Oaxen Krog ‒ nordisch progressiv

In diesem Moment, also genau jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, ist mein Besuch im Oaxen Krog knapp zwei Monate her. Das ist genug Zeit, um zu prüfen, wie sehr ein Restaurant nachgewirkt hat. Und ich muss feststellen: außer der begeisternden Gastronomie als solche ‒ mit ihrem geschmackvollen Interieur, direkt am Wasser gelegen ‒, ist mir von dem Essen eher wenig in Erinnerung geblieben. Wenn ich meine Notizen überschlage, sehe ich hohe Bewertungen, aber wirklich gefesselt hat mich ein einzelner Gang, oder gar das gesamte Menü, nicht. Sehen wir uns das Ganze mal an.

Oaxen Krog & Slip beherbergt zwei Gastronomiebetriebe: ein Bistro (Slip), durch welches man das Gebäude betritt, und das zweifach besternte Krog, das sich hinter einer Tür des Bistros auftut. Tritt man dort ein, versammelt sich ‒ bei jedem neu erscheinenden Gast ‒ die gesamte Küchenmannschaft vorne in der offenen Küche, um Hallo zu sagen, eine nette, auflockernde Geste.

Das Interieur ist sehr geschmackvoll. Holzverkleidete Wände und Decken mit parallelen Sprossen erinnern an japanische Ästhetik, der Rest ist skandinavische Schlichtheit, wie man sie hier erwartet: keine Tischdecken, viel Holz, gedeckte Erdtöne, puristisches Geschirr.

Zunächst nimmt man im hinteren Teil des Restaurants an flacheren Tischen Platz. Hier hat man die Möglichkeit, im Menü zu stöbern und zum Aperitif einen kleinen Snack zu genießen. Ich finde die Möglichkeit eines solchen Akklimatisierens in der Regel sehr angenehm. Sie entschleunigt, man kann sich etwas umsehen und vor dem Platznehmen am Tisch noch mal die Waschräume aufsuchen. Es gibt als erstes etwas hausgetrockneten Schinken, der fast schon an Speck erinnert ‒ würzig, gehaltvoll, sehr gut, mehr muss es gar nicht immer sein.

Es wird ein tasting menu angeboten (zehn Gänge zu ca. € 210), bei dem es viel um Regionalität und Saisonalität geht, das Übliche also in einem Restaurant mit modernem Konzept.

Die Weinkarte enthält ausschließlich Weine aus der „alten Welt“, und ist ‒ typisch für gastronomisch aufgeschlossene Städte wie Stockholm ‒ fast überwiegend sehr ansprechend mit einem großen Fokus aus Frankreich. In der Karte hatte ich vor meinem Besuch schon online gestöbert und eine Auswahl getroffen, um vor Ort nicht allzu viel Zeit mit diesem Vorgang verbringen zu müssen. Eine kurze E-Mail ans Restaurant, mit der Bitte, schon mal eine Flasche 2011 Clos Rougeard „Le Bourg“ (ca. € 170) zu öffnen, wurde nur wenige Minuten später positiv beantwortet. (Man versuche mal in Deutschland, einem Restaurant gegen 19 Uhr eine E-Mail zu schreiben und kurz darauf eine Antwort zu erhalten.)

Zu Beginn wähle ich noch ein Glas offenen Weißweins (ein nicht genau notierter Burgunder ‒ ich meine, ein Rully ‒ von der Domaine A. & P. de Villaine für knackige ca. € 33 pro Glas). Er begleitet den Prolog des Menüs.

Es gibt eine heiße, sehr gehaltvolle, mit Zitronenverbene aromatisierte Brühe mit Zander, Grünkohl und weiteren Gemüsen. Als leicht knusprige Elemente kommen Schuppen des Fischs zum Einsatz, das ist exzellent (8/10). Danach folgt ein kleines Röllchen von rohem, gereiftem Tenderloin auf einem hauchdünnen, frittierten Brennnesselblatt, dazu etwas Bärlauch. Dieser Snack ist großartig, besonders der Bärlauch ist nicht penetrant, sondern fügt eine Geschmackstiefe hinzu, die sehr angenehm ist. (9/10)

Es geht weiter mit Tartar vom Elchherz auf Sauerrahm mit Hagebuttenblättern und Dill, was sich am Gaumen zu einem ätherischen, cremigen und sehr wohlschmeckenden Ganzen zusammenfügt (8,5/10); danach gibt es 200 Jahre alte Islandmuschel mit, unter anderem, einer Pilzcreme ‒ zusammen ein geschmackvolles Ensemble mit Aromen von jodigem Meer und duftendem Wald. Ein paar äußerst harte, kleine Stückchen darin, vielleicht Splitter von der Schale, zeugen von einer kleinen Ungenauigkeit bei der Zubereitung. (8/10)

Danach folgt ein Schälchen mit Seehasenrogen, den man zusammen mit einem angenehm fettigen, hauchdünnen Kartoffelchip mit Dill genießt. Das erinnert geschmacklich an ein gutes Fischbrötchen, ist aber viel feiner und texturell sehr ansprechend (8/10). Als (etwas zu) knuspriges Röllchen präsentiert sich eine Zubereitung mit Tintenfisch und Holunderblüte, bei der der Tintenfisch etwas untergeht (7/10).

Die letzten Amuse-Bouches, immerhin schon Speisen Nummer sieben und acht, sind ein kleines Stück geräucherter Seesaibling von phänomenaler Qualität, gewickelt um ein kleines Stück geräucherte Zucchini und getoppt mit einem frischen Kraut und Stör-Kaviar (9/10). Dann folgt eine kleine Löffeldegustation mit schwedischem, etwas sehr kaubedürftigem Wagyu mit Maiscreme, „Kartoffelsoja“ und einem ansprechenden Umami-Geschmacksbild (8/10).

Als Brot gibt es eine Brioche mit Hering-Glasur (!) ‒ buttrig, warm, herzhaft, wunderbar ‒ sowie ein weiches Roggenbrot, das mit Bier und Butter gebacken wurde und ein äußerst ansprechendes, malziges, leicht knuspriges Genussvergnügen ist. Eine ganz ausgezeichnete Brotauswahl.

Dass man jetzt erst mit dem eigentlichen Menü beginnt, erscheint in Hinblick auf den Sättigungsfaktor etwas kritisch, doch die Speisen sind alle leicht und klein und daher auch in hoher Anzahl gut verträglich.

Kaisergranat kommt (nahezu) roh beim ersten Menügang zum Einsatz. Er ist in Birnenscheiben eingewickelt, weitere Komponenten sind Stachelbeere, Meerrettich und Wacholder, also eine etwas schroffe Geschmackswelt, die sich mir zum Kaisergranat nicht so recht erschließt. Auch die rohe, dadurch etwas schleimige Textur des Krustentieres halte ich immer für nachteilig, weil sein nussig-süßlicher Geschmack dann nicht zur Geltung kommt. Der Gang wirkt wie ein anspruchsvolles Experiment. „Sehr gut“ nur wegen des Handwerks und der erkennbar guten Zutaten. (7/10)

Der nächste Gang thematisiert Topinambur, bissfest gegart, mit einem Potpourri von Zutaten, die einen erdig-waldigen Geschmack vermitteln, darunter Schwefelporlinge (die wegen ihres an Huhn erinnernden Geschmacks auf Englisch chicken of the woods heißen), geräuchertes Knochenmark vom Ochsen, sowie Sanddorn und knusprige Hühnerhaut. Ein aromatischer Hühnerfond ergänzt ein harmonisches Geschmacksbild mit dem Fokus auf Huhn/Topinambur. Auch diese Speise ist auf hohem kulinarischen Niveau. (8/10)

Es folgt eine dünne Scheibe Fleisch von einer alten Milchkuh, serviert mit einer sahnigen Sauce mit Maränenrogen, dazu Zwiebeln und ein Kamillengewächs. Das reife, im Wesentlichen rohe, aber dennoch eher buttrige Fleisch ist außergewöhnlich gut und präsentiert ein authentisches, sehr präsentes Aroma des Tiers. Fleisch älterer Tiere ist häufig viel eindrucksvoller als dry aged Fleisch jüngerer Tiere. Süffig gut und qualitativ sehr hochwertig. (8,5/10)

Gerösteter Weißkohl wird beim folgenden Gang mit „Kartoffelmiso“ serviert, dazu gibt es Haselnuss, Wildkräuter und eine angenehm säuerliche Sahnecreme mit Topinambur. Das Arrangement ist cremig und heiß, man schmeckt die Haselnuss und abermals waldig-frische Aromen, die hier zwar durchgängig Thema sind, aber nie repetitiv wirken. Eindeutig hervorragend. (8/10)

Jakobsmuschel kommt roh und in kleinere Stücke zerteilt in ihrer Schale beim nächsten Gang zum Einsatz. Kombiniert ist das Muskelfleisch mit pikanten Radieschen, Kapuzinerkresse und einem Jus von Grönländischem Porst (labrador tea), eine Rhododendronart. Jakobsmuschel an sich, vor allem roh, zählt nicht zu meinen Lieblingszutaten, aber durch die kleine Stückelung und den raffinierten Einsatz der Kräuter ist auch diese anspruchsvoll und präzise abgestimmte Speise hervorragend zu genießen. (8/10)

Das Menü fährt fort mit leicht gereiftem Steinbutt in fingerdicken Tranchen, präsentiert auf Weinblättern (o. ähnl.). Der Steinbutt ist Mitspieler eines Tellers mit Winterrettich, einer Buttersauce, die mit gegrilltem Grünkohl aromatisiert wurde sowie einer Art Salat aus „unreifer“ Johannisbeere mit ansprechender Säure. Qualitäten und Handwerk sind auch hier makellos, aber dieser Teller geht mir etwas zu sehr in Richtung Säure und Chlorophyll. Dennoch bewegen wir uns hier weiterhin auf kulinarisch hohem Niveau. (7,5/10)

Es geht weiter mit Secreto von schwedischem Schwein, glasiert in fermentiertem Rinderjus, dazu hauchdünn aufgeschnittener Kohlrabi sowie weiße Erdbeeren und Dill. Nicht alles Ungewöhnliche muss eine wertvolle Neuentdeckung sein ‒ dieses Geschmacksbild ist es sicher nicht. Zu einem recht neutral schmeckenden Stück Fleisch gesellen sich an Chlor und Schweiß erinnernde Aromen, die Kohlrabi manchmal haben kann. Das ist nicht mein Fall, Qualitäten hin oder her. (6,9/10)

Trotz meiner lange im Voraus kommunizierten Präferenz, kein unzureichend gegartes Geflügel wie Ente oder Taube essen zu wollen, serviert man nun genau diese. Es gibt dazu dünne Scheiben Sellerie, schmale Streifen vom Pfifferling sowie einer Zubereitung mit Kapern und einer Fichtensprossencreme.

Ich merke das mit der Ente kurz an, man gart sie daraufhin etwas weiter, was ich allerdings auch auf dem neuen Teller nicht erkennen kann. Ich bin aus hygienischen Gründen einfach kein Freund von rotem oder rosa Geflügel, springe aber jetzt der Neugier wegen über meinen Schatten und probiere etwas. Die Qualität des Fleischs ist gut, es dürfte aber wirklich noch weiter gegart sein. Ganz hervorragend ist dagegen eine ätherische Fichtensprossencreme, aufgrund derer ich dann doch noch mehr von Ente esse, um alle weiteren Komponenten des Gerichts zusammen zu genießen. Bis auf den Gargrad sehr gut. (7/10)

Ein dann gereichtes Himbeersorbet schmeckt erfrischend unbeschwert und erinnert an den Duft von getrockneten Rosenblättern und Veilchen. Exzellent. (8/10)

Ein weiteres Sorbet, diesmal mit Quitte, wird von weiteren säuerlichen Komponenten wie Apfel und Sellerie begleitet; das ist mir dann eindeutig zu viel Säure und nicht gut ausbalanciert. (6,5/10)

Blaubeeren mit Engelwurz-Eis und Hanfsamenpraliné, letzterer eher geschmacksneutral, ist mit den exzellenten Beeren und dem kräuterig-frischen Eis in Summe sehr ansprechend. (7/10)

Die Schachtel Pralinen, die auch zum Mitnehmen vorgesehen ist, enthält, wie ich feststellen muss, teilweise völlig ungenießbare Kreationen mit seltsamen Gemüsezubereitungen, z. B. Steinpilz. Das ist kreativ, aber fernab von schmackhaft.

Der letzte Punkt fasst, wenn auch in einer zum Glück extremen Ausnahme zum Schluss, einen der Gründe zusammen, warum ich für dieses Essen zwar Attribute wie ansprechend, fein, intelligent, regional und präzise verbinde, mich die Gerichte aber in großen Teilen emotional nicht fesseln konnten ‒ ein für meinen ganz persönlichen, hedonistischen Anspruch an Essen wichtiges Merkmal.

Im Gegensatz zu den genannten objektiven Attributen, die sich auch in den hohen Bewertungen wiederfinden, ist dieses gefühlte Manko natürlich eine subjektive Angelegenheit. Hier wird vieles gewagt und ausprobiert, das manchmal zu Lasten des Wohlgeschmacks geht ‒ oder einen zumindest dergestalt fordert, dass man sich auf neue und ungewohnte Geschmacksbilder einstellen muss, die eben „interessant“, aber nicht immer besonders süffig/schmackhaft sind. Das ist ohne Frage progressiv und im Wesentlichen ja auch ein Merkmal der modernen nordischen Küche.

Etwas einfacher formuliert: das Oaxen Krog ist ein fantastisches Restaurant mit Wohlfühlatmosphäre, raffinierter, kreativer Küche und einer Garantie für schöne Abende. Wenn es doch nur so einfach wäre.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Oaxen Krog (→ Website)
Chef de Cuisine: Magnus Ek
Ort: Stockholm, Schweden
Datum dieses Besuchs: 02.12.2017
Guide Michelin (Nordic Countries 2017): **
Meine Bewertung dieses Essens 7,9 (Was bedeutet das?)
Diskussion bei Facebook: hier klicken