Sushi Saito (Hongkong) ‒ im Namen des Meisters

Im Sushi Saito in Tokio erlebt man eines der besten Essen seines Lebens. Sushi-Legende Takashi Saito ist ein Virtuose, dessen tranceartig ausgeführtes Handwerk in Mark und Bein des Betrachters übergeht ‒ und in die Speisen. Beste Qualität und handwerkliche Perfektion sind in Saitos Welt Trivialitäten. Es geht eher um Themen wie die richtige Anzahl an Reiskörnern pro Portion, die geometrische Perfektion der Fischabschnitte, um deren akkurate Anordnung auf dem Holzbrett aus Hinoki-Zypresse, die Anzahl an Handbewegungen, mit der der Meister das neta (den Fisch) hin- und herwiegt, bevor er es mit dem shari (dem Reis) vermählt.

Es erscheint daher schon im Kern widersprüchlich, dass sich ein Erlebnis kopieren lassen sollte, welches so eng an die Person gekoppelt ist wie es bei Saito ‒ und beim Sushi-Handwerk im Allgemeinen ‒ der Fall ist. Umso überraschender ist es daher, dass ausgerechnet der Name Sushi Saito seit einigen Monaten auch an einem Restaurant im Hotel Four Seasons in Hongkong prangt. In japanischen Lettern versteht sich, versteckt im 45. Stock, der sonst nur für Hotelgäste mit Club-Lounge-Zutritt zugänglich ist, also ohnehin bestens getarnt vor eventueller Laufkundschaft.

Betrieben wird das Restaurant nicht von der Four-Seasons-Gruppe, sondern von der Firma Global Link, die auch finanziell hinter dem Restaurant in Tokio steckt.

Man hat sich bemüht, die Exklusivität des Restaurants aufrechtzuerhalten. Einfach ist es daher auch in Hongkong nicht, eine Reservierung zu machen. Da das Restaurant nicht vom Hotel betrieben wird, hat ein Hotelgast hier auch keine besseren Karten als ein Normalsterblicher. Ich hatte gute Kontakte, daher ist es mir gelungen, die 400-Euro-pro-Person-Reservierung, die man im Voraus begleicht, eher unkompliziert zu ergattern. Es steht zwar auch eine Telefonnummer auf der Website, wie sehr sie hilft, kann ich nicht einschätzen.

Es gibt einige Beispiele für „Filialen“ herausragender Sushi-Restaurants. Die Kette Sushi Ginza Onodera mit verschiedenen Restaurants rund um die Welt ist so ein Beispiel, oder das großartige Schwesterrestaurant des dreifach besternten Sushi Yoshitake in Tokio, Sushi Shikon, ebenfalls in Hongkong und ebenfalls dreifach besternt.

Dennoch handelt es sich bei allen genannten um individuelle Restaurants. Sushi lebt durch seinen jeweiligen Meister. Wenn das Sushi jemand anders zubereitet, ist es anderes Sushi, ganz gleich, welcher Name an der Tür steht. Sushi ist damit der Gegenentwurf zu nahezu allen anderen Speisen der Welt ‒ weitere japanische Küchenstile eingeschlossen ‒, die sich mit entsprechender Übung auch von anderen Personen herstellen lassen. Paul Bocuse’ legendäre Antwort auf die Frage, wer denn koche, wenn er nicht im Haus sei ‒ „dieselben Leute, die auch kochen, wenn ich da bin“ ‒ hat hier keine Gültigkeit.

Als ich an diesem Samstagabend den Vorhang zum Restaurant öffne, bin ich gespannt, angespannt, demütig und erwartungsvoll. Appetit habe ich auch, Lust auf gutes Sushi ohnehin. Allein der Geruch, der Duft von saurem, glattem Holz, Keramik, scharfen Messern, Sojasauce und Reinlichkeit erfüllt mich mit Freude.

Der erste Unterschied zu Saito in Tokio ist der übers Eck gebaute Tresen. Der andere dann sogleich die Abwesenheit von Saito selbst. Seine Vertretung in Hongkong heißt Ikuya Kobayashi. Es ist ein großer, schlanker, gut gelaunter Mann. Acht Jahre lang arbeitete er an Saitos Seite in Tokio. Wenn man bedenkt, dass der Übergabeprozess von Jiro Onos Restaurant an seinen Sohn bereits Jahrzehnte dauert, ist das vergleichsweise kurz.

Rechts neben mir kommentiert eine nervtötende Amerikanerin hysterisch jede Gegebenheit im Restaurant sowohl verbal in Richtung ihrer bereits leicht genierten männlichen Begleitung als auch auf ihrem Smartphone. Schade, dass das exklusive Reservierungsprinzip offenbar eine bestimmte Klientel dennoch nicht davon abhält, einen Platz zu bekommen.

Kobayashi-san beginnt das Menü triumphal. In Bonito-Dashi marinierter Lachsrogen ist bereits für sich genommen eine Wucht. Die großen, transparenten Fischeier glänzen wie goldene Murmeln und lösen beim Anblick kindliche Freude aus. Im Gegensatz zu kleineren Fischeiern muss man hier sogar etwas beißen, damit sie am Gaumen zerplatzen und ihr unerwartet flüchtiges, aber präsentes Aroma von Meer und Gischt preisgeben. Grandios ‒ kein anders Wort würde dem Genüge tun ‒ ist auch die über den Rogen gehobelte frische Yuzu. Sie ist in einer so präzisen Menge dosiert, dass sie dem Gericht nur eine Idee, eine Kopfnote, von Yuzu hinzufügt. Das Leuchten der Schale, die kraftvolle Bescheidenheit der Aromen, all das ist großartig. (10/10)

Es geht weiter mit Chinesischer Wollhandkrabbe (kegani) aus Hokkaido ‒ wie alle Zutaten hier tagesfrisch aus Japan eingeflogen. (Während der berühmte Tsukiji-Fischmarkt in Tokio in der kommenden Woche umzieht, hat das Restaurant, wie viele der weltbesten Sushi-Restaurants, geschlossen.) Das ausgelöste, buttrig-zarte Fleisch des Krebstiers wurde behutsam in einer Essigsauce mariniert. Es ist sehr schwierig zu beschreiben, wie der typische Geschmack des Krebstiers nach abgestandenem Wasser ansprechend sein kann, doch auch dieses Gericht ist ein puristischer Qualitätsgipfel par excellence. (8/10)

Ein Klassiker aus Saitos Restaurant ist dann die Kombination aus Abalone und Oktopus. Die Schwierigkeit der Zubereitung liegt, abgesehen von der Beschaffung der Rohstoffe, besonders in der Zubereitung der eigentlich sehr kaubedürftigen Zutaten. Der Oktopus wird hierzu bspw. in einer Mixtur aus Sojasauce und braunem Zucker über mehrere Stunden gegart. Das Resultat ist eindrucksvoll. Beide Zutaten sind zart und saftig, dennoch nicht zerfallend, und mit sehr ansprechendem Geschmack. Unterstützend hierzu findet man noch frisch geriebenen Wasabi und eine Sauce aus Abaloneleber. Nuancen unterscheiden diesen Teller von meiner Referenz bei Saito. (8,9/10)

Es folgt eine Degustation von Seeigelrogen zweier Spezies aus Hokkaido. Der rötlichere Rogen, ezo-bafun uni, besteht aus eher kleinen „Zungen“ und ist sehr cremig, mit einem ansprechenden, leicht süßlichen Geschmack nach Gischt. Der andere, kita-murasaki uni, ist auch sehr delikat, etwas weniger süß und „klarer“ im Geschmack. Die beiden Sorten direkt vergleichen zu können ist spannend wie eine gute Weinprobe und eine Erfahrung, die man nur in den besten Sushi-Restaurants der Welt machen kann. Die Seeigel hier auf dem Teller gelten als einige der besten Sorten überhaupt, entsprechend famos ist dieser Teller. Denkwürdig. (8/10)

Währenddessen hat Kobayashi-san mit dem Zuschneiden des Fischs begonnen. Seine Bewegungen sind sicher, der Fisch sieht exzellent aus. Doch zunächst geht es weiter mit den otsumami, den Appetizern.

Seeteufelleber, eine gängige Zutat in guten Sushi-Restaurants, kommt erneut leicht mit Yuzu besprenkelt als nächster Gang an den Tisch. Die Leber ähnelt sowohl geschmacklich als auch von ihrer Textur her an Foie Gras. Die frisch geriebene Zitrusfrucht verleiht der betörenden Zutat dabei eine hinreißende Eleganz. Das ist mehr als hervorragend. (8,5/10)

Es folgt ein Teller mit nodoguro, ein Fisch mit rosa-silbriger Farbgebung, der auf Japanisch oft auch akamutso genannt wird. Der barschverwandte Fisch gehört zur Gattung der Laternenbäuche. Man begegnet dem Fisch in internationalen Spitzenrestaurants häufiger. Küchenchefs wie Björn Frantzén oder César Ramirez arbeiten ebenfalls gerne mit dieser faszinierenden Deliktesse. Der Fisch hat einen hohen integrierten Fettgehalt, hierdurch eine saftig-buttrige Textur und einen äußerst delikaten Geschmack. Das Stück auf diesem Teller wurde über Holzkohle gegrillt ‒ dies geschieht im hinteren, nicht einsehbaren Teil der Küche ‒ und wird mit Yamswurzel und geriebenem eingelegten Rettich (takuan) serviert. Letztere Komponenten ‒ kühl und frisch ‒ kontrastieren den üppigen Fisch, bei ich nichts anderes tun kann als bei jedem Bissen vor Genuss die Augen zu schließen. (9/10)

Inzwischen ist auch der Fisch für das Sushi präpariert. Ich kenne für viele davon inzwischen den japanischen Namen, ein Gedanke, der mich fröhlich stimmt. Manchmal werfe ich dem Meister fragend den jeweiligen Begriff zu, was ihn sichtlich erfreut. „You know everything!“ sagt er irgendwann höflich, aber diese grenzenlose Übertreibung streite ich entschieden, aber ebenfalls höflich, ab.

Das erste Stück Nigiri kommt mit Winterflunder (karai). Der transparente, weiße Fisch ist von fabelhafter Qualität und zeigt seine typischen Attribute eines reinen, süßlichen Geschmacks und einer etwas festeren Textur. Am interessantesten bei einem neuen Sushi-Restaurant ist für mich immer das Erlebnis, dieses erste Stück Nigiri zu probieren. Was mir hier zuerst auffällt ist die vergleichsweise kleine Größe des shari und dessen auffällig hohe Temperatur. Wie ich diesen „Stil“ ‒ wenn es denn einer ist ‒ finde, freue ich mich, in den nächsten Minuten herauszufinden. Auch dieses erste Stück ist bereits hervorragend und entlohnt jeden Flugkilometer.

Glänzender Schleimkopf (kinmedai), längst einer meiner Lieblingsfische, folgt. Die Qualität ist auf Spitzenniveau, genau wie in Japan. Die Reisportion ist bei diesem Stück noch etwas kleiner, was ich zumindest als Kuriosum wahrnehme.

Kohada, eine Heringsart, ist ebenfalls von grandioser Qualität, der Geschmack salzig und klar ‒ ein Fisch, übrigens, dessen Güte man besonders einfach erkennt. Ist die Textur mürbe, die Farbe nicht silbrig-weiß, sondern gelblich und der Geschmack nicht „rein“, sollte man ein Sushi-Restaurant am besten wieder verlassen, sagt man. Glücklicherweise ist mir eine solche Qualität noch nie begegnet.

Es folgt eine Selektion von Thunfisch, zuerst akami, d. h. etwas magereres Fleisch. Es ist ein hervorragendes Stück akami, saftig und mit betörendem Schmelz ‒ in der westlichen Welt kaum so erhältlich. Kobayashi-san hat für dieses shari frisch zubereiteten Reis verwendet, der noch wärmer ist als beim ersten Stück, hier nun regelrecht heiß. Das ergibt am Gaumen ein atypisches, zu Sushi unpassendes Mundgefühl. Die hohe Temperatur und auch deren Schwankungen sind eindeutige handwerkliche Fehler, die auf diesem Niveau überraschen.

Es geht weiter mit ōtoro, dem fettigen Teil vom Thunfisch. Die Qualität ist auf Spitzenniveau, das Stück schmilzt am Gaumen, und die Reistemperatur ist inzwischen auch wieder etwas gesunken.

Tintenfisch (ika), regelmäßig eine meiner Lieblingszutaten für Nigiri-Sushi, ist hier von atemberaubender Qualität und Zubereitung. Der bissfeste Fisch ist länglich mehrfach eingeschnitten, eine Technik, die ich gegenüber weniger oder gar nicht eingeschnittenen Stücken bevorzuge. Kobayashi-san hat etwas Saft von der Zitrusfrucht Sudachi darüber geträufelt, was den klaren, reinen Geschmack des Fischs charmant ergänzt. Eine Wucht. Das ist das beste Stück des Abends.

Pazifischer Makrelenhecht (sanma) ist eine Zutat, der man in Japan im Herbst und Winter begegnen kann. Der Fisch schmeckt ähnlich markant wie Makrele, ist dabei aber etwas milder, vor allem wegen des hohen Fettgehalts. Ein säuerliches topping, das ich im Eifer des Gefechts nicht verstanden habe, ziert dieses weitere exzellente Stück Nigiri.

Kuruma-Garnele (kuruma ebi) folgt dem sehr guten Kurs und offenbart ihren angenehmen, leicht süßlichen Geschmack. Vielleicht eine Nuance zu lange gegart.

Es folgt noch eine Handrolle mit erneut fabelhaftem Seeigel, welchem genau, habe ich nicht notiert.

Das letzte Stück Nigiri-Sushi ist mit gegartem Aal (anago) zubereitet, leicht süßlich lackiert, sehr gut.

Eine weitere exzellente Handrolle mit fettigem Thunfisch sowie ein ungewöhnliches, da eher puddingartiges und neutral schmeckendes tamago beenden letzte Fantasien von eventuell übriggebliebenem Appetit.

Eine sehr gute Misosuppe, die ich jedoch auch schon in besserer Zubereitung gegessen habe (7/10), und ein Stück fantastische Yubari-King-Melone (deren Einzelpreis für manche Exemplare mehrere Tausend Euro betragen kann) (8/10) schließen das Mahl in einer der aktuell begehrtesten Neueröffnungen Hongkongs ab.

Das Essen begleitete ich mit drei unterschiedlichen Junmai-Daiginjo- bzw. Daiginjo-Sakes (ca. € 30, € 42 und € 100 pro Kännchen). Alle waren sehr gut.

Hongkong ist um ein exzellentes Sushi-Restaurant reicher. Doch Saito ist Saito, und Kobayashi ist Kobayashi. Vor allem die Inkonsistenzen bei der Reistemperatur sowie das über die drei „Kapitel“ des Menüs stets etwas absinkende Niveau sind Auffälligkeiten, die sich eines der teuersten Sushi-Restaurants der Welt nicht leisten darf. Vor allem keines, das den Namen Saito trägt. Ich habe ihn vermisst.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Sushi Saito (→ Website)
Chef de Cuisine: Ikuya Kobayashi
Ort: Hongkong, China
Datum dieses Besuchs: 30.09.2018
Guide Michelin (HK/MC 2018): noch nicht bewertet
Meine Bewertung dieses Essens 8,5 (Was bedeutet das?)
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