Yu Yuan ‒ weil man es kann

Mir steckt der lange Flug nach Korea noch in den Knochen, und doch steht der ganze Tag in Seoul noch vor mir. Nach ein paar verwirrenden Stunden Schlaf im Hotelzimmer, die ich in einer Art Jetlag-Delirium verbracht habe, bekomme ich jetzt, kurz vor Mittag, auch Appetit.

Wie es der Zufall will ‒ denn das hatte ich nicht recherchiert ‒, beherbergt mein Hotel, das Four Seasons, unter anderem ein mit einem Michelin-Stern ausgezeichnetes kantonesisches Restaurant. Das ist jetzt genau das Richtige, um sich vor dem ersten Erkundungsspaziergang der Metropole ein wenig zu stärken.

Im Yu Yuan fühle ich mich unmittelbar wohl. Die großen Tische mit makellos gebügelten weißen Tischtüchern und kostbarem chinesischen Geschirr stehen in großzügigen Abständen zueinander. Hochwertige Materialien, darunter tonnenweise Marmor, große, gemütliche Sessel und Sitzecken, sowie warmes Licht vermitteln gleichermaßen Gemütlichkeit und die mondäne Eleganz einer Zeit, als man Shanghai noch das Paris des Ostens genannt hat. Der bemerkenswert freundliche Service trägt weiter dazu bei, dass man sich nach nicht einmal fünf Minuten pudelwohl und rundum versorgt fühlt.

Viel zu versorgen gibt es bei mir aber gerade nicht. Wenngleich die traditionelle Pekingente die Spezialität des Hauses ist, bin ich zunächst mit einer kleinen Auswahl Dim Sum völlig zufrieden. Darüber hinaus ist die Speisekarte, wie in chinesischen Restaurants üblich, sehr umfangreich und bietet unzählige kantonesische Gerichte und Menüs mit allen einschlägigen Zutaten, von Abalone bis Vogelnest. Man kann dabei so wenig oder so viel Geld ausgeben wie man kann und möchte.

Ein Appetizer mit einer dicken Tranche geschmorter Yamswurzel, Erdnusssauce und Pinienkernen ist schon mal ein sehr guter Auftakt. Die frische, saftige Wurzel bringt ätherische Aromen zum Vorschein, wozu die Pinienkerne gut passen, während die Erdnuss das ganze etwas „dämpft“. Sehr delikat. (7/10)

Als nächstes wird der Tisch mit dem Rest meines kurzen Mahls eingedeckt. Die heißen Dim Sum sind klassisch in Bambuskörbchen präsentiert und offenbaren akkurates Handwerk. Die qualitative Bandbreite dieser Speise ist enorm, von beschämenden Teigklumpen mit Tiefkühlgarnelen- und Billigfleisch-Füllung bei „Nachbarschafts-Chinesen“ in Deutschland, bis zu solch fesselnden Wunderwerken wie im The Eight in Macau.

Diese hier sind auf hohem Niveau. Aus Spinatteig hergestellte „Schiffchen“ mit Abalone (ca. € 19) sind etwas wackelig konstruiert, begeistern aber mit einem tiefen, süffigen Geschmack. Mit ein bisschen hausgemachter XO-Sauce lässt sich das Genussvergnügen hinsichtlich der Schärfe variieren. (7/10)

Eine Siu Mai-Teigtasche mit Schweinefleisch und Garnelen (€ 19) ‒ beides von spürbar hoher Qualität ‒ bekommt durch eine Scheibe schwarzen Trüffels einen luxuriösen Touch und ist zum Augenschließen gut. (7,5/10)

Eine weitere Steigerung sind dann noch die Xia Long Bao, gefüllt mit einem fettigen und auf bezaubernde Weise floral schmeckenden Schweinefleischsud mit Essig (€ 16). Ausgezeichnet. (8/10)

Zwei weitere Kleinigkeiten lasse ich noch das Restaurant auswählen. Ein seltsamer „Rübenkuchen“ mit getrockneten Garnelen (€ 14) ist dann nicht ganz mein Fall, weil recht grenzwertig nach Hafenbecken schmeckt ‒ gleichwohl ist das gekonnte Handwerk deutlich erkennbar (6,5/10). Heißes, knuspriges Reisgebäck (€ 14) ist aus anderen Gründen eine Herausforderung, weil die ungewöhnlichen, gebäckähnlichen Gebilde so klebrig wie Kleister sind. Schmeckt aber ganz gut. Ein Stück davon sättigt mich dann auch für den Rest des Nachmittags (6,9/10).

Der unkomplizierte Lunch hat mir Spaß bereitet. Die Hotels der Four Seasons-Gruppe glänzen auf der ganzen Welt regelmäßig mit hochwertiger Gastronomie, und das Yu Yuan ist keine Ausnahme.


Sechs Tage später, am letzten Tag meiner Reise und nur wenige Stunden nach meiner Rückkehr nach Seoul von einem Kurztrip nach Taipeh, kehre ich erneut ins Yu Yuan ein. Meine ursprünglich für heute geplante Reservierung im Zwei-Sterne-Restaurant Jungsik habe ich bereits vor zwei Tagen storniert ‒ die Strecke von meinem Hotel nach Gangnam-gu ist für den letzten Abend in Seoul schlicht zu weit.

Die Weinkarte ist etwas kompliziert, in dem Sinn, dass sie weitestgehend absurd überteuert ist. So kostet bspw. ein 2014er Cabernet Sauvignon „Fay“ von Stag’s Leap aus dem Napa Valley umgerechnet ca. € 600, fast das Sechsfache seines aktuellen Marktpreises.

Während ich noch in der Karte stöbere, wird ein kalter Appetizer serviert, diesmal ein Krustentier mit eingelegtem Rettich und einer pikanten Sojasauce mit Chiliöl. Dass es sich bei dem Tier um Kaisergranat handelt und nicht um eine banale Garnele, unterstreicht den hohen Qualitätsanspruch des Restaurants.

Mit viel Geduld finde ich schließlich auch einen Wein, einen 2014er „Art Series“ Cabernet Sauvignon von Leeuwin Estate vom Margaret River in Australien für ca. € 170 ‒ immer noch teuer, aber mit einem Faktor von ungefähr drei nicht ganz so maßlos.

Bezüglich des Essens fällt die Auswahl leichter. Die Pekingente soll es heute Abend sein. Immerhin ist es die Spezialität des Hauses, die schon im Eingangsbereich des Restaurants in Form einer morbiden Apparatur, die auch aus einem Horrorfilm stammen könnte, dennoch Appetit weckt.

Vorweg fällt meine Wahl noch auf eine Portion Barbecue „Char siu“ (€ 40), was eine traditionelle Röstung von Schweinefleisch an Haken oder Spießen über offenem Feuer bezeichnet. Das Fleisch ist mit einer würzigen Sauce mit Honig lackiert, was für einen süffigen „Süßsauer-Geschmack“ sorgt. Da es sich nicht um einen besonders fettigen Schnitt handelt, ist das Fleisch etwas kaubedürftig, aber nicht trocken. In Summe sehr schmackhaft. (7/10)

Die Pekingente wird, wie üblich, auf einem separaten Tischwagen zubereitet. Ein Koch schneidet dabei von der köstlich duftenden und sichtlich knusprigen Ente zunächst nur dünne Hautstücke ab, die charakteristisch für den ersten Gang dieses Gerichts sind.

Die knusprigen Hautstückchen rollt man dann zusammen mit Frühlingszwiebeln, Gurken und Hoisin-Sauce in hauchdünne Pfannkuchen.

Der Folgegang besteht dann aus gehackten Stückchen des restlichen Entenfleischs, die hier mit einer würzigen Sauce, frischen Kräutern und etwas Chili zu einer Farce vermengt sind. Diese rollte man, ganz traditionell, in Eisbergsalatblätter ein. Dazu bestelle ich noch eine Portion Gemüse, die hier aus sehr akkurat gegarten Austernpilzen, grünen Spargelspitzen und Karotten bestehen (7/10) ‒ alles sehr delikat.

Von den Pekingenten, die ich bisher probiert habe ‒ zuletzt eher ernüchternd im (gerade um einen Stern zurückgesetzten) Yan To Heen in Hongkong ‒, ist diese hier die bisher beste. Es ist immer interessant, die Nuancen eines traditionellen Gerichts kennen zu lernen. Eine Bewertung in der Nähe eines Michelin-Sterns erscheint mir aber für diese Speise das schlüssigste Maximum. (7/10)

Ein Dessert-Reigen mit verschiedenen Gebäck-, Eis- und Cremespezialitäten um das Thema Mango setzt noch mal einen drauf. Die wohlschmeckenden und präzise gearbeiteten Petitessen könnten genauso gut aus einer Patisserie in Frankreich kommen, eine Parallele, die überrascht. Ein hervorragender Abschluss. (7,9/10)

Die Antwort auf die Frage, warum man ausgerechnet in Korea ein kantonesisches Restaurant besuchen sollte, fällt damit leicht. Weil man es hier kann.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Yu Yuan (→ Website)
Chef de Cuisine: Koo Kwok Fai
Ort: Seoul, Südkorea
Datum dieser Besuche: 04.10.2019, 10.10.2019
Guide Michelin (Seoul 2019): *
Meine Bewertung dieser Essen 7 und 7,5 (Was bedeutet das?)
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