Tourniert: Franzosen und Frantzén in Hongkong

Warum ich nach China fliegen würde, um dort französisch Essen zu gehen, fragen mich während dieser Reise einige, die meinen Erlebnissen in den sozialen Netzen folgen. Die Antwort ist einfach. Spannende Gastronomie zu entdecken interessiert mich immer. Und wenn das auch noch in einer pulsierenden Metropole stattfindet, genieße ich das umso mehr. Was gibt es Aufregenderes als an einem Tisch zu sitzen, der mir in zeitgemäßer Atmosphäre mit Blick auf die leuchtende Skyline einer Metropole gutes Essen serviert? Das ist mir allein schon jede weite Reise wert. Gastronomie dieser Art sauge ich auf wie ein nasser Schwamm, weil das in dieser Kombination in unseren Breiten nicht existiert. Also rein ins Flugzeug!

Hongkong erlebt seit geraumer Zeit so etwas wie eine Explosion gastronomischer Angebote der Superlative. Eine kosmopolitische, dynamische und aufgeklärte Klientel mit kulinarischem Interesse sorgt für eine große Nachfrage an hochwertiger Gastronomie. Mit einem Interesse für Gastronomie und gutem Essen, mit dem man bei uns zulande weitestgehend als Exot gilt, ist hier nahezu jeder ausgestattet, mit dem ich mich unterhalte.

Dass die Nachfrage vorhanden ist, haben europäische Gastronomen längst begriffen. Besonders die Franzosen sind ganz vorne mit dabei und stillen das Bedürfnis der Asiaten und ihrer Gäste nach hochwertiger französischer Küche. Genau dasselbe Bedürfnis ‒ nach hochwertiger ausländischer Küche ‒ könnten wir in Deutschland übrigens auch haben. Zwei wesentliche Probleme sprechen dagegen.

Zum einen ist da das entscheidende Adjektiv „hochwertig“. Wir sind mit einem chinesischen Restaurant nämlich schon dann zufrieden, wenn es Nummern 17 und 25 anbietet, mit einem japanischen, solange Reis, Avocado und Lachs in Zylinderform im Spiel sind und mit einem italienischen, wenn man seinen Status als Stammgast erreicht hat und sich Garnelen als Scampi unterjubeln lässt. Diese provinzielle Genügsamkeit ist zum Beispiel auch der Grund, warum uns ein Atelier de Joël Robuchon in Deutschland für immer verwehrt bleiben wird. Pierre Gagnaire hat sich aus Berlin mit seinem Les Solistes im Hotel Waldorf Astoria so schnell wieder zurückgezogen wie die Fühler einer aufgeschreckten Schnecke.

Das weitere, noch viel grundlegendere Problem ist die Abwesenheit einer Sättigung durch eine einheimische Küche, die qualitativ auch mal ein gutbürgerliches Maß übersteigt. Wie soll man sich Küchen anderer Länder in guter Qualität wünschen, wenn man nicht einmal eigene kulinarische Wurzeln geschlagen hat? Eine Currywurst, ein Fischbrötchen oder Brezn mit Weißwurst sind im Ausland immer für ein Schmunzeln gut, aber was kommt dahinter? Ich hoffe immer, es fragt mich niemand. Dass unsere Spitzenköche technisch so brillant sind, hilft uns kaum weiter, weil sie von der alltäglichen kulinarischen Realität völlig entkoppelt sind.

Zurück in Hongkong ‒ oder vergleichbaren Metropolen ‒ gibt es zwar auch keinen Grund, die Restaurantbetriebe europäischer Gastronomen zu glorifizieren. Gold ist das auch nicht alles. Und besser als in den Heimatländern der jeweiligen Gastronomen auch nicht zwingend. Aber anders. Wie anders, und wie viel Spaß es dennoch macht, dort Essen zu gehen, steht in den folgenden Kurzberichten.

→ Frantzén’s Kitchen
→ Rech by Alain Ducasse
→ Pierre
→ Caprice


Frantzén’s Kitchen

Als ich im Dezember im Frantzén in Stockholm eines meiner besten kulinarischen und gastronomischen Erlebnisse genoss, war Inhaber Björn Frantzén gerade in Hongkong, um dort in seinem neuen Frantzén’s Kitchen nach dem Rechten zu sehen. Heute Stockholm, morgen Hongkong, so ist das eben derzeit mit erfolgreichen, dynamischen Gastronomen.

Das Frantzén’s Kitchen ist keine Kopie des Stockholmer Über-Restaurants. Im Gegenteil, der Zusatz „Kitchen“ soll verdeutlichen, dass es hier leger zugeht. Kleine Speisen à la carte anstelle eines Degustationsmenüs und willkommene „Walk-ins“ signalisieren ein Höchstmaß an Ungezwungenheit. Das passt an meinem Ankunftstag in Hongkong perfekt zwischen Mittag- und Abendessen.

Björn Frantzén hat eine junge Crew aus Stockholm für dieses Abenteuer in Hongkong begeistern können, die schon hinter dem Tresen mit köstlichen Zutaten hantiert als ich Platz nehme. Eine Schale voll mit schwarzem Trüffel, eine frisch aufgeschnittene Yuzu, Essstäbchen am Platz, ein guter weißer Burgunder bereits im Glas, das ist alles völlig normal in einem modernen Restaurant in einer beliebigen Metropole dieser Welt.

Aus der in drei Gruppen unterteilten Speisekarte mit Gerichten zwischen umgerechnet ca. 7 und 25 Euro wähle ich einige Kleinigkeiten. Ein herzhafter Macaron mit Apfel, Foie Gras und roter Bete ist präzise umgesetzt (7/10) und ein ähnlich köstlicher Start in ein kurzes Menü wie eine pochierte Auster mit gefrorenem Rhabarber, Walnuss und Gin (6,9/10).

Swedish Sushi“ besteht aus knusprigem Moos, Reh, Steinpilzmayonnaise und gehobelter, geeister Entenleber und ist leicht, süffig und herzhaft (7/10). Ein Toast mit schwarzem Trüffel, Balsamessig und Parmesan ist so etwas wie der kleine Bruder der epochalen Speise in Stockholm (dort mit noch mehr und frischeren Trüffeln, besserem Balsamessig sowie zu mehr „Knusprigkeit“ geröstetem Toast), aber selbst diese kleine Portion ist ein dekadenter Genuss allerhöchster Güte und eine Wiederholung, nach der ich geschmachtet habe (8/10).

Ein letzter Gang mit Heilbutt, Hummer, drei verschiedenen Rogenarten und einer recht salzigen hellen Sauce ist noch ein „Experiment“ der Küche und auch als solches noch nicht ganz gelungen, denn der Hummer hat eine aufgetaute, wässrige Textur, der Heilbutt ist übergart, und der Salzgehalt ist grenzwertig. Mit etwas mehr Zuneigung kann daraus zweifellos ein ansprechenderer Gang werden. (6/10)

Alles kein Hexenwerk und in der Qualität etwas schwankend, aber diese unbeschwerte Art der Gastronomie lässt mein Herz dennoch höherschlagen. Und ich muss ja noch nicht abreisen. Es geht gleich schon weiter.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Frantzén’s Kitchen (→ Website)
Chef de Cuisine: Jim Löfdahl
Ort: Hongkong
Datum dieses Besuchs: 04.01.2018
Guide Michelin (Hong Kong/Macau 2018): Empfehlung
Meine Bewertung dieses Essens 6,9 (Was beudeutet das?)
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Rech by Alain Ducasse

Das Hotel InterContinental in Hongkong ist eine architektonische Bausünde, deren Anblick eigentlich kaum zu ertragen ist. Als lohnender Ausgleich trumpft das Hotel mit der Möglichkeit auf, eine der spektakulärsten Kulissen überhaupt genießen zu können. Der Blick auf die Skyline der südlich gelegenen Hong Kong Island ist atemberaubend, besonders abends. Und das brandneue Rech by Alain Ducasse schöpft diesen Vorzug maximal aus.

Auch sonst ist das Ambiente dieses gastronomischen Paris-Ablegers sehr angenehm. Helles Holz, kombiniert mit weißen Tischtüchern und schlichten maritimen Akzenten lassen einen das Gebäude, in dem man sitzt, völlig vergessen.

Fisch und Meeresfrüchte sind das Konzept hier. Nach guten Algencrackern mit Basilikumcreme, die angenehm nach Mittelmeer schmecken, beginne ich mit zwei Speisen aus dem Abschnitt „roh und mariniert“. Bonito in dicken Tranchen (ca. € 21) ist ziemlich pikant mit Erdnuss und Chili gewürzt und bringt damit asiatische Aromen ins Spiel, während eine Paprikamousse für mediterranes Flair sorgt. Das passt alles ganz gut, doch lässt der Hauptdarsteller zu wünschen übrig, weil er zu scharf angebraten ist und dadurch trocken wirkt (6,5/10). Ein optisch sehr Ducasse’sches Arrangement mit Tintenfisch und Hummer (ca. € 35) wartet mit einer betörend mediterranen Geschmackswelt auf, die durch Basilikum, Knoblauch, Piment d’Espelette und einem leichten, angenehm salzigen Fischsud getragen wird. Die Qualität der Meerestiere ist sehr gut, misst sich aber auch nicht mit besonders herausragenden Zutaten. Etwas hervorragendes Olivenöl könnte das Gericht nach meinem Geschmack auch noch bereichern. Dennoch sehr gut, d. h. 7/10.

Wild cod Aioli“ ist eine lauwarm servierte Kreation mit Kabeljau und lauter potenziell hervorragenden, leichten Mittelmeerzutaten. Das Gericht, das in Monaco mit großer Wahrscheinlichkeit ein Referenzniveau erreichen würde, ist hier allenfalls mäßig. Fast jede Komponente hier ist übergart, der Fisch ist dadurch trocken, die Muschel kalt, die Wiederholung des Basilikums ist etwas störend, und das separat servierte Aioli schmeckt industriell. Konzeptionell stark, handwerklich mangelhaft. (6/10)

Zu ein paar sehr guten Petit-fours (Madeleine, Schokoladenpralinen, Yuzu-Marshmallow) und dem Rest aus meinem Glas Corton-Charlemagne (ca. € 30) lasse ich den Abend mit der einmaligen Aussicht ausklingen. Die Küche hier ist eigentlich Ducasse-typisch und tadellos konzipiert, nur müsste der Patron hier einmal dringend das Ruder rumreißen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Rech by Alain Ducasse (→ Website)
Chef de Cuisine: Stéphane Gortina
Ort: Hongkong
Datum dieses Besuchs: 04.01.2018
Guide Michelin (Hong Kong/Macau 2018): *
Meine Bewertung dieses Essens 6,5 (Was beudeutet das?)
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Pierre

In der fünfundzwanzigsten Etage des Hotels Landmark Oriental in Hongkong ‒ ein dunkles, gedrungenes Hotel mit einem sehr angestaubten Verständnis von Luxus ‒ betreibt Pierre Gagnaire bereits seit 2006 das inzwischen mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Restaurant Pierre.

Die Tatsache, dass das Restaurant den Vornamen des Kochgenies trägt, verrät eine besondere Nähe zum Kochgenie und seinem legendären Restaurant in Paris.

Die Speisekarte bietet an diesem Mittag nicht weniger als ein Express Lunch mit einer Auswahl aus zwanzig Gerichten (zwei oder drei Gänge zu ca. € 54 bzw. 64), ein Winter Tasting Menu mit sechs Positionen (vier oder sechs Gänge zu € 135‒185) sowie die reguläre Karte, die mit Gagnaires berühmten, mehrteiligen Œuvres bestückt ist. Da mich Letztere ‒ und ein Vergleich zu dem Niveau in Paris ‒ besonders interessieren, entscheide ich mich für zwei solcher Werke.

Den Anfang machen einige Canapés (Zutaten u. a. violette Kartoffel, Alge, Perilla, Haselnuss), die sehr fein gearbeitet sind, aber ihre längere Vorbereitung nicht ganz kaschieren können (6,9/10); danach gibt es ein Amuse-Bouche mit Makrele, Forellenrogen, Kürbispüree und „Bonito-Späne“, säuerlich frisch, aber auch etwas schwer (7/10).

Es geht dann gleich weiter mit der Vorspeise. Sie trägt den Titel „Perfume of the Earth“ und besteht aus insgesamt fünf Tellern (€ 78). Es gibt in Heu geräucherte und gebratene Foie Gras in grandioser Qualität mit Artischocke und Sellerie (für sich betrachtet 8/10). Dazu gibt es gegrillte Mortadella „Kimchi Style“ mit in geschmortem Salat eingewickelter Sobrasada, eine etwas skurrile Kreation, die man zusammen mit einem geschmacklich sehr intensiven Anis-Fenchel-Soja-Schaum probieren soll, was alles zusammen in etwa so schmeckt als würde ich Bratwurst mit Absinth herunterspülen (6,9/10). Ein weiterer Teller beinhaltet ein Frikassee mit hervorragenden, sehr zarten Schnecken in einem dichten, dunklen Jus sowie Chicoree mit charmanter, würziger Frische (8,5/10); eine Kürbisvelouté mit rosa Pfeffer und Perlzwiebeln, die man so auch in einer Bankettküche servieren könnte (6,9/10), ist die letzte Komponente dieser Kreation, die ‒ ganz charakteristisch für Gagnaire ‒ so herausfordernd ist wie ein Film von David Lynch. Kurzweilig, einzigartig und denkwürdig sind auf jeden Fall Qualitäten, die dieses kulinarische Werk für sich verzeichnen kann. (7,5/10)

Mein Hauptgang ist eine vierteilige Kreation, die um das Thema Wolfsbarsch rankt (€ 89). Letzterer kommt als fordernd großes Stück (leicht über den idealen Garpunkt) gegrilltes Filet von ausgezeichneter Qualität auf den Teller, ein grandioser Kartoffelgratin mit viel Butter und gratiniertem Parmesan komplettiert hier ein ganz klassisches Geschmacksbild, das durch Eiskraut und etwas Zitrusfrucht noch um eine angenehme Frische ergänzt wird (7/10). Die „Satellitenteller“ bilden hierzu einen starken Kontrast. Verschiedene Krustentiere (Große Seespinne sowie eine kleinere Krabbe), starke jodige Akzente durch Krustentierreduktionen und verarbeitetem Rogen, Zitrusfrüchte und eine sehr gute Timbale mit Coco-de-Paimpol-Bohnen ergeben eine ‒ erneut wachrüttelnde ‒ Reise durch die Meere. Faszinierend, aber in Bezug auf handwerkliche Präzision und Qualität der Produkte verbesserungsfähig. (7/10)

Das Restaurant ist längst nicht ausgebucht, und ich bin überrascht, dass sich einem auch mittags eine derart große Auswahl an Gerichten bietet. Die Handschrift ist ganz klar die des Meisters, aber dass sein Nachname noch nicht am Restaurant prangt, ist ebenfalls nachvollziehbar. Im Zweifel ist eben ein anderer Pierre schuld.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Pierre (→ Website)
Chef de Cuisine: Jacky Tauvry
Ort: Hongkong
Datum dieses Besuchs: 05.01.2018
Guide Michelin (Hong Kong/Macau 2018): **
Meine Bewertung dieses Essens 7 (Was beudeutet das?)
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Caprice

Das Hotel Four Seasons in Hongkong zählt zu meinen absolut favorisierten Metropolenhotels. Die Lage in erster Reihe auf Hong Kong Island bietet Tag und Nacht eine fantastische Kulisse, der Service glänzt durch eine ‒ besonders in großen Hotelketten ganz selten anzutreffende ‒ Kombination von Professionalität, herzlicher Freundlichkeit und persönlicher Note, und die Entwicklung der Gastronomie steuert hier gerade auf einen unter einem Dach noch nie dagewesenen Drei-Sterne-Hattrick zu.

Über dem kantonesischen Lung King Heen leuchten die drei Sterne bereits, noch in diesem Jahr soll Sushi-Gott Takashi Saito hier eine Dependance eröffnen, und im französischen Caprice soll Küchenchef Guillaume Galliot ganz offenkundig die höchsten Weihen zurückholen.

Einen solchen Eindruck bereitet auf jeden Fall ein kurzes Abendessen, das ich mir schnellentschlossen noch vor meinem späten Abflug aus Hongkong gönne. So kann ich zumindest das Flugzeugessen gleich dankend ablehnen.

In australisches Wagyu-Tartar (ca. € 78) wurde Gillardeau-Auster mitverarbeitet und erfährt dadurch, zusammen mit einer üppigen Portion Kaviar obenauf, eine raffinierte Würzung. Galliot verzichtet hier bewusst auf Zwiebeln und Kapern und belebt so einen Klassiker wieder. Exzellent! (9/10)

Wunderbar leicht, frisch und qualitativ grandios ist danach auch das von der Küche Singapurs inspirierte Laksa mit Königskrabbe, Œuf Confit und einem (vielleicht etwas zu überdosierten) cremigen Schaum mit Sudachi-Zitrusfrucht. (8,9/10)

Lammkarree aus dem Aubrac ist sehr zart und aromatisch, nur mit Herd und Ofen gegart und wird mit einer Portion geschmorter Lammschulter, sehr aromatischem Paprikakompott und Marsala-Sauce serviert (€ 80). Von den Texturen her ist das Gericht etwas zu homogen, geschmacklich und qualitativ hat man hier aber ein hervorragendes Gericht vor sich. (8/10)

Ein Dessert mit Birne, karamellisierten Trauben und Schokolade ist ein klassischer Desserttraum, bei dem Karamell- und Fruchtaromen gekonnt im Vordergrund stehen und die Schokolade die Kreation nur subtil ergänzt. (9/10)

Auch die Pralinen im Anschluss sind perfekt und unterstreichen die Richtung, in die es hier geht. Ich werde das, was in diesem Haus geschieht, weiter unter die Lupe nehmen. Dieses Vorhaben ist jetzt schon eine Folgereise wert.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Caprice (→ Website)
Chef de Cuisine: Guillaume Galliot
Ort: Hongkong
Datum dieses Besuchs: 05.01.2018
Guide Michelin (Hong Kong/Macau 2018): **
Meine Bewertung dieses Essens 8,9 (Was bedeutet das?)
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