Roadtrip, Stopp 4: GästeHaus Klaus Erfort, Saarbrücken

Genau, hier bei der Aral-Tankstelle war es. Ich erinnere mich noch daran als sei es gestern gewesen. Der Kontrast, den die in markantem Markenblau leuchtende Tankstelle zur noblen Stadtvilla bildet, in der einer von Deutschlands besten Köchen kocht, ist markant.

Es ist kurz nach zwei Uhr am Nachmittag. Meine zweistündige Fahrt vom Kaiserstuhl nach Saarbrücken führt mich schon jetzt hierher, obwohl meine Reservierung erst am Abend ist. Doch vorher habe ich noch eine kostbare Fracht abzuladen. Dass ich den signifikanten Rest eines 1983er Château Haut-Brion aus dem Schwarzen Adler von gestern Abend mit ins GästeHaus bringe, hatte ich vorher kurz per Mail geklärt. Natürlich ist das kein Problem in einem solchen Haus.

Als ich am Abend zurückkehre, wird mir auch mein zweiter Wunsch erfüllt, ein luftiger Tisch am geöffneten Fenster.

Das wohnliche Ambiente habe ich auch noch gut in Erinnerung. Vor sechs Jahren kam es mir eine Spur förmlicher vor, aber viel hat sich eigentlich nicht geändert. Vom Essen wünsche ich mir für heute Abend auch lieber Konstanz auf hohem Niveau als Veränderungen mit Fragezeichen.

Dem Vorschlag, mich bezüglich der Speisen überraschen zu lassen (€ 225), stimme ich gerne zu. Alternativ bietet die reguläre Speisekarte ein Menü zwischen vier (€ 147) und sieben (€ 205) Gängen an.

Zum offenen Champagner von Bérèche & Fils (Glas € 18) gibt es die ersten Kleinigkeiten, die schon auf den ersten Blick fein gearbeitet sind. Ein zwischen Filoteig eingebetteter Würfel aus Gänseleber, der mit fruchtigem Kirschgel akzentuiert ist, bestätigt diese Einschätzung und begeistert mit makellosem Handwerk von Teig und Terrine sowie einem perfekt gelungenen Zusammenspiel von Schmelz, Frucht, Kühle und Knusprigkeit (9/10). Nicht ganz auf dem Niveau ist ein „Kräutermacaron“ mit Lachs, der zwar „gut schmeckt“, aber weder ein allzu bemerkenswertes Produkt noch eine entsprechende Idee bereithält (7/10).

Flammkuchen mit Blutwurst und schwarzem Trüffel erfüllt den Tisch mit dem Duft des Edelpilzes und kommt am Gaumen deutlich filigraner und komplexer daher als die namensgebende Vorlage (7,9/10). Ein Gurkensalat in Form einer Gurkensphäre, dazu etwas Dill, ist hervorragend, weil das bekannte Geschmacksbild in dieser Zubereitungsform besonders intensiv (und perfekt abgeschmeckt) zur Geltung kommt (8/10).

Ein weiteres Amuse-Bouche ist eine ausgelöste Auster von ausgezeichneter Qualität, die mit Sojasauce und Sesamöl einen asiatischen Touch erhält. Ein Apfel-Espuma liefert dazu säuerliche Frische. Der aufgesprühte Schaum und das Öl sind hinsichtlich ihrer Texturen etwas fordernd, aber die Kreation bleibt geschmacklich und qualitativ hervorragend. (8/10)

Es geht weiter mit Taschenkrebs mit Avocado, Mais-Espuma, Mais-Chip und einem Zitronengel. Die Küche schafft es auch hier mühelos, mit erkennbar makellosen Zutaten ein stimmiges Geschmacksbild zu liefern. Spätestens jetzt gibt es aber meinerseits die Hoffnung, dass mit den schon fast gestrigen Espumas bald Schluss ist. (8/10)

Für den nächsten Gang gibt es eine ansprechendend dunkel gebackene Teigtasche, die mit einer Kalbskopf-Farce gefüllt ist und herzhaft duftet. Am Gaumen spielen knusprige und (im positivsten Sinn) „klebrige“ Texturen mit viel Umami. Eine darauf platzierte Sphäre gibt beim Anschneiden eine Vinaigrette frei, die mit ihrer appetitanregenden Säure für viel „Süffigkeit“ sorgt. Frivol lenkt eine Schnittlauchmayonnaise das Geschmacksbild in Richtung Hotdog oder Cheeseburger. Das ist unverblümt wohlschmeckend. Für mein Empfinden dürfte die Speise noch souveräner angerichtet sein, ohne Tupfen- und Kräuterstraße, wenngleich auch diese Komponenten kulinarisch stimmig sind. (8,5/10)

Weiter geht’s mit einem Mille-feuille aus Sellerie, Gänseleber, Avocado und roh mariniertem Kaisergranat. Dass diese Idee Potenzial hat, haben Yannick Alléno und Pascal Barbot aus Paris schon vor Jahren mit ähnlichen Kreationen demonstriert. In diesem gleichwohl eigenständigen Gericht geht es am Gaumen zunächst viel um ein Texturerlebnis. Von der weichen, optimal gereiften, Avocado über den Schmelz der Gänseleber, das „mürbe“ Krustentier und den knackigeren Sellerie erlebt man am Gaumen einen kurzweiligen Textur-Vierklang. Geschmacklich stehen eine leichte Bitterkeit und etwas Süße im Vordergrund, ein Eindruck, der mit einem Koriander-Rote-Bete-Sud und Algenmarmelade unterstrichen wird. Ein nicht genau zu verortendes Kokosaroma liegt auch über dem Gericht. Etwas ermüdend ist lediglich die repetitive Dekoration mit Blutampfer. (8/10)

Mit der Präsentation einer auf Salz gebackenen Rotbarbe mit kräftigen Aromaten wie Ingwer, Knoblauch und Thymian wird das Essen puristischer ‒ und noch besser. Die von Klaus Erfort vor allem durch seinen auf diese Weise zubereiteten Kaisergranat bekannte Garmethode funktioniert auch mit dem edlen Speisefisch. Die finale Kreation auf dem Teller präsentiert den Fisch lediglich mit kleinen, mit Sardellen gespickten Datteltomaten, einer kross frittierten, federleichten Zucchiniblüte sowie einer erwärmten Vinaigrette mit gehackten Oliven. Gerade diese ist mit ihrem Süße-Säure-Spiel umwerfend zu dem zarten und saftigen Fisch. Das mediterrane Gericht ist großartig in seiner ganzen Schlichtheit und Qualität. (9/10)

Steinbutt folgt in Form eines goldbraun gebratenen Stück Filets, das man am Tisch mit einer großzügigen Portion Beurre Blanc mit Kaviar übergießt. Etwas Piment d’Espelette akzentuiert die Frische des Fischs, während die luxuriöse Sauce ‒ eine der besten Beurre Blancs, die ich seit langem probiert habe ‒ für buttrigen Schmelz, Säure, Salz und Jod sorgt. Ein daneben platziertes, mit Spitzkohl und Pfifferlingen gefülltes Röllchen wirkt wegen einer säurebetonten, naturgemäß „wässerigen“ Umhüllung aus eingelegtem Rettich allerdings etwas zusammenhanglos. Dem klassischen Genuss des Fischs tut das aber keinen Abbruch. Ich leere das Kännchen mit der Sauce bis auf die letzte Kaviarperle. (8,9/10)

Fabelhaft ist dann schon die reine Auflistung der Zutaten des nächsten Gangs. Es gibt über Holzkohle gegrillten bretonischen Hummer, dazu Erbsen, grünen Spargel, Steinpilze und einen aufgeschäumten Steinpilzsud. Bereits die Anrichtweise auf dem Teller spricht Bände. Die Naturbelassenheit der Zutaten rückt hier so in den Mittelpunkt wie ich es zu Beginn des Menüs etwas vermisst habe. Jedes Produkt ist hier in grandioser Güte auf dem Teller. Knackig frische, süße Erbsen, intensiv aromatischer Spargel, goldbraun gebratene Steinpilze und der auf den Punkt gegarte Hummer von Referenzqualität ergeben schon von sich aus einen Spitzenteller. Die präzisen Garungen und der fein säuerliche Pilzsud heben das eindrucksvolle Gericht auf höchstes Niveau. (9/10)

Das Thema Steinpilz wird auch beim folgenden Gang aufgegriffen. Eine Steinpilztarte präsentiert sich als ein flacher Zylinder mit Blätterteigboden, darauf eine Auberginencreme, eine ebenso hohe Schicht kleingehackter Steinpilze sowie eine abschließende Schicht mit millimeterdicken Tranchen australischen Wintertrüffels. Frische Salatkräuter, roher Steinpilz und knusprige Hühnerhaut krönen das herzhafte Törtchen, das zudem noch in einem intensiven Trüffeljus angerichtet ist. Intensität steht hier ohnehin im Mittelpunkt und ist drei Merkmalen zuzuschreiben: einem hohen Salzgehalt, dem intensiven, ätherischen Trüffelgeschmack und einer üppigen Portionierung, die sich fast schon als alleiniges Hauptgericht eignen würde. Diese Merkmale wiegen für sich betrachtet zunächst nicht negativ, sorgen aber in ihrer Gesamtheit dazu, dass man sich etwas „durchkämpft“. Das Niveau darf man dabei aber nicht vergessen, wir sprechen auch bei diesem Teller von fabelhaften Zutaten, einer meisterhaften Sauce und nach wie vor exzellenten und authentisch präsentierten Zutaten. (8,5/10)

Herzhaft und klassisch geht es weiter mit geröstetem Kalbsbries. Das zarte und knusprig panierte Stück thront auf einer Selleriecreme, dazu passen kleine Pfifferlinge. Der Clou an dem Gericht ist ein Zusammenspiel von gleich zwei überragenden Saucen, eine Nage von Gänseleber mit Cognac, kombiniert mit klassischem Kalbsjus. Die präsente Hitze des Gerichts komplettiert einen klassischen Hochgenuss. (9/10)

Nach dem französischen Fokus der letzten Gerichte überrascht der eigentliche Hauptgang mit einem Schulterblick in Richtung Asien. Mit verschiedenen Stücken Wagyu-Rind ‒ einmal kurzgebraten, einmal roh wie bei einem Shabu shabu ‒, sowie Soba-Nudeln, Buchweizenpilzen und einer Kartoffelcreme mit schwarzem Trüffel präsentiert die Küche eine sehr individuelle Interpretation eines Ramen. Anstelle einer Brühe, in dem alle Zutaten schwimmen und garziehen, gibt es hier auf dem Grund des Tellers eine grandiose Paarung von klassisch französischem Kalbsjus mit fernöstlichen Aromaten wie Zitronengras, Miso und Chili. Das luxuriöse Fleisch ist etwas abseits davon platziert, was für einen konstanten Gargrad sorgt. Der würzig-scharfe Sud bietet sich dazu an, die Soba-Nudeln darin aufzuwickeln und möglichst viel von der Sauce aufzunehmen. Leider erlauben es weder mein weißes Hemd noch der „gute Ton“, sich der ganzen Angelegenheit schlürfend zu widmen. Das rohe Stück Wagyu mit Schnittlauch und einer säurebetonten Creme, die ich nicht genau identifizieren kann, sticht sensorisch und geschmacklich besonders hervor. Mit aufgeheiztem Gesicht, ähnlich wie nach dem Konsum eines Ramens, hebe ich irgendwann wieder meinen Kopf und kann nur noch einen leeren Teller beklagen.  — 9/10

Das erste Dessert ist nichts anderes als ein karibischer Traum. Ein Crême-brûlée-Schnittchen mit Passionsfrucht, knusprig abgeflämmt, ist gleichzeitig die Bühne für ein Sorbet mit Kokos und Minze. Ein hauchdünnes Teigröllchen dazu ist mit einem „Espuma-Eis“ mit Bacardi und Limette gefüllt. Die Kombination dieser Aromen ist so klassisch wie unverbesserlich ‒ eine der besten, die ich zu diesem Thema je genossen habe ‒ und beglückender als jedes noch so avantgardistische Dessert. Diese Kreation ist handwerklich makellos und begeistert durch einen Geschmack nach kühlen Drinks, schwülen Nächten, lauten Zikaden und achtundzwanzig Grad warmem Meer. Einzig das Fernweh schmerzt. (10/10)

Eine weitere Süßspeise folgt dem ebenfalls bewährten Thema Schokolade und Kirsche. In einer hauchdünnen Zuckerkugel, in die ein warmer Sauerkirschsud angegossen wird, findet man ein erfrischendes Holunder-Espuma und kühlendes Sauerkirschsorbet. Es gibt Ausführungen vergleichbarer Desserts, bei denen man sich vor lauter Schaum in der Kugel kaum retten kann. Hier ist alles ausgewogen portioniert und auch geschmacklich sehr gelungen, mit einer eher zurückhaltenden Süße und ansprechender Fruchtsäure. Eine der besten Ausführungen dieses Themas, die ich kenne. (9/10)

Es gibt noch diverse Pralinen ‒ von Kalamansi über Mango-Vanille, Himbeer-Joghurt zu Quetsche-Zimt ‒ , verschiedene Macarons, Schaumküsse, eine Mohnschnecke, Canelés und einen Himbeer-Financier. Das sieht alles aus wie im Schlaraffenland, schmeckt auch überwiegend so, lediglich die Verwendung vieler einschlägiger Zitrusfrucht-Zubereitungen für die Patisserie werden hier etwas ausgereizt. (8,5/10)

Die Stärke von Erforts Küche bleibt ein produktbetonter, französisch fundierter Purismus. Zu Beginn des Menüs versteckte sich dieser noch etwas, kam dann aber wenig später voll zur Geltung. Wenn die Gänge so klar und schlicht sind wie bei Rotbarbe, Steinbutt und Hummer, glänzt die Küche hier am meisten.

Opulent gesättigt, aber schon jetzt mit großem Appetit auf das Sonnora in zwanzig Stunden, verlasse ich die Villa hinaus in die Nacht.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: GästeHaus Klaus Erfort (→ Website)
Chef de Cuisine: Klaus Erfort
Ort: Saabrücken, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 15.07.2020
Guide Michelin (D 2020): ***
Meine Bewertung dieses Essens 8,5 (Was bedeutet das?)
Diskussion bei Facebook: hier klicken