T’ang Court (Hongkong) ‒ kantonesische Kuriositäten

Die Tatsache, dass man im Guide Michelin für Hongkong auf deutlich mehr Ungereimtheiten trifft als bei allen anderen der roten Restaurantführer, ist unter Kennern so etwas wie der größte gemeinsame Nenner. Nicht nur bei mir kamen daher Zweifel auf, ob die Aufwertung der kulinarischen Leistung des Restaurants T’ang Court von einem Stern im Jahr 2009 auf inzwischen drei Michelin-Sterne sich tatsächlich auch auf dem Teller des Gasts wiederfindet.

Abgesehen von meiner einschlägigen Erfahrung hinsichtlich der oft überzogenen Bewertungen in Hongkong und auch hinsichtlich der schwachen Leistung des Schwesterrestaurants in Shanghai, das ich letztes Jahr besuchte, begründen weitere Punkte meine Skepsis. Zum einen handelt es sich um ein Restaurant, das seit 1988 klassische kantonesische Küche serviert. Die kantonesische Küche ist schon für sich genommen ‒ im Vergleich bspw. zur französischen Küche ‒ zwar nicht unqualifiziert, aber doch deutlicher weniger prädestiniert für die allerhöchsten kulinarischen Weihen. Daher ist es merkwürdig, dass ein Restaurant, dessen umfangreiche Speisekarte sich vermutlich im Laufe der Jahrzehnte nur wenig verändert hat, derart große Sprünge macht und von einem „sehr guten“ Restaurant (ein Michelin-Stern) auf einmal in die Liga derjenigen Restaurants aufrückt, für die es sich allein zu reisen lohnt (drei Sterne).

Doch meine Bereitschaft, mich eines Besseres belehren zu lassen, beweise ich schon mit meiner Anwesenheit am heutigen Abend.

Das Restaurant befindet sich im Hotel The Langham und atmet angestaubt-luxuriösen, goldroten chinesischen Charme auf zwei Ebenen.

Mir ist bewusst, dass die kantonesische Küche im Allgemeinen nicht für einen alleinigen Esser konzipiert ist. Die Küche blüht erst dann richtig auf, wenn der ganze Tisch voller dampfender Gerichte steht.

Daher versuche ich, der freundlichen Dame aus dem Service initiativ mitzuteilen, dass ich mir über diese Tatsache bewusst sei und dennoch gerne eine Auswahl an repräsentativen Gerichten probieren möchte, selbst wenn ich sie nicht alle schaffen sollte. Trotz ihres einigermaßen guten Englischs hält sich ihr Verständnis für meine Idee in Grenzen und empfiehlt mir stattdessen mehrfach das T’ang Court Tasting Menu, das für eine Person besonders geeignet sei.

Ich verstehe gut, wo ihre Skepsis herrührt. An einem Nachbartisch gucken zwei Damen russischer Herkunft ‒ völlig overdressed ‒ empört auf ihren Taschenkrebs. Der kommt nämlich ganz pur und mit viel manuellem Bearbeitungsaufwand auf den Teller. Nach lautstarken Diskussionen eilt irgendwann ein Kellner herbei, um beim Aufbrechen der Schalen behilflich zu sein. Immer diese Touristen.

Das sechsgängige Menü klingt mit Zutaten wie Hummer, Abalone, Auster, frischen Gemüsen und Früchten durchaus attraktiv und ist mit HKD 1.080 (ca. € 111) moderat bepreist. Wenn man um einige andere Begriffe herum liest, könnte das glatt aus einem französischen Restaurant stammen.

Diese Parallele endet abrupt bei den ersten Häppchen. Würfel aus Pfirsichgelee schmecken buchstäblich nach nichts (5/10); eine frittierte Garnele lässt unter ihrer knusprigen, dünnen Panierung immerhin eine annehmbare Qualität erahnen (6/10). Aber der Gedanke, dass ein Restaurant, bei dem solche Speisen die Küche verlassen, mit drei Sternen ausgezeichnet sein kann, ist schon jetzt absurd.

Weitere kleine Vorspeisen markieren den offiziellen ersten Gang des Menüs. Es gibt ein Stück Kabeljau in einem klebrigen Teigmantel mit herzhafter dunkler Sauce, was den zarten und saftigen Fisch etwas untergräbt (6/10). Weiter werden zwei hemmungslos trockene Stücke Schweinefleisch mit Barbecue-Sauce als „bester Teil“ vom Schwein angepriesen (5/10). Etwas Abalone ist von guter Qualität, aber recht langweilig präsentiert (6/10); kleingeschnittene Qualle kommt in kleinen, kaubedürftigen Streifen mit keinerlei Geschmack und etwas Chili (5/10).

Bei der nächsten Speise handelt es sich um eine kochend heiße Hühnersuppe mit darin aufgelöstem Vogelnest. Für mich ist diese Zutat Premiere. Ich war nie Freund des Gedankens, Schwalben ihr aufwändig gebautes Nest zu entwenden, das zudem auch noch hauptsächlich aus ihrem Speichel besteht. Doch wie sagt man so schön: andere Länder, andere Sitten ‒ und andere Delikatessen. Das Problem, das ich mit vielen fernöstlichen Delikatessen habe, ist, dass diese, im Gegensatz zu Delikatessen der westlichen Küchen, häufig nicht aus kulinarischer Sicht als Delikatesse gelten, sondern aufgrund wissenschaftlich unhaltbarer gesundheitsfördernder Ideen wie längeres Leben, bessere Haut oder verbesserte Potenz. Wenn Chinesen so sehr nach diesen Dingen streben, hätte ein landesweites Rauchverbot zweifellos einen besseren Effekt.

Die Suppe schmeckt gut, nach einer lange gekochten Hühnersuppe. Der erste Löffel, den ich davon koste, bestätigt das. Die Textur ist sehr viskos, ein Effekt der darin aufgelösten Vogelnester, den man genauso gut auch mit einem anderen Bindemittel hätte erreichen können. Die hohe Temperatur der Suppe, die nur wenige Grad unter ihrem Siedepunkt liegt, macht den Gedanken, irgendetwas mit Vogelspeichel zu essen, erträglicher. Selbst nach mehreren Minuten scheint die Temperatur erst auf 98 Grad abgesunken zu sein, was den Verzehr recht schwierig gestaltet. Innerhalb von zehn Minuten schaffe ich einige Löffel davon, kann aber unmöglich den ganzen Liter leeren, den die Schale sicher fasst. Blickt man weiter auf die gustatorischen Fakten dieses traditionellen Gerichts, schmeckt die Suppe ziemlich fad. Ein Streuer mit beißend scharfem weißen Pfeffer, der dazu gereicht wird, ist keine sonderliche Bereicherung. Man kann aus dem Gericht Hühnersuppe weit mehr machen als das. (6/10)

Es geht weiter mit einem puristischen Arrangement von sehr gut gegartem, ausgelöstem Hummer und Stücken von einer Fechterschnecke, letztere mit muschelartig fester Textur und wenig Eigengeschmack. Der Star dieses Gerichts sind die schlichten Gemüse, die ganz präzise auf den Punkt zubereitet sind. Ergänzt um ein bisschen von den Saucen, die am Tisch bereitstehen, ist das puristisch und gut, aber nach wie vor so weit weg von drei Michelin-Sternen wie Deutschland von China. (6,9/10)

Der nächste Gang präsentiert eine in einem Portweinmantel gebackene Auster von stattlicher Größe. Von dem Tier selbst kann man wegen der erneut hohen Hitze und dem sehr geschmacksintensiven Mantel nicht viel ausmachen, aber das ist durchaus gekonnt zubereitet und schmeckt ansprechend würzig, mit einem Hauch Meeresfrische darunter. Die große Portion ist aber auch etwas eintönig. (6,5/10)

Weiter geht es mit einer aufwändigen Suppe, die verschiedene Pilze, Gemüse, Hummer und Inaniwa-Udon-Nudeln in einem würzigen Krustentierjus vereint. Erneut ist große Hitze im Spiel, ich lass das Gericht erst einmal etwas ziehen, trinke etwas von einem neuseeländischen Sauvignon Blanc aus der mäßigen offenen Auswahl und bewaffne mich schon mal mit meiner Serviette, in dem ich sie in meinen Hemdkragen stecke. Nudeln in einer Suppe mit Krustentierfond: ein Garant für ruinierte Hemden.

Die Suppe schmeckt wie ein guter Hummerfond, den man mit frischen Gemüsen angereichert hat. Die Nudeln bringen eine kurzweilige Textur hinzu. Das aufwändige Handwerk, das den speziellen Nudeln zugrunde liegt, ist deutlich präsent und eindrucksvoll. Die Gemüse darin haben keinerlei spürbare Würzung oder Röstung erfahren und schmecken daher alle sehr puristisch, manchmal recht fad, was aber durch den Fond wieder ausgeglichen wird. Wegen der Hitze und der großen Flüssigkeitsmenge schaffe ich auch dieses Gericht nicht ganz, welches zweifellos das beste des bisherigen Abends war. (7,5/10)

Da ich die zwei Liter heiße Flüssigkeit, die bisher im Menü vorgesehen waren, nicht vollständig zu mir genommen habe, könnte ich vor den jetzt eigentlich vorgesehen Früchten noch gut etwas Herzhaftes vertragen. Ich versuche also, dem Service zu vermitteln, dass ich gerne noch ein repräsentatives Gericht mit Fleisch probieren würde, z. B. etwas mit Rind oder Schwein in außergewöhnlich guter Zubereitung.

Vermutlich hätte ich lieber ein Gericht aus der Karte auswählen sollen, denn mein Wunsch nach einem repräsentativen, außergewöhnlich guten Gericht mit Fleisch wird mit einem einfach gebratenen Stück Rindfleisch beantwortet. Das Fleisch ist saftig und von guter Qualität, die gnadenlos verbrannten Knoblauchringe dazu sind gummiartig und nicht essbar. Eine seltsame Art, mir zeigen zu wollen, was die Küche hier kann. (6/10)

Das Dessert besteht aus mehreren Früchten, die das grundsätzliche Problem mit vielen Zutaten hier eindrucksvoll objektivieren: Kiwi, Melone oder Erdbeere sind allesamt in unterirdischer Qualität. Man sieht das schon mit bloßem Auge. Die Melonenstückchen sind ein steinharter, geschmacksneutraler Witz. Zwei weitere Süßigkeiten dazu sind zumindest ganz annehmbar. (5/10)

Was ich hier erleben konnte, war eine äußerst dürftige Speisenfolge mit allenfalls mäßigen Zutaten und oft belanglosem Geschmack. Von den kantonesischen Restaurants, die ich bisher besucht habe, war das T’ang Court eindeutig das schwächste. Selbst innerhalb dieses Menüs ‒ und unabhängig von persönlichen Präferenzen ‒ sind zweifellos Steigerungen an allen Ecken und Enden möglich.

Das größte Rätsel bleibt, wie man ein solches Restaurant mit drei Sternen auszeichnen kann. Ich bin mir sicher, dass man hier mit Teilen der Speisekarte recht kaiserlich speisen kann. Aber wenn auch so etwas wie dieses Menü möglich ist, sollte man die Sterne lieber erst Mal in der Tasche behalten. Da hat wohl jemand vom Guide Michelin ein paar Vogelnester zu viel geraucht.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: T’ang Court (→ Website)
Chef de Cuisine: Kwong Wai Keung
Ort: Hongkong
Datum dieses Besuchs: 05.01.2018
Guide Michelin (Hongkong/Macau 2018): ***
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