Michelin Deutschland 2020, Gedanken vorab

Heute Morgen flatterte die wegen der Covid-19-Epidemie bedingte Absage der Michelin-Veranstaltung in Hamburg in mein Postfach, die ich in diesem Jahr ohnehin nicht besucht hätte. Es wird also mal wieder eine ganz nüchterne Verkündung der Michelin-Sterne in Form einer Pressemappe geben. Und natürlich in altbewährter Buchform, wo Köche und Gäste die Bewertungen einfach nachschlagen können.

Ich halte mich mit Prognosen stets zurück, weil ich Spekulationen überflüssig finde. Gerade in der Öffentlichkeit kommen da schnell mehr oder weniger qualifizierte Meinungen zusammen. Auch heiße Tipps entpuppen sich oft als Luftnummer. Meine eigenen Bewertungen hier im Blog sind in gewisser Hinsicht ja schon eine Spekulation. Auch fehlt mir ein deutschlandweiter Überblick, um mich an allen möglichen Prognosen sachgemäß beteiligen zu können.

Ich möchte dennoch ein paar Namen nennen, mit dem Fokus auf die Drei-Sterne-Restaurants sowie auf meine Heimatstadt Hamburg.

Von den Drei-Sterne-Restaurants habe ich im Bewertungsjahr 2019 lediglich das Aqua und das Restaurant Überfahrt Christian Jürgens besucht. Letzterer Besuch war definitiv nicht auf Drei-Sterne-Niveau, ersterer schon deutlicher, aber auch nicht glasklar. Wenn der Michelin seine auch in Frankreich spürbare „Dynamik“ beibehält, fiele ich zumindest nicht vom Glauben ab, würde hier an den Bewertungen geschraubt. Nicht, dass ich das vermute ‒ und auch nicht, dass ich irgendjemanden seine Auszeichnungen vergönne. Es geht mir hier ausschließlich um eine Nachvollziehbarkeit aus meiner Sicht als Gast.

Die Schwarzwaldstube sollte dieses Jahr gar nicht im Michelin aufgeführt werden, da sie nach dem tragischen Brand schlicht nicht mehr existiert. Sollte das Buch zu diesem Zeitpunkt schon fertig gedruckt worden sein, erwarte ich zumindest einen Einleger, der auf diesen Umstand hinweist. Das Bareiss überzeugte mich zuletzt nicht über alle Maße, aber das ist auch schon wieder vier Jahr her. Vom Vendôme war ich ebenfalls selten überwältigt, habe aber bei beiden Genannten wenig Zweifel an einer aktuell hohen Küchenleistung. Und wenn Klaus Erfort in seinem GästeHaus, und Clemens Rambichler als würdevoller Nachfolger von Helmut Thieltges im Sonnora so weiterkochen wie bisher, wovon ich nichts Gegenteiliges gehört habe, dürfte auch hier alles beim Alten bleiben. Auch Christian Bau im Victor’s Fine Dining dürfte mit seiner aufwändigen französisch-japanischen Küche mit Spitzenprodukten mühelos die drei Macarons halten, wenngleich ich länger nicht dort gewesen bin. Ich wäre derzeit von den extrem vielen Komponenten der Gerichte und dem dort immer zu erwartenden stundenlangen Essen etwas überfordert. Im Atelier in München war ich ebenfalls nicht seit der Auszeichnung mit drei Sternen, wobei mir damit einfällt, dass ich das dringend nachholen muss.

Für einen neuen Kandidaten in dieser Liga fehlt mir ein aktueller Überblick. Von meinem Verständnis, was eine Drei-Sterne-Küche von einer Zwei-Sterne-Küche unterscheidet, glaube ich, dass beispielsweise das Duo King/Berner im Söl’ring Hof das Zeug dazu hätten. Mir fehlt zwar ein aktueller Einblick, doch zumindest bieten das Habitat der Insel Sylt und die Leistung der Küche genug Potenzial für eine sehr individuelle, hochwertige Küche mit eigener Handschrift. Mein letzter Besuch liegt aber auch schon fast fünf Jahre zurück. Wenn man sich in der Zwischenzeit hier weiter angestrengt hat, würde sich das für mich schlüssig anhören.

Von Sylt nach Hamburg ist es nicht weit. In der Hansestadt halte ich das Haerlin für das beste Restaurant. Dennoch sehe ich hier keinen Aufwertungsbedarf. Ich bin Stammgast in dem Haus, habe hier aber noch nie auf einem konstanten Drei-Sterne-Niveau gegessen. Das liegt einfach daran, dass mir sehr viele Vergleiche zu internationalen Drei-Sterne-Restaurants vorliegen, denen oftmals noch viel bessere Produkte zur Verfügung stehen ‒ und weil Christoph Rüffers Küche zwar immer hervorragend schmeckt, oft sogar noch mehr als das, aber weil für drei Sterne entweder eine Einzigartig da sein muss oder eine dauerhafte Perfektion, die ich hier schlicht nicht sehe.

The Table Kevin Fehling ist ein bewundernswertes Kuriosum am deutschen Drei-Sterne-Himmel, weil Fehling es geschafft hat, sein Restaurant für eine bestimmte Zielgruppe so attraktiv zu machen, dass es für ein ganzes Jahr im Voraus ausgebucht ist und vermutlich sogar schwarze Zahlen schreibt, ein gastronomisch schöner Erfolg. Gleichwohl spricht mich die Küche dort nicht besonders an. Sie steht für mich für nichts, geschweige denn für etwas Authentisches. Sie ist hochtechnisiert, mit möglichst wenig Veränderung auf das Bewahren der drei Sterne optimiert und bietet keine Produkthighlights, die einem internationalen Vergleich auf dem Niveau standhielten. Besser als bei Rüffer ist das nicht.

Das Jacobs Restaurant, der weitere Fixstern in Hamburgs Gastronomie ‒ und bekanntlich auch das Restaurant, das viele Grundsteine für meine kulinarische Begeisterung gelegt hat ‒, bewegt sich regelmäßig auf einem Niveau zwischen sehr gut und hervorragend. Hervorragend ist es immer dann, wenn man Thomas Martins frankophile Passion auf den Tellern erleben kann. Immerhin gibt es hier mit der Fischsuppe nach wie vor das mit Abstand beste Gericht der Stadt. Die etwas moderneren Teller stammen oft aus dem Fahrwasser einer jüngeren Generation von Köchen und sind zwar vom Meister abgenickt, erreichen aber nicht immer das souveräne Niveau von dessen Handschrift. Hier muss man hoffen, dass die Tester das Richtige bestellt haben.

Bei den weiteren Sterne-Restaurants in Hamburg sehe ich wenig Bedarf an Ab- oder Aufwertungen, wenngleich ich nicht im Blick habe, was auf dem Süllberg im Seven Seas gerade passiert. Ich bin an dem sehr gediegenen Konzept des Restaurants derzeit wenig interessiert. Beim verwirrend ähnlich benannten Seven Oceans in der unattraktiven Europa-Passage hat es viele Wechsel gegeben, hier fehlen mir ebenfalls ein aktueller Einblick und das Interesse, mir einen solchen zu verschaffen.

Im 100/200 bleibt es kurzweilig und fast immer auf nachvollziehbarem Sterneniveau, obwohl ich den etwas kühneren Thomas Imbusch aus dem damaligen Off Club manchmal vermisse. Ich war dort oft mehrmals pro Woche, einen solchen Bedarf löst das aktuelle Restaurant nicht bei mir aus, obwohl ich bisher jedes Menü hier probiert habe und das auch weiterhin vorhabe.

Im Piment kocht mit „Bocuse d’Or“-Preisträger Wahabi Nouri ein unbestrittenes Talent. Dessen französisch-orientalische Küche ist per se sehr spannend, leider kann man sie in einem etwas sterilen und stillen Ambiente nicht wirklich genießen. Auch die Gegend in Hamburg-Eppendorf ist zwar für Gäste mit Geld, nicht aber für Gäste mit gutem Geschmack bekannt und dürfte ein schwieriges Umfeld sein. Nouris Küche bräuchte einen anderen Rahmen. Der Stern sollte aber weiterhin leuchten.

Einige Rufe nach einer Aufwertung des Bianc auf zwei Sterne kann ich zumindest auf Grundlage meiner Besuche nicht nachvollziehen. Das geben allein die Produkte nicht her. Dennoch kocht man hier oft spannender als in den weiteren Ein-Sternern TrüffelSchwein, Landhaus Scherrer und Petit Amour. Eine Differenzierung wäre dann allenfalls durch eine Abwertung anderer Häuser zu treffen.

Eine spannende Frage wird sein, ob das hæbel vom charmanten Fabio Haebel bald das erste Sternerestaurant auf dem Kiez sein wird, was ich sehr begrüßen würde. Auch der fehlende Stern bei Cornelia Poletto ist nicht immer nachvollziehbar; ihre Schüler in der Küche geben am Molteni-Herd teilweise ordentlich Gas. Im Nikkei Nine fände ich den Stern ebenfalls nachvollziehbar, wenngleich die große Vielfalt der Gerichte das Niveau nicht durchgehend wiedergibt. Mit etwas besseren Beilagen, Saucen und Vorspeisen hätte auch das THEO’S Potenzial zum ersten besternten Steakhaus der Stadt, was dem angegrauten Hotel Grand Elysee ganz guttun würde. So gut wie beim Vorbild Peter Luger in New York isst man hier auf jeden Fall.

Wir werden es sehen, am Dienstag, ganz klassisch über die Pressemappe.

(Teaserfoto: Michelin Deutschland)