf dem Niveau von Catering-Häppchen für eine Stehparty beim Autohändler. Da habe ich eigentlich gleich schon Lust, aufzustehen und woanders einzukehren.

Mein erstes gewähltes Gericht ist eine Komposition aus einem Stück überraschend guter, gehaltvoller Forelle von leuchtend-frischer Farbe, dazu Forellenrogen, Olivenöl-Zitrone-Schaum, Dillpüree und Rettich. Die Komposition „funktioniert“ sehr gut, die bemerkenswerte Qualität von Fisch und Rogen, die vom ätherischen Dillaroma und der Zitronensäure flankiert wird, gefällt mir gut. Aber auch dieses Gericht kann sich von dem „vorbereiteten“ Eindruck nicht befreien, was es nicht schlechter macht, aber liebloser. Dennoch hervorragend. (8,5/10)

Auf der sicheren Seite war ich mit meiner folgenden Wahl. Seeigel aus Santa Barbara sind von vorzüglicher Qualität, leicht jodig und mit einem ganzen Ozean an Meeresfrische. Yuzu und Jalapeno bereichern die kleinen Fingersnacks mit blumiger Säure und fruchtiger Schärfe. Das Servieren auf Schwarzbrot bringt einen angenehmen, malzigen Kontrast. Das könnte ich den ganzen Abend so weiteressen. (8,9/10)

Kalbsbries „süßsauer“ kommt dann vermutlich aus dem Vakuumbeutel und wurde nur unzureichend nachgeröstet. Die dadurch etwas fade und von der Textur her leicht gummiartige Zutat wird in einer von der Idee her ansprechend süßsäuerlichen Sauce auf Kalbsfondbasis serviert, in der jedoch ein bisschen zu viel Essig Verwendung findet. Das macht sie recht bissig, was aber wiederum gut zu dem kleinen Salat mit Waldpilzen und Pistazie passt. Trotz der kleinen Mängel hat man hier einen durchaus ansprechenden Teller vor sich. (7,5/10)

Beim ersten Hauptgang mit dry-aged Prime Ribeye, pochiertem Winterrettich sowie seltsam mit Senf an den Tellerrand geklebtem Grünkohl ist der Rettich das einzige Highlight. Das Fleisch offenbart seine unerwünschten Attribute bereits bei kurzer Berührung mit dem Messer: es ist trocken und zäh, das Fett dazwischen verbrannt und überschüssig. Eines der Stücke ist dazu noch sehnig, was insgesamt alles auf eine minderwertige Fleischqualität schließen lässt. Das Gericht geht zurück in die Küche. (5/10)

Lammkoteletts, ebenfalls am Tisch, sind eine ähnliche Farce. Außen sehr stark geröstet, innen gräulich durchgegart. Auf dem Teller findet man dazu noch weichgekochten Knollensellerie und Babyfenchel, beides so zerkocht als hätte man die Gemüse direkt aus dem Saucenfond gefischt ‒ dem Fond für ein anderes Gericht allerdings, denn hier ist eine rote Currysauce auf dem Teller. Sie kann das katastrophale Gericht, das jedem Kochanfänger zu Hause besser gelingen dürfte, auch nicht retten. Auch dieser Teller wandert in die Küche zurück. (5/10)

Ersatz wünsche ich nicht, probiere aber noch von zwei Desserts, einer kuhfladenförmigen, unappetitlich stabilisierten Mousse au chocolat mit, unter anderem, wässrigem Minzeis (5/10), sowie ein Schwarzwälder-Kirsch-Dessert mit ganz vielen süßen Massen, Schokoladensplittern, qualitativ dürftigen Feigen und sandigem Boden, ebenfalls in allen Aspekten mangelhaft (5/10).

Auf der Rechnung werden später die kaum gegessenen Teller nicht berechnet, zusätzlich werden sogar noch einmal 25 Prozent Rabatt auf die Speisen gewährt, wegen der Umstände. Das ist freundlich und amerikanisch, aber in Summe alles dennoch sehr beklagenswert. Die einzigen Gäste, die diesem Restaurant wohl wirklich wichtig sind, bestellen fünfstellige Weine und haben möglichst wenig Anspruch an gutes Essen. Das ist vielleicht ein valides Geschäftsmodell, hat aber mit drei Michelin-Sternen nichts zu tun.

Ich gehe dann mal ‒ und mache Platz für die vermutlich dritte Belegung dieses Tischs heute Abend. So durchgesessen, wie die Polster hier sind …

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Jean-Georges (→ Website)
Chef de Cuisine: Mark Lapico
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 22.10.2017
Guide Michelin (New York City 2017): ***
Meine Bewertung dieses Essens 6,5 (Was bedeutet das?)
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