Roadtrip, Stopp 6: Intense at Dr. Bürklin-Wolf, Wachenheim an der Weinstraße

Ein Klick hier, ein Post dort … Rein zufällig werde ich während der Planung meines Sommer-Roadtrips auf das Popup des Restaurants Intense aufmerksam. Das eigentlich in Kallstadt beheimatete Restaurant mit Michelin-Stern hat über den Sommer seinen Betrieb in ein altes Gewächshaus des Weinguts Dr. Bürklin-Wolf verlagert. Das Vorhaben sieht schon im Internet so vielversprechend aus ‒ von der Location bis zur spannend klingenden Küche ‒, dass ich meine Reiseplanung um einen weiteren Tag ausdehne.

Vom Waldhotel Sonnora, wo ich gestern eine kulinarische Sternestunde der Superlative erlebte, sind es knapp zwei Stunden Fahrt an die Weinstraße in der Pfalz. Dass ich die Region rund um Deidesheim so ins Herz schließen werde, dass ich nur wenige Wochen später noch mal zurückkehre, ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Ich bin schon mittags beim Weingut, um die Lage auszukundschaften. Mit einem Gläschen in der Hand sitzt es sich auf einem der Liegestühle im Garten schon mal hervorragend. Im Gewächshaus ist es noch still, doch wer genau hinsieht, entdeckt bereits Details, die auf das kulinarische Geschehen am Abend hinweisen.

Zu späterer Stunde ist es noch schöner. Wenn die Schatten länger werden und das Licht stimmungsvoller, könnte man sich glatt in Kalifornien wähnen.

Im Gewächshaus sitzt es sich naturgemäß zwar nicht besonders luftig, aber die Tischabstände sind äußerst großzügig, und es sind diverse Fenster geöffnet. Zu einem Glas Rosé-Champagner „Shaman 16“ aus dem Haus Marguet (€ 18) stellt sich Entspannung ein ‒ und Vorfreude auf das Omakase-Menü (€ 120). Nach den klassischen Gourmet-Bastionen der letzten Tage tut es gut, in unkonventioneller Atmosphäre einem jungen Küchenteam bei der Arbeit zuzusehen.

Als ersten Snack gelangt eine sehr freie Interpretation von Pellkartoffeln mit Quark an den Tisch. Es gibt soufflierte und mit Paprika gewürzte Chips, die man in eine schaumige Quarkzubereitung mit Kräutern (als Emulsion und gefriergetrocknet) stippt. Ein kurzweiliger Start. (6,9/10)

Auf den „Macaron ‚Hommage an die Pfalz‘“ trifft dasselbe zu, wenngleich dieser Baiser aus Forellendashi und Sauerkrautsaft mit gebeizter Forelle und Meerrettichcreme sowohl handwerklich als auch geschmacklich komplexer ist. Der leichte Snack schmeckt angenehm rauchig, die Schärfe des Rettichs belebt Gaumen und Stimmung. (7/10)

Auch der nächste Gang hat einen Bezug zur Region. „Dampfnudel mit Woisoß“ kennt hier jedes Kind, diesem Snack liegt auch noch das handschriftliche Rezept von Benjamin Peifers Großmutter bei. Der Küchenchef präsentiert die brötchenähnliche Spezialität nicht klassisch mit süßer Weißwein-Vanille-Sauce, sondern mit einer herzhaften Variante, die eine anregende Säure mitbringt. Das passt gut zum luftigen, warmen Brötchen, das in salziger Butter gebraten wurde. Omas Rezept könnte man kaum besser huldigen. (7/10)

Für ein Popup-Restaurant auf einem Weingut besteht natürlich der logistische Vorteil, keine große Weinauswahl beschaffen zu müssen. In der Konsequenz werden hier allerdings nur Rieslinge von Dr. Bürklin-Wolf angeboten. Ich habe mit einen 2009er „Pechstein“ G.C. (€ 195) ins obere Regal gegriffen und stelle auch bei diesem Top-Gewächs fest, dass Riesling einfach nicht meine Rebsorte ist.

Bei lässiger Musik und einer durch die untergehende Sonne sich kontinuierlich wandelnden Atmosphäre passt der Wein dennoch gut zur jetzt folgenden „Brotzeit“. Zu hausgemachtem Sauerteigbrot gibt es Schinken vom Kürbis-Schwein, in Shoyu gereiften und geräucherten Schweinebauch-Speck, säuerlich eingelegte Radieschen, „Doseworschd“, aufgeschlagene Butter und Estragon-Senf. Das macht alles richtig Spaß. (6,9/10)

Eine in Shio Koji, eine Paste aus fermentiertem Getreide, gebeizte Seeforelle markiert dann den Übergang von der (feinen) Hausmannskost zu etwas komplexeren Kreationen ohne zwingenden Regionalbezug. Der Fisch, der in einer klaren Gazpacho angerichtet ist, erhält durch die Beize eine Textur mit angenehmem Biss. Die Gazpacho, die, neben Tomate, auch Gurke, Erdbeere und Jalapeño enthält, schmeckt leicht fruchtig, spielt clever mit Umami und, durch die Zugabe von etwas Lauch-Öl, auch mit Fett. Das passt alles vorzüglich zusammen, es entsteht ein frisches, „klares“ Geschmacksbild mit einer sehr guten Zutat im Mittelpunkt. (7/10)

Annabelle-Kartoffeln wurden für den nächsten Gang gedämpft, gegrillt und zusammen mit gegrilltem Knochenmark und ebenfalls gegrilltem Lauch etwas „angedrückt“. Die dadurch bissfesten, aber in ihrer Textur aufgelockerten Kartoffeln schmecken schon dadurch intensiv nach Grill und Sommerabend, während zwei Sorten Kaviar ‒ von Stör und Saibling ‒ eine ordentliche Prise Salz beisteuern. Für „süffige Komplexität“, d. h. in diesem Fall vor allem Umami und etwas Säure, sorgt weiter eine schon zwanzig Mal angesetzte Brühe aus Seezungenkarkassen, die noch aus einem vergangenen Menü Verwendung finden. Intelligent, kurzweilig, überaus schmackhaft. (7,5/10)

Zwei kleinere Snacks folgen. Es ist eine gelungene Idee, auch mal zwischendurch die Menge der Portionen zu variieren. Gegrillte frische Erbsen in einer süffig-pikanten Marinade mit Yuzu, Chili, Dashi-Essig und Lauch-Öl („Pfälzer Edamame“) zuzelt man ganz einfach aus ihrer Schale und sind ein kurzweiliges Vergnügen, wenn auch einen Hauch zu weich (6,9/10); danach beruhigt ein „Gintense Fizz“ in Form eines zitrusfrischen Schaums aus Gin mit Koriander-Granité den Gaumen (7/10).

Weiter geht die lässige kulinarische Reise mit bretonischem Hummer. Das draußen über glimmender Holzkohle gegrillte Exemplar ist qualitativ exzellent und präsentiert sich hier in einem Arrangement mit einer mit Hummerfarce gefüllten Spitzmorchel. Die beiden Spitzenprodukte sind in einer süffigen, säurebetonten Beurre Blanc auf der Basis von weißem Spargel angerichtet, in der man noch gegrillte Zuckerschoten, kleingeschnittene Bohnen, Pinienkerne und zarten, gehaltvollen Schweinbauch findet. Das alles schmeckt salzig, leicht süßlich und immer wieder auch dezent nach dem sich hier im Dauereinsatz befindlichen Holzkohlegrill mit seinen charmanten Grillnoten. Eine famose Liaison aus Rustikalität und französischer Spitzenküche. (7,5/10)

Apropos Frankreich. Ein weiterer Snack mit einem warmen Stück Toast mit schmelzendem Taleggio-Käse (vom Affineur Waltmann) und Haselnusssenf, dazu ein kleines Bund Wildkräutersalat mit einer süßlich-säuerlichen Périgord-Trüffel-Vinaigrette, erinnert an unkomplizierte, aber gute Salate mit Toast zum déjeuners in einem noch unbeschwerten Frankreich. Nur scheinbar simpel, wahrhaftig aber ein luxuriöses Vergnügen mit hervorragenden Zutaten! (7/10)

Als Pré-Dessert gibt es eine für diesen Zweck (absichtlich) ungewohnte Kreation mit Gänseleber. Die von einem regionalen Lieferanten stammende Zutat ist ungestopft und wurde für dieses Gericht zusammen mit grünem Pfeffer und Pinienkernen einerseits zur Terrine verarbeitet und dann geräuchert, andererseits findet man noch ein Entenlebereis auf dem Teller. Zu den Leberkreationen gibt es einen Lavendelsud mit Himbeere, frische Himbeeren, einen Brioche-Chip und gehobelten Pélardon-Käse. Das Gericht spielt spannungsvoll mit der Hin-und-Her-Gerissenheit zwischen Herzhaftigkeit und Süße, aber so ganz im Reinen bin ich mit der Zwitterspeise nicht. Dennoch sehr gut, vom Handwerk bis zu den Zutaten. (7/10)

Das tatsächliche Dessert ist Gugelhupf. Den Kuchen hat man während des Backens immer wieder in Vanillesauce getränkt und anschließend im Ofen über Holzkohle karamellisiert. Das Ergebnis ist ein saftig-süßer Kuchen direkt aus dem Schlaraffenland, der mich ein wenig an den Tipsy Cake von Heston Blumenthal erinnert. Dazu gibt es gesalzene und geräucherte Karamellsauce, eine Vanillesauce, ein Rhabarberkompott und marinierte, geheimnisvoll floral schmeckende Blaubeeren. Der üppige Genuss, mit dem ständigen Wechselspiel zwischen Süße, etwas Salz und Fruchtigkeit ist nichts Geringeres als ein fantastisches Dessert. (8/10)

Ein kühl servierter Tee mit Gartenkräutern begleitet zum Abschluss noch mit Mandelkuchen und „Hefe-Custard“ gefüllte Kirschen ‒ ein bisschen weniger euphorisierend, dennoch gut (6,9/10). Wenig später, beim Verlassen des Gewächshauses, grillt man sich noch schnell selbst ein Marshmallow über einem kleinen Big Green Egg.

Etwas wehmütig verlasse ich das stimmungsvolle Restaurant, mit dem Lolli in der Hand und der Frage im Kopf, wann ich wohl zurückkehren kann. Nicht unbedingt, um dasselbe noch mal zu erleben, aber zurück an diesen Ort, auf dieses Weingut, in diese Region. Ich habe auch schon eine Idee. Der (kulinarische) Sommer ist noch nicht vorbei.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Intense at Dr. Bürklin-Wolf (Popup) (→ Website)
Chef de Cuisine: Benjamin Peifer
Ort: Wachenheim an der Weinstraße, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 17.07.2020
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