Gedanken zu Corona II ‒ was bleibt?

Laut einem Bericht der New York Times könnten es in den von der Corona-Pandemie besonders hart betroffenen USA bis zu 75 Prozent der inhabergeführten Restaurants nicht durch die Krise schaffen. Eine erschreckende Zahl.

Derartige Einschätzungen habe ich für Deutschland noch nicht gefunden, aber auch hier ist klar, dass nicht jede Gastronomie diese Krise überleben wird. Damit meine ich nicht nur, dass Restaurants nach den aktuellen behördlichen Schließungen irgendwann wieder öffnen, sondern vielmehr, dass das Geschäft danach wieder (oder überhaupt erst?) profitabel wird.

Es ist kein Geheimnis, dass das Betreiben eines Restaurants allzu oft auf Messers Schneide geschieht. Um sich eine eventuell mehrere Monate lang andauernde Schließung und ein nur sehr behutsames Wiederhochfahren des Restaurantbetriebs leisten zu können, muss in der Vergangenheit sehr profitabel gewirtschaftet worden sein. Oder man kann auf einen finanzstarken und geduldigen Investor vertrauen. Aber auch dessen Felldicke lässt sich messen.

Die meisten Gastronomen, mit denen ich bisher gesprochen habe, sind nach wie vor optimistisch. Und natürlich hofft man für jeden Betrieb das Beste. Doch unabhängig von diesen Wünschen, wird es auch in Deutschland zu einer Ausdünnung des gastronomischen Angebots kommen.

Kreativität und Agilität werden entscheidende Faktoren sein, um auf der Gewinnerseite dieser Krise zu stehen. Es gibt Restaurants, auf deren Website noch immer keine Information zur aktuellen Lage zu finden ist, stattdessen nur die üblichen Öffnungszeiten und ein Link zur Speisekarte. Ich als Gast sehe in solchen Details schon Anzeichen für eine Resignation. Gastronomen müssen sich im Klaren darüber sein, dass jedes Handeln und Nicht-Handeln derzeit Auswirkungen auf das Vertrauen der zukünftigen Gäste hat. Ich habe schon in meinem Text über Hygiene geschrieben, dass ein konsolidiertes Vertrauensverhältnis zu den künftigen Kunden ein weiterer entscheidender Faktor sein wird, um auch nach der Krise erfolgreich sein zu können.

In den USA ist die Privatwirtschaft diesbezüglich mal wieder schneller. Websites wurden in der Regel zügig mit Hinweisen auf die Corona-Krise angepasst, Newsletter verschickt, Reservierungssysteme wie Tock u. a. auf Liefermöglichkeiten umgestellt. Wer hierzulande schon ein solches System nutzt, ist zumindest einen kleinen Schritt weiter. Restaurants, die, wie derzeit sehr viele weltweit, auf „Essenskisten“ für Zuhause umgesattelt haben, können mit solchen Systemen sofort auf ein professionelles Bestell- und Abrechnungssystem zurückgreifen.

Doch dafür muss man auch erst einmal in der Lage sein, Essen für Zuhause herzustellen, das die Kunden einem abnehmen (im doppelten Sinn des Worts). Wer lange darauf gesetzt hat, Gäste durch scheinbare Tellerkunstwerke mit Pünktchen und Klecksen zu beeindrucken, wird jetzt große Mühe haben, ein schlüssiges Narrativ für ein Lieferkonzept zu entwickeln. Am Ende muss der Kunde Zutaten in der Kiste finden, die er mit diesem Restaurant assoziiert und die er in der heimischen Küche leicht „zusammenbasteln“ kann. Nur hartgesottene Fans dürften sich ein Dutzend Quetschflaschen, mikrogezupfte Kräuter und fertige Sous-vide-Tüten in einer Kiste wünschen. Wenn das bisher die Essenz einer Küche war, sieht manch ein Koch vielleicht erst jetzt ‒ zu spät ‒, dass das allein keine Basis für ein tragfähiges kulinarisches Konzept ist. Selbst eine Pizzeria hat da derzeit mehr zu bieten. Muss das kulinarische Konzept eines Restaurants also in eine Kiste passen? Da ist sicherlich etwas dran.

Daraus ergibt sich möglicherweise durch die Krise auch ein Umdenken. Ich selbst beobachte beispielsweise, dass ich gerade genau diejenigen Restaurants vermisse, deren Küche für authentische, frische Produkte steht, wie z. B. die französische Mittelmeerküche. Gedanken an die grandiosen Gemüsegerichte auf der schattigen Terrasse von Alain Ducasse’ Le Louis XV, umweht von warmer, mediterraner Mittagsluft, wecken Sehnsüchte. Gastronomisch betrachtet fehlen mir am allerwenigsten steifer Service mit neutralen Gesichtern sowie Mittelmaß jeglicher Art. Ich vermisse ungezwungene Restaurants mit guten Speisen (wie eigentlich schon immer) und, auf der anderen Seite, opulentes Fine Dining à la Paris, New York oder Kalifornien, nach dem Motto: wenn schon, denn schon.

Die Restaurants, die aus dieser Krise als Gewinner hervorgehen, werden den Gast wieder mehr in den Mittelpunkt rücken. Man wird ihm in einer angenehmen Umgebung gute Dinge zu Essen reichen, eine schöne Zeit bereiten und ihn glücklich stimmen. So sollte Essen schon immer sein. Und so wird es in Zukunft vielleicht noch mehr.