Tourniert ‒ Frankreich: Berge und Burgund

Wunderschöne Landschaften, fantastische Herbergen, gutes Essen, gute Weine. Wenn es um diese Dinge geht, ist und bleibt Frankreich für mich das schönste Reiseziel. Über einige Restaurants, die ich in diesem Jahr abseits der größeren Namen besucht habe, berichte in dieser Ausgabe von Tourniert.

Im Einzelnen:

→ Le 1903, Talloires
→ La Dilettante, Beaune
→ Hostellerie de Levernois, Levernois


Le 1903, Talloires

Spricht man diese Tage von der Auberge du Père Bise, hat man in der Regel auch das Restaurant von Küchenchef Jean Sulpice im Sinn. Zu Recht, denn seine alpine, feinsinnige Küche hat mit Gipfeln genauso viel zu tun wie die Berge der Umgebung um den Lac d’Annecy.

Doch ich freue mich auch immer, wenn ein solches Haus noch eine weitere, einfachere Gastronomie betreibt. Vor allem, wenn man länger als eine Nacht dort ist. Man profitiert dann von etwas Abwechslung, willkommener Bodenständigkeit und einer dennoch gewissenhaften und hochwertigen Küche.

So auch im Le 1903, dem Bistro der in grandioser Kulisse gelegenen Herberge. In urigem, aber mit zeitgemäßen Details behutsam modernisiertem Ambiente bestellt man sich am besten zunächst eine Flasche Wein, um über die Entscheidungsproblematik, vor die einen die Speisekarte stellt, hinwegzukommen. Diese spricht die Sprache von größtenteils traditionellen französischen Rezepten mit hochwertigen Zutaten. Die Formel „Vorspeise, Hauptgericht, Dessert“ kostet € 42, ein A-la-carte-Teil bietet weitere Auswahlmöglichkeiten.

Ein als Amuse-bouche servierter pâté en croûtemit Kalbfleisch, Spitzkohl, kandierter Zitrone und Estragon bereitet vorweg schon mal Freude mit seinem dünnen Teig, einer saftigen, schmackhaften Füllung und hohem Fettgehalt (7/10). Leichter und moderner ist eine Vorspeise mit gegartem und anschließend gekühltem grünen Spargel von ausgezeichneter Qualität und kleinen, ein wenig trockenen, Stücken von geräuchertem Felchen (6,9/10).

Schnecken des Züchters Philippe Héritier sind die besten Exemplare dieses Tiers, die ich bisher gegessen habe ‒ zart und sehr schmackhaft (€ 32). Sie kommen auf gebackener Polenta in einem schaumigen, salzig-süffigen Bärlauch-Sud und verschiedenen, üppig portionierten Kräutern. Das Gericht bewegt sich irgendwo entlang der heute Abend mir sehr willkommenen Grenze zwischen Rustikalität und Finesse (6,9/10).

Um den Appetit heute nachhaltig zu bekämpfen, stehen danach eine ganze Reihe von Hauptgerichten auf dem Tisch, von einer tranchierten côte de bœuf (€ 80) mit authentischem Geschmack, aber etwas vielen Sehnen ‒ dazu gibt es Pommes frites und Béarnaise ‒ über Seesaibling (omble chevalier) à la meunière (€ 36), vielleicht etwas zu schlicht (6,5/10) bis zum schaumigen „l’œuf parfait“, einem „perfekten Ei“, mit, laut Speisekarte, Morcheln, Kaffee und pommes pailles, bei dem ich die Morcheln jedoch nicht finden kann (6,9/10).

Wem das noch nicht reicht ‒ das tut es zwar, doch die Neugier ist größer ‒, probiert zum Abschluss z. B. noch den exzellenten Schokoladenkuchen mit Haselnuss (7/10) und wunderbar buttrigen, noch warmen Madelaines mit Himbeeren (7/10).

Bodenständig, teilweise modern, aber durch und durch französisch ist das Bistro der Auberge eine hervorragende Ergänzung zur leichteren, kreativen Küche im Spitzenrestaurant nebenan.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Le 1903 (→ Website)
Chef de Cuisine: Jean Sulpice
Ort: Talloires, Frankreich
Datum dieses Besuchs: 29.04.2018
Guide Michelin (F/MC 2018): Empfehlung
Meine Bewertung dieses Essens 6,9 (Was bedeutet das?)
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La Dilettante, Beaune

In Beaune, im Herzen Burgunds, stolpert man leicht über den Namen dieses „Neo-Bistros“ ‒ eher eine Weinbar ‒, das sich kurz vor dem historischen Stadtkern befindet. Als Ortsfremder werde ich von der einzigen Tischgesellschaft dort zunächst etwas skeptisch beäugt als ich an diesem Mittag spontan eintrete, aber Franzosen sind schnell zu besänftigen, wenn man ihre Muttersprache spricht.

Allzu viel kann ich über meinen Besuch hier kaum berichten, denn es ist nur eine Stippvisite auf etwas Wein und Charcuterie. Und die ist verdammt lecker! Wurst, Schinken, Käse und Cornichons in sehr guter Qualität, dazu gutes Baguette und ein scharfes Messer. Mehr brauche ich gerade gar nicht.

In der kleinen Küche im Hintergrund hantiert der Inhaber gerade mit einem duftenden Schmorgericht.

Die Weinauswahl ist beträchtlich, das Ambiente zeitgemäß, und die leeren Flaschen in den Regalen, von Morgon bis Musigny, sprechen Bände. Solche Läden braucht die Welt.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: La Dilettante (→ Website)
Inhaber: Laurent Brelin
Ort: Beaune, Frankreich
Datum dieses Besuchs: 01.05.2018
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Hostellerie de Levernois, Levernois

Das von einem deutsch-französischen Ehepaar geführte Relais & Châteaux in Levernois ist eines der schönsten Hotels im Burgund. Auf der weitläufigen Anlage lässt es sich wunderbar entspannen. Die saftigen Wiesen und das pittoreske Dorf laden zu Spaziergängen ein.

Das Hotelrestaurant ist seit vielen Jahren mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Mein letzter Besuch ist fast zehn Jahre her, und meine Erinnerungen sind entsprechend verblasst.

Die Speisekarte bietet heute Abend verschiedene Gerichte um die 40-50 Euro, dazu eine umfangreiche, aber ebenfalls saftig kalkulierte Weinkarte. Das ist insoweit bedauerlich, als es einem als (halbwegs vernünftiger) Gast damit nahezu verwehrt bleibt, größere Tropfen aufzumachen ‒ wenn man schon mal im Burgund ist. Mein 2014er Vosne-Romanée 1er Cru „Les Beaux Monts“ von der Domaine Georges Noëllat ist zwar schon recht groß, schlägt aber entsprechend auch mit € 290 zu Buche. Für den Preis gibt es in einigen ‒ gerade einfacheren ‒ Restaurants in Burgund schon Grand Crus.

Die Amuse-bouches bestehen aus drei bedingt aufregenden Snacks: ein rundes Stück Toast mit einer Halbkugel aus Foie Gras, ein mit Tomatencreme gefüllter Financier sowie etwas aufgerollter Lachs mit Ziegenkäse. Das ist alles einheitlich durchgekühlt, qualitativ und handwerklich unauffällig und bewegt sich damit unterhalb der Grenze zu Speisen, die man in einem Restaurant mit Michelin-Stern erwarten sollte. (6,5/10)

Ein weiteres Amuse mit Wachtelei, Selleriecreme, Schinken und Erbsen ist auch nicht viel besser und leidet unter einem ähnlichen „Vorbereitungsproblem“, d. h. einer zu langen Kühlung. (6,5/10)

Meine erste Vorspeise, Kaisergranat mit Timut-Pfeffer und Kalamansi-Vinaigrette (€ 47) wird auf einer nun auch schon wieder durchgekühlten, gelierten Creme serviert und ist dazu noch übergart. Wenn man schon jetzt über 400 Euro auf der Uhr und noch keine wahre Freude am Essen hat, lässt die Situation nichts anderes zu als etwas anzumerken. Ich erkläre meine Kritik an dem Gericht dem Service, das Gericht wird zurückgenommen, und ich harre der Dinge. (6/10)

Eine Weile vergeht, bis ein Austauschgericht serviert wird. Das ist erstaunlicherweise um Welten besser. Das zweifellos à la minute zubereitete Gericht beinhaltet zwei diesmal makellos zubereitete langoustines in einem heißen, buttrig-schaumigen Krustentiersud, von dem ich mich frage, wo der hier sonst noch zum Einsatz gelangt. Auf diesem Niveau sollte die Küche hier eigentlich sein. Schade, dass dies ein Extrawunsch sein musste. (7/10)

Ein Risotto mit Froschschenkeln, Schnecken und Bärlauchsauce (€ 42) lebt von einer rustikalen Süffigkeit durch Röstaromen, Salz und einer punktgenauen Reiskonsistenz (7/10); Kalbsbries ‒ ein bisschen zu fest und zu trocken ‒ mit weißem Spargel, Morcheln und einer übertrieben stabilisierten Vin-Jaune-Sauce (€ 52) unterschreitet dann wieder die für dieses Preisniveau akzeptable Grenze, an der man sich hier entlanghangelt (6,9/10).

Man versucht hier kulinarisch derzeit etwas mehr als man kann (und müsste). Anstatt die Gerichte mit vielen unterschiedlich zubereiteten Komponenten in die Breite expandieren zu lassen, würde die Küche deutlich von mehr Fokus profitieren. Anstatt vier mäßiger Amuse-bouches reichte mir ein gutes, anstatt einem Dutzend Komponenten auf dem Teller reichten drei. So ist die Küche also weder Fisch noch Fleisch, weder modern noch klassisch, weder spitze noch schlecht. Die burgundische Küche ist eben immer noch am besten, wenn sie auf dem Teppich bleibt.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Hostellerie de Levernois (→ Website)
Chef de Cuisine: Philippe Augé
Ort: Levernois, Frankreich
Datum dieses Besuchs: 01.05.2018
Guide Michelin (F/MC 2018): *
Meine Bewertung dieses Essens 6,9 (Was bedeutet das?)
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