Mingles ‒ koreanische Kreativität

Zwei Michelin-Sterne, hohe Platzierungen in verschiedenen Ranglisten, kreative koreanische Küche, ein unscheinbares Geschäftsgebäude in Gangnam-gu und eine Reservierung heute Mittag um 12 Uhr. So der Rahmen für mein bevorstehendes Essen. Ich bleibe damit meiner Präferenz treu, über Restaurants, die ich noch nicht kenne, im Voraus nicht allzu viel zu wissen. Was soll schon schiefgehen?

Im Restaurant angekommen, empfängt den Esser ein geradliniges Ambiente mit weiß verputzten Wänden, champagnerfarbener Holzdecke und klaren Linien. Die reduzierte Innenarchitektur spricht bereits Bände; um Schnörkel geht es hier jedenfalls nicht. Auch ein Stilmix, den der Name des Restaurants ja suggerieren könnte, findet zumindest optisch nicht statt.

Am Platz angekommen ‒ mit angenehmem Ausblick auf eine kleine Dachterrasse, dahinter Bäume und Hochhäuser ‒ liegt bereits das grafisch mit Bedacht gestaltete Menü auf dem Tisch. Die zwei Varianten (ca. € 70 und € 115) unterscheiden sich nur nach mehrmaligem Hinsehen durch einen Gang und unwesentliche Zutaten. Meine Wahl fällt in Hinblick auf ein noch bevorstehendes Abendessen auf das kleinere Menü.

Der Service beginnt etwas holprig. Wenn nach dem Platzieren am Tisch für eine gefühlte Ewigkeit noch nicht einmal ein Getränkewunsch abgefragt wurde, ist das ein wenig seltsam. Auch ein leicht bitter schmeckendes Getränk ‒ keinesfalls schlecht ‒, das man beiläufig auf dem Tisch platziert hat, wurde bisher nicht weiter kommentiert. Irgendwann geht es aber los, und ich habe wenig später einen ansprechenden weißen Burgunder (Erzeuger nicht notiert) im Glas. Geht auch schon wieder.

Der Auftakt ist stark, ästhetisch und geschmacklich. Es gibt Sashimi von mittelfettem Thunfisch mit Sojapaste, sowie Makrele mit Kimchi, beides mit unterschiedlich geschnittener Frühlingszwiebel serviert und beides von verblüffend guter Qualität. Die Fische schmecken kühl, frisch und nach Meer, sehr japanisch. Das Arrangement ist eine dieser kleinen, aber kraftvollen kulinarischen Offenbarungen, denen man nicht überall auf der Welt begegnet. (8/10)

Es folgen zwei gleichzeitig servierte Speisen. Eine ausgelöste Feige, der man ihren vollen Geschmack schon ansieht, liegt zwischen einer Nocke Kaviar und einer Portion Burrata. Das Ganze ist in einer Emulsion von Tomatenessenz und Sesamöl in einem hübschen Keramikschälchen angerichtet. Das schmeckt interessanterweise etwas kirschig und floral, ist aber auch wegen des Käses etwas massig, dennoch sehr gut (7/10). Die zweite Kreation ist ein aufgerolltes Stück gebratenen Tintenfischs, das, wie von einem japanischen Sushi-Meister, mit millimetergenauer Präzision eingeschnitten wurde. Das Röllchen befindet sich zusammen mit dünnen Pflaumenstiften und auflockernden Blattsalat-Abschnitten in einer süßlich-sauren Sauce, die geschmacklich an eine Vinaigrette erinnert. Das ist alles sehr ansprechend, leicht, würzig, belebend und elegant (8/10).

Von der handwerklichen Präzision und der kompositorischen Einfachheit der Speisen bin ich schon jetzt begeistert. Es gibt kulinarisch für mich keine reizvolleren Gerichte alle solche, deren Ästhetik sich hauptsächlich durch die schlichte Schönheit der Zutaten ergibt.

Diesem Prinzip folgend, gibt es als nächstes ein Stück Pfirsich, das in Reisessig mariniert wurde. Man könnte vermuten, dass die Kombination mit Säure für ein seltsames Geschmacksbild sorgt, doch das Gegenteil ist der Fall. Ich habe vermutlich noch nie einen aromatischeren Pfirsich gegessen, auch die Textur, geradezu al dente, ist wie aus dem Bilderbuch. Die wundersame Frucht hat man hier nun mit Komponenten aus dem Meer kontrastiert. Ein Algenpüree bleibt noch vegetarisch, deutet aber schon in Richtung Maritimes, eine weitere Sauce auf Sardellenbasis will dann fischige Aromen gar nicht mehr kaschieren. Als Brücke dahin dienen kleine, dünne Gurkenscheiben mit bekanntem Geschmack. Man kommt überhaupt nicht drumherum, diese Kombination aus Frucht und Meer zumindest unkonventionell zu finden, versteht aber schnell, dass das keine forcierte Andersartigkeit ist. Stattdessen ist es eine äußerst gute Idee, die den köstlichen Pfirsich in den Mittelpunkt stellt und aus dem Ganzen ein kurzweiliges, intelligent originelles Ensemble macht. (7,9/10)

Der folgende, ebenfalls bildhübsch angerichtete Teller besteht aus einer Morchel, die mit Hanwoo-Rind und Koreanischer Petersilie gefüllt ist, weiter aus einer Mandoo genannten Teigtasche aus Rettich mit einer Farce aus Pilzen und geräuchertem Aal, sowie einem Stück aufgerollter Abalone. Die präzise gekochte und gewissenhaft gesäuberte Morchel und die intensive, rauchige Teigtasche triggern süffigen Umami-Geschmack, und eine dazu angegossene Rinderbrühe unterstützt diese Herzhaftigkeit fast klassisch Französisch und doch andersartig. Das akkurate Handwerk lässt auch diese Kreation sehr reduziert und elegant wirken. (8/10)

Es folgt ein Stück Rotbarbe, oder zumindest ein Fisch dieser Gattung, das vor Frische und Saftigkeit schon optisch nur so strotzt. Trotz des überschaubaren Volumens des Filets wurde es mit einer Farce aus Tofu, Zucchini und Pilzen gefüllt. Den butterzarten, qualitativ herausragenden Fisch begleitet ein Stück in Sesamöl frittierte Aubergine, was am Gaumen für ansprechende Knusprigkeit sorgt. Lediglich ein etwas zu stabilisierter Saucenspiegel auf der Basis von Sojasauce raubt dem Gericht ein bisschen von seiner Natürlichkeit. Dennoch ist dieser Teller – nicht mit großem Abstand ‒ das bisherige Highlight. (8,5/10)

Vor dem Hauptgang des schon jetzt erfüllenden Mahls gibt es eine kleine Kiwi-Tarte als Erfrischung. Sie demonstriert auf zurückhaltende Art bereits das Niveau der Patisserie, dem es, wie inzwischen zu erwarten ist, nicht an Feinsinn und Können fehlt. Diese Tarte ist leicht, bietet appetitanregende Säure und nur wenig Süße. Ideal als Intermezzo. (7,9/10)

Meine Wahl beim Hauptgang fiel ‒ neben zwei Optionen mit einem Reis- bzw. einem Hummergericht ‒ auf Hanwoo-Rind (zzgl. ca. € 15), das mich hier schon die letzten Tage so begeistert hat. Hier gibt es nun zwei Stücke vom Sirloin, ganz kurz gebraten und mit einer üppigen Marmorierung, dazu Geschmortes, eine Zubereitung mit verschiedenen Pilzen und eine klassische Demi-glace wie aus dem (französischen) Lehrbuch. Sowohl die Pilze, mit ihrem leicht rauchigen Geschmack, als auch die buttrige Textur des Fleischs zeigen aber deutlich nach Fernost. Eine gekonnte Fusion zweier Welten. (8/10)

Das Dessert, dessen Beschreibung forciert klingt, aber so zusammenpasst wie ein Baba zu Rum, hört auf die abenteuerliche Kombination von Reisweineis mit Schwarzer-Knoblauch-Meringue und Frischkäsepuder. Die Kreation erinnert mich geschmacklich und von den Texturen her entfernt an ein nur aus Milch zubereitetes Dessert im französischen La Bouitte, aber diese Parallele ist nur zufälliger Natur. Doch auch hier in Korea spricht mich eine Art „milchige Leichtfüßigkeit“ mit süßlich-säuerlichen „Zwischentönen“ besonders an. (7,9/10)

Ein sehr guter Filterkaffee mit einigen exzellenten Süßigkeiten schließt das Essen gelungen ab.

Meine Reise steht erst am Anfang, aber mit dem Gaon ‒ und nun auch dem Mingles ‒ bereits hinter mir, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es noch viel besser wird. Eigentlich muss es das auch nicht. Doch in wenigen Stunden steht immerhin eine Reservierung in Seouls zweitem Drei-Sterne-Restaurant an. Ich bin gespannt. Und auch schon wieder hungrig. Vor Neugier.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Mingles (→ Website)
Chef de Cuisine: Kang Min-goo
Ort: Seoul, Südkorea
Datum dieses Besuchs: 06.10.2019
Guide Michelin (Seoul 2019): **
Meine Bewertung dieses Essens 8 (Was bedeutet das?)
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