Eleven Madison Park ‒ Lektion 1/2020

Ich bin eigentlich kein Zu-Silvester-ins-Restaurant-Geher. Aber in Metropolen wie New York ist das viel üblicher als bei uns. Da ich zum Jahreswechsel in der Stadt bin, interessiert es mich, was ein so berühmtes und hochdekoriertes Restaurant wie das Eleven Madison Park aus einem solchen Ereignis macht.

Meine Wahl fiel auf das EMP, weil das Restaurant alle Anforderungen an einen festlichen Jahresausklang erfüllt. Die großen Räumlichkeiten bieten einen feierlichen, eleganten Rahmen, die Weinkarte ist eine der besten New Yorks, und die drei Michelin-Sterne leuchten hier immer noch.

Gleichwohl bin ich skeptisch. Zum einen habe ich in den vergangenen Jahren einen steten Leistungsabfall der Küche hier dokumentiert. Das Restaurant ist auch etwas nüchterner und berechenbarer geworden. Man hat nicht mehr das Gefühl, dass hier ein leidenschaftlicher Koch für seine Gäste tätig ist, sondern eher, dass ein großer, effizienter Personalapparat sein tägliches Programm abspult. Kein schlechtes Programm, versteht sich.

Zum anderen bin ich mehr als gespannt, ob das Silvestermenü dem Ticket-Preis von umgerechnet sagehaften € 680 pro Person ‒ ohne Getränke ‒ überhaupt gerecht werden kann. Auf meine Nachfrage per Mail, ob und wie sich das Silvestermenü vom regulären Menü unterscheidet, heißt es lediglich, es gäbe ein „neungängiges Menü mit Luxusprodukten wie Trüffel, Kaviar und Foie Gras“. Alles eigentlich auch im EMP keine Besonderheit.

Dennoch kehre ich gerne hier ein, auch heute Abend. Das Restaurant ist elegant, ohne protzig zu sein, stilvoll und gemütlich. Auf dem Tisch liegen neben dem Menü passenderweise auch noch einige dezente Silvesterutensilien.

Nach den obligatorischen Keksen mit Parmesanfüllung, Ziegenkäse und Trüffel (7/10), gibt es weitere herzhafte Snacks um den Edelpilz. Ein ausgehöhltes und mit einer Champignonfarce gefülltes Stück gedämpften Selleries ist mit kleinen Scheiben schwarzen Trüffels und wiederum Sellerie bedeckt ‒ eine Kombination, die hier in abgewandelter Form auch als Hauptgang ein Klassiker ist. Der Snack schmeckt wunderbar authentisch nach Sellerie, zu dem das intensive Aroma des Périgord-Trüffels hervorragend passt (9/10). Auch ein Teigschiffchen mit geraspeltem Trüffel und einer herzhaften Parmesancreme ist warm, salzig, süffig und angenehm luxuriös (9/10). Ironischerweise zählen die beiden Appetizer bereits als die ersten zwei (!) offiziellen Gänge, und das, obwohl sie gleichzeitig aufgetischt werden und auch einem ähnlichen Geschmacksbild folgen.

Zwei Weine sind auch schon ausgewählt. Der festliche Abend verlangt dabei den Griff in ein höheres Regal. Mit einer kleinen Vorauswahl, die ich schon vorab getroffen habe, fällt meine Entscheidung dann im kurzweiligen Gedankenaustausch mit dem freundlichen Sommelier auf einen 2013er Meursault 1er Cru „Perrières“ von der Domaine Henri Germain (€ 305) und einen 2014er Vosne-Romanée 1er Cru „Les Suchots“ von der exzellenten Domaine Sylvain Cathiard (€ 670).

Der dritte Gang ist eine kühl servierte Kreation aus recht unauffällig angerichteten Stückchen Jakobsmuscheln, eingelegtem grünen Apfel und Sellerie, was schon an sich für einen sehr stimmigen, belebenden Geschmack sorgt. Der Clou der kleinen Kreation ist allerdings Seeigel (aus Maine), der sich am Grund des Tellers befindet und das Gericht mit seiner jodigen Süße auffrischt wie eine plötzliche, unerwartete Welle. (9/10)

Bisher ist das ein starker Auftakt.

Nur der Meursault bereitet noch Probleme. Es ist eines dieser merkwürdigen Phänomene, bei denen nicht sofort klar ist, ob der Wein einfach schwächer ist als erhofft, oder ob es ein Problem mit der Flasche gibt. Aber genau für solche Situationen ist ein Sommelier da. Ich lasse ihn erneut probieren, er stimmt mir zu und löst das Problem mit einer neuen Flasche, die dann in der Tat deutlich besser ist.

Es geht weiter mit „Kaviar Benedict“, eine Art dekonstruierte Luxusversion des Frühstücksklassikers. In einer Kaviardose, einem Standardutensil jedes Menüs im EMP, findet man eine (immer etwas enttäuschend dünne) Schicht Kaviar auf einer Störmousse, darunter eine Masse aus Kürbis und Ingwer. Zusammen mit einer leichten Sauce Hollandaise, eigentlich die einzige Reminiszenz an die referenzierte Eierspeise, streicht man das Ganze auf kleine Brötchen. Das ist ein unkomplizierter Genuss, nur leider geht der Kaviar in dem recht süßen Kürbis komplett unter. Das ist weniger luxuriös als es scheint. (7,5/10)

Der offizielle fünfte Gang ist ein mit schwarzem Trüffel gefülltes Mürbeteigtörtchen mit Foie Gras. Die Kreation ist fordernd. Der intensive, regelrecht pikante Geschmack der Trüffeln mit dem opulenten Schmelz der Gänseleber balanciert grenzwertig unterhalb einer durch Würgereiz quittierten Überforderung der Geschmacksnerven. Grenzwertig, aber nicht grenzüberschreitend, mit beispielhaftem Handwerk von Törtchen und Terrine. Das Motto „mehr ist mehr“ wurde hier zwar etwas mit der Brechstange umgesetzt, aber alles in allem ist das ein festlicher Gang. Der Sommelier serviert dazu einen 1983er Château d’Yquem aus der Doppelmagnum. Es geht schlimmer. (8,5/10)

Gegen halb elf gibt es in Butter pochierten, ausgelösten Hummer (aus Maine), ein Klassiker im EMP. Dazu gibt es ‒ die „Beilage“ variiert hier regelmäßig ‒ eine Kartoffelcreme mit Spinat und weißem Alba-Trüffel, eine naturgemäß treffsichere Kombination. Der Hummer ist von einer sensationellen Qualität, perfekt gegart, mit nussiger Süße und bissfester, aber nicht zäher, Textur. Die charmant salzige, süffige Kombination à part mit grandios frischem Trüffel begeistert dazu ebenfalls. Das Gericht schmeckt verblüffend klar und „rein“. Es ist an diesem Abend der letzte herausragende Gang. (9/10)

Es folgt ein quaderförmiges Stück Steinbutt, das in einer Zwiebelbouillon angerichtet und mit Shiitake-Scheiben bedeckt ist. Der Fisch präsentiert sich mit einer zersetzten Struktur, die vermutlich einer Übergarung geschuldet ist. Die Pilze und der Sud schmecken in Kombination dazu unangenehm bitter. An diesem Gericht ist nichts allzu Erfreuliches zu finden. (6,9/10)

Weiter bergab geht es dann mit Ente, einer weiteren ikonischen Zutat in den Menüs von Daniel Humm. Ich habe diese Zutat hier bisher nur einmal in einer genießbaren Zubereitung erlebt, die anderen Male stellten handwerkliche Probleme zur Schau, die am heutigen Abend ihren Tiefpunkt erreichen. Dieses Stück Ente ist dermaßen zäh, dass ich es mit dem dazu gereichten Messer kaum schneiden kann. Am Gaumen stellt einen die gummiartige Fettschicht vor eine weitere Herausforderung. Es ist mir rätselhaft, warum es ausgerechnet diese Zubereitung zu einem Klassiker schafft, wenn das Handwerk hier regelmäßig misslingt. Auf der anderen Seite steht eine reduzierte, geschmacklich sehr ansprechende Komposition. Ein Entenjus mit leicht exotischen Aromen ist vorbildlich umgesetzt, Entenschmorfleisch mit einem Salatblatt ist saftig und geschmacklich dicht, Heidelbeergel bringt ansprechende Säure mit, und ein separat serviertes, angenehm leichtes Kartoffelespuma lässt es sogar zu, den Minimalismus nach Lust und Laune etwas aufzulockern. Ohne das beklagenswerte Handwerk der Ente wäre das ein hervorragender Teller. (6/10)

Da ich auch von diesem Gang kaum etwas esse und meine Kritik nun auch anmerke, bin ich gespannt, was die Küche um viertel vor zwölf, also kurz vor dem neuen Jahr, noch als Ersatz aus dem Ärmel schüttelt. Vermutlich ist die Küche auf Reklamationen dieser Art kaum eingestellt.

Etwas hastig zusammengestellt folgt dann keine fünf Minuten später noch ein Stück Wolfsbarsch, zu dem man einige Gemüse geworfen und einen Jus angegossen hat, aber auch dieser Gang darf den Pass eines (Drei-!)Sternerestaurants nicht verlassen. Der Fisch ist hoffnungslos übergart, trocken und spröde, eine Farce. (6/10)

Vier Minuten vor Mitternacht folgen noch ein Dessert, das auf den Namen „Milk & Honey“ hört ‒ eine äußerst kalte Angelegenheit mit Zitrus- und Joghurtgeschmack (6,9/10) ‒ und Pralinen, unter anderem mit einem Macaron, der wie Sekundenkleber zwischen den Zähnen haftet (6,9/10).

Vier …, drei …, zwei …, eins … Happy New Year!

Es wird etwas Champagner ausgeschenkt, das Personal bringt weiße Luftballons und stößt mit den Gästen an, der Auftakt zum neuen Jahr übt sich in Schlichtheit.

Wegen meiner offenkundigen Enttäuschung bezüglich einiger Gänge wird der Meursault später von der Rechnung gestrichen ‒ eine faire Geste ‒, doch es bleibt ein leicht bitterer Nachgeschmack. Natürlich beinhaltet der hohe Menüpreis die Möglichkeit, in einem der exklusivsten Restaurants New Yorks Silvester zu feiern. Dass das Eleven Madison Park jedoch kulinarisch nicht mehr daraus macht, ist eine Lektion. Immerhin die erste des neuen Jahres.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Eleven Madison Park (→ Website)
Chef de Cuisine: Daniel Humm
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 31.12.2019
Guide Michelin (New York City 2020): ***
Meine Bewertung dieses Essens 7,9 (Was bedeutet das?)
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