Masseria ‒ Si, D.C.!

Hat man in einer amerikanischen Großstadt auch ein kulinarisches Programm, sollte das immer auch einen Besuch in einem italienischen Restaurant beinhalten. Das empfehle ich immer wieder. Die Chance ist groß, dass das Erlebnis eines wird, das man nicht so schnell vergisst.

Sei es der schäbige Hinterhof von Roberta’s in Brooklyn, unvergesslich gute Orecchiette in der Osteria Mozza in Los Angeles, noch unvergesslichere Orecchiette im Cafe Juanita bei Seattle, oder sei es der Gurkensalat im Ask for Luigi in Vancouver. An all diesen Orten gibt es teilweise phänomenale italienische Küche, gepaart mit ‒ und das ist der alles entscheidende Unterschied zu Bella Italia ‒ moderner, lässiger Gastronomie. Touché, Vancouver ist zwar in Kanada, aber was soll’s? Hauptsache, Italien!

Für meinen ersten Abend in der US-amerikanischen Hauptstadt habe ich im Masseria reserviert. Das Restaurant ist im Guide Michelin mit einem Stern ausgezeichnet und hat eine sehr ansprechende Speisekarte, was mir beides ausreichte, um die Reservierung hier zu machen.

Als mich das Uber absetzt, stehe ich vor einer Baustelle, die bedenklich danach aussieht als dürfe man sie nicht betreten. Ein einladendes Windlicht vor einem Plastikzelt und die Leuchtschrift mit dem Restaurantnamen entdecke ich erst nach einigen verdutzten Sekunden.

Hinter dem Eingang vollzieht sich ein drastischer Szenenwechsel in drei Akten. Ein mit Gaslampen beheizter Vorraum mit Sofas lädt zum Verweilen ein ‒ vermutlich eher in wärmeren Jahreszeiten ‒, dahinter folgt ein weiterer Restaurantbereich, der schließlich fließend in den Hauptraum übergeht.

Eine spannende Kombination aus Industrieschick, offener Küche und ‒ typisch amerikanisch ‒ viel freigelegtem Mauerwerk lässt meinen Jetlag zunächst vergessen. Ich gebe offen zu, dass mir allein das Ambiente mit all seinen Details ‒ vom legeren Publikum, dem lächelndem Personal bis zum atmosphärischen, rot leuchtenden „EXIT“-Zeichen ‒ bereits die zehnstündige Reise wert ist.

Whose isn’t?“ (Wessen ist es nicht?) erwidert die Sommelière als ich ihr meine favorisierte Weinregion Burgund offenbare. Bevor ich ihr antworten will, dass ich gerade aus einem Land eingeflogen bin, in dem die wenigsten Restaurantgäste wissen, was einen Burgunder von einem Grauburgunder unterscheidet, fällt meine Entscheidung auf einen 2010er Échezeaux von der Domaine Louis Jadot ($ 407, ca. € 380).

Ich bin kaum fünf Minuten hier, und es ist schon so vieles so richtig.

Die Speisekarte bietet zwei tasting menus sowie eine (attraktivere) A-la-carte-Auswahl, bei der man flexibel vier, fünf oder sechs Gerichte wählen kann (€ 92‒134).

Zum Échezeaux kommen Amuse-bouches an den Tisch. Lactofermentierte Gemüse, u. a. Enoki-Pilze und verschiedene Rüben ‒ sind knackig, säuerlich und charmant pikant (7/10); verschiedene hausgemachte Brotsorten, u. a. fluffige Focaccia, mit einem konzentrierten, aber nicht süßen, Tomatendip, sowie eine kross frittierte Süßkartoffel mit Dill-Dip bereiten einfache, große Essfreude (7/10). Solche Dinge bereits so gut hinzubekommen ‒ und so unprätentiös aufzutischen ‒ ist wunderbar.

Mein erstes Gericht ist ein in Heu geräuchertes, knusprig und golden gebratenes Stück Kalbsbries. Es kommt auf buttrigem, glattem Kartoffelpüree und mit einem herzhaften Bratenjus, dem etwas Honig und Fenchel beigemengt wurde. Dieser Süße Akzent passt exzellent zum cremigen Bries. Blutorange und schwarze Oliven sorgen mit etwas Bitterkeit für italienisches Flair. (7/10)

Kleine Calamari sind für das nächste Gericht mit Frühlingszwiebeln, Bärlauchblüten, einer Sauce aus Tintenfischtinte und weißem Miso, Crackern aus schwarzem Sesam und etwas Senf recht wild auf dem Teller angerichtet. Man bastelt sich so seine Gabeln zusammen, die alle zweifellos gut schmecken, doch ein leicht „sandiger“ Eindruck, der offenbar vom Miso stammt, und eine zu geringe Temperatur des Gerichts sind kleine handwerkliche Kritikpunkte. (6,9/10)

Die folgende Kreation ist handwerklich ungewöhnlich: zu einem knusprigen Gebäck in Röhrenform gibt es eine Creme aus Grieß und portweinwürziger Foie Gras, dazu frische Pistazien und zwei Scheiben sehr guten schwarzen Trüffels. Ein süßlich-herzhaftes, unbeschwertes Vergnügen. (7,5/10)

Der nächste Gang ist in der Karte mit Linguine, hausgemachter XO-Sauce, Aglio, Olio, Peperoncino und Brotkrumen ausgewiesen und war schon wegen dieser süffig-pikanten Beschreibung für mich ein Muss. Der Clou ist, dass sich hier zu jedem Gericht eine Portion Seeigel aus Maine hinzubestellen lässt (zzgl. günstige € 14). (Man stelle sich diese Option mal bei einem Italiener in Deutschland vor ‒ die Reaktionen der Gäste würde ich gerne mal filmen.)

Schon die bissfesten Linguine mit der betörend pikanten und intensiven, nach Tausenden Krustentieren schmeckenden XO-Sauce, sind grandios; die Seeigel, die mit etwas Schnittlauch „aufgefrischt“ sind, machen das Gericht aber dann zu einem unvergesslichen Genuss. Geschmacklich, handwerklich, qualitativ und „emotional“ auf höchstmöglichem Niveau. (10/10)

Vom Lamm aus dem Shenandoahtal (im benachbarten Bundesstaat Virginia) kommt ein Bauchstück, rosa gebraten, schön marmoriert, dazu gibt es einen Bratenjus ‒ süffig, salzig, leicht säuerlich ‒ sowie Blätter und Knollen einer Zichorienart. Die leichte Bitterkeit ‒ abgefedert von einem milden Bohnenprüee ‒, kombiniert mit dem appetitlich säuerlichen Bratenjus ist auch hier der „Wink“, der das Gericht nicht in französische, sondern italienische Richtung lenkt. Vorzüglich! (7,5/10)

Als Pré-Dessert gibt es Zitrusfrüchte in unterschiedlichen Zubereitungen (Eis, Gel, kandiert) mit weißer Schokolade und einem „Knisterpulver“, das am Gaumen unter Geräuschen aufschäumt wie dieses Knisterkaugummi aus Kindheitstagen. Witzig, aber etwas zu klebrig, etwas zu süß und zu wenig Frucht. (6,9/10)

Ich probiere auch noch einen Käseteller mit Epoisses, Mimolette und einem weiteren, italienischen Hartkäse. Dazu gibt es karamellisierte Walnüsse und ein Zwiebelkompott ‒ einwandfrei.

Um 23 Uhr holt mich der Jetlag endgültig ein. Dass ich mein Portemonnaie im Hotel vergessen habe und man hier nicht kontaktlos per Handy zahlen kann, ist kein Problem ‒ es werden kurzerhand meine Daten aus dem Tock-Reservierungssystem zur Zahlung verwendet. Das Uber ist auch schon auf dem Weg. Läuft hier alles.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Masseria (→ Website)
Chef de Cuisine: Nicholas Stefanelli
Ort: Washington, D.C., USA
Datum dieses Besuchs: 05.03.2020
Guide Michelin (Washington D.C. 2020): *
Meine Bewertung dieses Essens 7,5 (Was bedeutet das?)
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