Le Clarence ‒ Pelé für Frankreich

Aristokratisch fühlt es sich an, wenn man im Pariser Hotel und Restaurant Le Clarence einkehrt. Kein Wunder, schließlich ist der Eigentümer des Hauses ein leibhaftiger Prinz. Prince Robert de Luxembourg, um genauer zu sein. Er ist unter anderem Miteigentümer und Geschäftsführer der ikonischen Châteaux Haut-Brion und La Mission Haut-Brion in Bordeaux. Sie alle firmieren unter der Dachmarke Domaine Clarence Dillon.

Eine der jüngsten Akquisitionen des Prinzen ist nun dieses Haus in Paris, das inzwischen auch der Hauptfirmensitz der Domaine ist. Der Prinz hat die Immobilie in einem archaischen Verfahren akquiriert, welches noch immer von französischen Notaren eingesetzt wird: Bei der so genannten vente à bougie wird die Auktion dann beendet, wenn die letzte der zu Beginn angezündeten Kerzen erloschen ist. Dies nur als Anekdote.

Im Restaurant des Hauses hat der Prinz den Küchenchef Christophe Pelé installiert, der eine konstante Größe in der Pariser Gastronomielandschaft darstellt. Pelé führte bis zum Jahr 2012 das zweifach besternte und sehr populäre Restaurant La Bigarrade.

Die neue Wirkstätte von Pelé ist im Übrigen eines der selteneren Spitzenrestaurants in Paris, das auch am Samstag geöffnet hat. Ideal also für einen Wochenendausflug.

Die Speisekarte ist eine carte blanche. Es gibt drei Menüoptionen mit abends entweder drei, fünf oder sieben Gängen zu € 130‒320. Eventuelle Abneigungen werden abgefragt, den Rest erledigt die Küche. In einem derart klassischen Umfeld ist diese Art von Menüauswahl ungewöhnlich kreativ und deutet damit auch auf eine zeitgemäße Küche hin. Mein Appetit und meine Neugier sind groß, daher wird es bei mir das große Menu Inspiration.

Das Mahl beginnt mit herzhaften Snacks, très Français. Mich erinnert das immer an meine Kindheit. Wenn wir meine Großeltern in Frankreich besuchten, gab es zum Aperitif an einem Sofatisch immer salzige Snacks und ‒ für mich damals höchstens in homöopathischer Dosis ‒ Champagner. Alles nicht in Spitzenqualität, aber eben doch ein Ritual, das im Kulturgut der französischen Küche fest verankert ist.

Hier im Le Clarence sind die Snacks natürlich feiner, erfüllen aber dieselbe appetitanregende Funktion. Es gibt eine Schnecke mit Estragon-Mayonnaise, ein schon in dieser winzigen Portion hervorragender Snack mit exzellentem Hauptprodukt und fein würziger Sauce (8/10), gefolgt von sehr guten, mit flüssigem Comté und Haselnuss gefüllten Gougères (7/10).

Im Glas habe ich dazu ein Glas 2012er La Clarté Haut-Brion Blanc (€ 35), und im Weinkörbchen am Tisch liegt bereits eine Flasche 2000er La Chapelle de La Mission Haut-Brion (€ 225). Meine Auswahl fiel absichtlich auf die Weine des Eigentümers. Wenn man schon mal hier ist.

Barbajuan, eine monegassische Spezialität aus frittiertem Teig und, üblicherweise, einer Füllung mit Frischkäse und Spinat, hier jedoch leichter und etwas pikant, ist ebenfalls sehr gut. (7/10)

Danach gibt es Kaisergranat in zwei Varianten. Die erste präsentiert das Krustentier als Tempura mit Kräutern, dazu gibt es eine Sauerampfersauce und Erdbeere. Die ungewöhnliche Kombination ist überraschend stimmig, wenngleich das Frittieren ‒ wie oft außerhalb der Restaurants Japans ‒ den Geschmack der Hauptzutat etwas kaschiert. Dennoch sehr gut. (7/10)

Variante zwei ist ein roh präsentiertes Exemplar in einer hervorragenden, leicht salzigen und etwas jodigen Sauce mit Corail. Zwei separate Saucentupfer fügen eine aromatische Frische hinzu, die man Minze zuordnen könnte. Zusammen mit der makellosen langoustine ‒ obwohl roh hinsichtlich der Textur immer leicht gewöhnungsbedürftig ‒ ist das eine kleine Kreation auf höchstem handwerklichem und qualitativem Niveau. (8,9/10)

Zum Staunen ist derweil auch die Brioche feuilletée auf dem Brotteller. Der Teig ist dekadent buttrig, die Dutzenden hauchdünn ausgerollten Teigschichten sorgen für höchsten Knusperspaß. Eine neue Referenz für diese Art von Gebäck.

Weiter geht es mit einem Gericht, welches exzellent gegarten und mit appetitlichen Röstnoten versehenen Tintenfisch mit einer salzigen Scheibe Bottarga und karamellisierter Tomate kombiniert. Das beherzt salzige Geschmacksbild wird durch eine cremige helle Sauce ausbalanciert. Das ist Meer pur, mit schroffer Küste und steifer Brise. Ergänzend dazu gibt es à part noch einen kleinen Spieß mit einem weiteren Stück Tintenfisch mit Raukecreme und Frischkäse. Alles sehr fein und exzellent. (8/10)

Das Überraschungsmenü überrascht weiter mit einer leichten, sehr aromatischen und leicht pikanten Gazpacho ‒ genau wie es sein sollte. Das geschmacksintensive Innere einer Tomate, ein Stück Königskrabbe von makelloser Frische sowie eine winzige Zucchini samt ihrer Blüte machen aus dem traditionellen Süppchen einen delikaten Hochgenuss. (8,5/10)

Die nächsten zwei Teller stellen eine Ausarbeitung des Themas Hummer dar. Auf dem Hauptteller findet man eine Hälfte des ausgelösten Tiers zusammen mit chlorophyllhaltigen Zutaten, genauer Avocado (in Form von Guacamole), Sauerampfer und Queller. Wie es die Komposition schon optisch vermuten lässt, geht es hier sowohl recht cremig als auch etwas herb zu. Der Hummer ist von bemerkenswerter Qualität, und die Zitrusaromen der Guacamole sind angenehm präsent; dennoch „verschwimmt“ das Gericht etwas, auf sehr hohem Niveau. Für sich betrachtet 7/10.

Nur wenig später wird ergänzend dazu ein zweiter Teller aufgetischt, bei dem ein weiteres Stück vom Hummer zusammen mit Kalbsbries serviert wird. Letzteres ist exzellent gegart, angenehm heiß und dabei komplett von einer dunklen Sauce ummantelt, die u. a. mit dem Hirn des Hummers zubereitet wurde. Für weniger offene Gäste mag das befremdlich klingen, doch die Zutat ist als solche nicht auszumachen und hat eigentlich keine andere Aufgabe als die Sauce etwas in Richtung Bitterkeit zu bewegen. Ein Surf and Turf auf Spitzenniveau. (7,5/10)

Die nächsten drei Gänge sind dramaturgisch und geschmacklich dann noch einmal überragend. Als erstes wird Steinbutt in zwei separaten Gerichten thematisiert.

Das erste beinhaltet ein großes, gegrilltes Stück des Wangenknochens, das besonders zart und gelatinehaltig ist. Das Fleisch, das mit einer sehr gekonnt mit Soja akzentuierten Sauce „lackiert“ ist, lässt sich mit dem Besteck ganz leicht vom Knochen ablösen. Eine großzügige Nocke Kaviar, die auf dem Ende des Knochens angerichtet ist, sorgt für eine elegante wie dekadente jodig-salzige Note, Schnittlauch für Frische. Mit seinem qualitativ wunderbaren Hauptdarsteller ist das Gericht so etwas wie die raffinierte Variante eines Steinbutts im Elkano. Ein unkonventioneller, mutiger Gang voller Wohlgeschmack und Qualität, den ich schon jetzt zu den besten des Jahres zähle. (10/10)

Die Atmosphäre ist gelöst. Inzwischen ist es an diesem langen Sommertag dunkel geworden, und der Speisesaal ist in warmes, goldenes Kronleuchter- und Kerzenlicht getaucht. Trotz des sehr klassischen Rahmens ist der Service angenehm unverkrampft, souverän und humorvoll, eine Kombination, der ich in Frankreich oft begegne ‒ entgegen aller Klischees.

Der nächste Gang erreicht den Tisch. Die zweite Variante des Steinbutts ist ein klassisch gebratenes Stück Filet, welches jedoch alles andere als mit klassischen Mitspielern serviert wird. Anstelle von frischem Gemüse und leuchtenden Farben gibt es zu dem hervorragend gebratenen Fisch eine wunderbar dick eingekochte, aromatisch dichte Sauce, eine Sardine, die Salz liefert, ein gebratenes Taubenherz, das für einen Hauch anspruchsvolle Bitterkeit sorgt, und eine Pomme soufflée. Das Ensemble ist großartig ‒ überraschend harmonisch, leicht pikant, und süffig-wohlschmeckend. (8,9/10)

Das Taubenherz des vorherigen Gangs stellt auch eine gekonnte Überleitung zum eigentlichen Hauptgericht dar, eine in drei Tellern inszenierte Variation um das Themen Taube. „Ausgerechnet“, denke ich mir, denn ich hatte meine Abneigung gegenüber Taube im Voraus nicht mitgeteilt. Manchmal vergesse ich das ‒ oder lasse es eben einfach darauf ankommen.

Natürlich nehme ich die Herausforderung dann auch an. Sie ist auch nicht besonders groß. Der Hauptteller besteht aus einem ideal gebratenen Stück der Brust ‒ nicht zu roh, nicht durch, sehr zart ‒, das mit einer intensiven dunklen Sauce überglänzt ist, die nach Süßholzaromen schmeckt. Eine schmelzende Scheibe Lardo sowie ein Stück Taschenkrebs ergänzen das üppige Ensemble.

A part sorgen zwei Satellitenteller für zusätzliche Spannung. Ein weiteres Stück der Taube findet man hier auf karamellisierter Aubergine mit etwas Sesam und einer Vitello-Tonnato-Sauce ‒ wunderbar süffig und dennoch aufgelockert durch die Aubergine. Teller drei bietet noch einmal etwas Taube in Form von gezupftem, fettigeren Keulenfleisch, das mit Aubergine und einer bemerkenswerten Sauce Béarnaise serviert wird. So gefällt auch mir das Geflügel. (8,5/10)

Nach einer kleinen, exzellenten Käseauswahl, die ich in dieser Atmosphäre des Genusses nicht auslassen kann, folgen einige Dessertkreationen, die gleichzeitig serviert werden.

Es gibt eine Tartelette aus handwerklich hervorragendem Mürbeteig, die auf einer leichten Kardamom-Crème hervorragende Walderdbeeren zur Schau stellt (8,5/10); weiter gibt es ein geschmacklich noch intensiveres Erbeereis auf Referenzniveau, serviert auf eingelegten Brombeeren (9/10); eine grandiose, nicht von dieser Welt erscheinende crême au citron mit Gurkengelee und Gurke, die bereits aus der Entfernung nach süßlicher Zitrus- und Gurkenfrische duftet (10/10); und schließlich einen Schokoladenkuchen mit mehreren Schokoladenzubereitungen von cremig bis knusprig, die in Summe eine der besten Schokoladendesserts ergeben, die ich je gegessen habe (10/10). Die Kreation erinnert mich unweigerlich an den phänomenalen eight texture chocolate cake von Peter Gilmore aus dem Restaurant Quay in Sydney, der dort jedoch leider nicht mehr serviert wird.

Es folgt noch das beste Soufflé, das ich je genossen habe ‒ ein Schokoladensoufflé, himmlisch leicht und intensiv nach allerbester Schokolade schmeckend, ergänzt um ein separates Vanilleeis, ebenfalls eine Klasse für sich und mit knusprigen Karamellkrümeln vollendet. (10/10)

Dieses Finale war der vielleicht beste süße Abschluss eines Menüs überhaupt. In der Patisserie geht für mich nichts über klassische französische Desserts, die mit besten Zutaten, Leidenschaft und handwerklicher Akribie zubereitet werden.

Nach angenehmen drei Stunden endet damit ein größtenteils beeindruckendes und sehr genussreiches Menü, in dem Kreativität und Klassik spannend miteinander verwoben waren. Die Ingredienzen, die von manchen möglicherweise als gewagt empfunden werden ‒ Wangenknochen, Hummerhirn, Taubenherz ‒ und die carte blanche an sich zeugen von einer Souveränität, die die Küche des Le Clarence sich nicht nur leisten kann, sondern sie ganz besonders charakterisiert. Von Pelé wird man wieder viel hören. Jetzt spielt er für Frankreich.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Le Clarence (→ Website)
Chef de Cuisine: Christophe Pelé
Ort: Paris, Frankreich
Datum dieses Besuchs: 28.07.2018
Guide Michelin (F/MC 2018): **
Meine Bewertung dieses Essens 8,5 (Was bedeutet das?)
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