L.A. Jordan – ohne Hommage

Ich falle mal gleich mit der Tür ins Haus. Das Essen im L.A. Jordan ist so gut, dass ich am nächsten Abend, nach einem vernachlässigbaren Essen im Sushi B., einfach noch mal für ein paar Gänge einkehre. Und jetzt gleich noch ein Knaller: das Essen im L.A. Jordan ist so gut, weil eines der besten Restaurants der Welt ganz unverblümt als Blaupause dient.

Dem durchschnittlichen Gast dürften die Parallelen beim Lesen des Speisekartenaushangs kaum auffallen. Dafür muss man schließlich auch mal die New Yorker Vorlage besucht haben. Doch allein die Hauptzutaten ‒ Kaviar, Kinmedai, Kaisergranat, Miyazaki-Rind, Wachtel ‒ sprechen in ihrer Verwendung, Reihenfolge und Kombination unmissverständlich die Sprache von César Ramirez, dem mexikanischen Kochgenie aus dem Chef’s Table at Brooklyn Fare. Dass das alles auch noch auf demselben Hering-Geschirr serviert wird und viele Gänge genauso aussehen wie das Original, muss man mindestens als ungeniert bezeichnen.

Bis auf die frappierende Ähnlichkeit der Speisekarte ist mir das alles aber noch nicht bekannt als ich heute Abend Platz nehme. Auf der weitläufigen Terrasse des Restaurants, das zum sehr empfehlenswerten Boutique-Hotel Ketschauer Hof gehört, kann man an diesem lauen Sommerabend erst einmal nur gute Laune bekommen. Ein Chassagne-Montrachet von der Domaine Marc Morey (€ 105) tut sein Übriges.

Nach einem ersten Snack (leider ohne Foto, es fängt gut an) bestehend aus einem spritzig frischen Röllchen aus hauchdünner Apfelscheibe, die sich um eine leicht pikante Füllung mit Ingwer und Koriander schmiegt (7,5/10) gibt es als zweite Einstimmung eine Tartelette mit Edamame, Yuzu-Mayonnaise, Aal und Shisoblüten. Die knusprige Petitesse verbindet den frischen Geschmack von Erbsen mit etwas Rauch, dezenter Säure und dem bittersüßen Geschmack der Blüten. Geschmacklich und handwerklich äußerst gelungen und bereits auffällig dem Auftakt bei Ramirez folgend, der seine Menüs immer mit solchen Tartelettes eröffnet, häufig ebenfalls mit Shisoblüten getoppt (7,9/10).

Die nächsten Speisen halten den Ball in Richtung New York aber zunächst flacher. Schlechter wird es dadurch nicht. Eine Nocke keck gewürzten Kalbstartars findet man folgend in einem aufgeschäumten Sud, in den ein sehr feines thailändisches Geschmacksbild eingearbeitet wurde. Das ist frisch, kühl, leicht pikant und ätherisch ‒ und angenehm kontrastiert durch einen federleichten, knusprigen Jakobsmuschel-Chip. (8/10)

Der erste Gang des achtgängigen Menüs (€ 190) thematisiert Balfego-Thunfisch. Es gibt ein Sashimi aus dem Rücken, darunter etwas vom leicht gegarten Bauch. Das qualitativ hervorragende Thunfisch-Ensemble ist auf einer Sauce mit Arganöl, schwarzem Trüffel und Holunderblüten angerichtet, die mit ihrem überraschend floralen Aroma alle Komponenten elegant einrahmt. Ein Dashi-Gelee und Auberginencreme sind weitere stimmige Mitspieler. Säure, Schmelz, Umami ‒ das ist schlicht hervorragend. (8/10)

Im Glas ist inzwischen ein 2016er Macon-Verzé von der Domaine Leflaive (fair bepreist mit € 65 für die Flasche). Der Burgunder passt auch gut zum nächsten Gang. In einem tiefen Becher vermählen sich ein Kartoffelschaum und -püree, geröstete Zwiebeln, Rinderfett und eine großzügige Nocke Kaviar (N25 Almas Kaluga Selection DS) zu einem süffigen Ensemble, das vor allem von der Spannung zwischen der bodenständigen, süßen Zwiebel und dem luxuriösen, nussig-jodigen Kaviar lebt (8/10). In New York serviert Ramirez im selben Hering-Geschirr an ähnlicher Stelle des Menüs regelmäßig vergleichbare Speisen, bei denen vorzüglicher Kaviar einen prägnanten Akzent setzt.

Danach geht es, auch hier, weiter mit Kinmedai. Der in Deutschland kaum bekannte ‒ und schwer beziehbare ‒ Fisch mit der heimischen Bezeichnung Glänzender Schleimkopf ist in Form eines Filetstücks in einer Sake-Beurre-blanc mit Bergamotte-Öl angerichtet. Von irgendwoher schmeckt es auch einen Hauch nach Kokos. Die säurebetonte Sauce passt exzellent zum saftigen Fisch, dessen von Haus aus eher feste Textur hier gut zum Ausdruck kommt. Den Fisch ziert noch ein knusprig-säuerliches Topping mit Fischschuppen, Grapefruit und Kapern. Das ist ohne Umschweife ein weiteres hervorragendes Gericht mit wunderbarer Hauptzutat (8/10). Wenn César Ramirez seinen noch am selben Tag aus Japan eingeflogenen Kinmedai über Binchotan-Kohle grillt und lediglich mit etwas Rettich und einem Zweig Szechuanpfeffer belegt (rechts im Bild), geht das noch mehr unter die Haut.

Bei meinem letzten Essen bei Ramirez folgte auf Kinmedai Kaisergranat. So auch hier. Die Kopie aus Deidesheim ist optisch nicht vom Ramirez’ Version (rechts im Bild) zu unterscheiden. Das erfreuliche an dieser kleinen Dreistigkeit ist, dass sich Daniel Schimkowitsch auch die ambitionierte Produktbeschaffung aus New York abgeguckt hat. Der Kaisergranat von den Färöern ist phänomenal, gleichberechtigt mit Qualitäten wie man sie eben bei Ramirez oder im Frantzén erlebt. Schade, dass Schimkowitsch dann nicht konsequenterweise auch den Sack zumacht. Denn wenngleich die hier eingesetzte Kohlrabivelouté den bei Ramirez für diesen Gang gern verwendeten Gemüsen Blumenkohl oder Rübchen sehr ähnlich ist, verzerren Kokosmilch und Stachelbeervinaigrette das Geschmacksbild in eine deutlich zu plakative „Thai-Richtung“. Die fulminante Hauptzutat verliert damit an Präsenz, bleibt aber dennoch im Gedächtnis. (7/10)

Es geht weiter mit Seeteufel (aus Noirmoutier). Der Fisch, der mir zuletzt im Frantzén auf vergleichbar großartigem Qualitätsniveau begegnet ist (und auch dort zuletzt in einer dichten brauen Sauce angerichtet war), wurde hier über Holzkohle gegrillt und ist mit einer Scheibe gebratener Foie Gras bedeckt. Eine Sauce aus Kombualgen begleitet das Surf ’n’ Turf, was dem Gericht eine komplexe Umami-Tiefe verleiht. Die Dekoration mit Selleriefäden und dem bereits vermissten Szechuanpfeffer-Blatt nickt dann abermals über den Teich. Unabhängig von den offenkundigen Inspirationen ist das ein Weltklassegang. (9/10)

Es bleibt so. Miyazaki-Rind, regelmäßig auch in Hauptgängen des New Yorker Kollegen vertreten, präsentiert die Küche hier aber in erkennbarer Eigenregie. Zum buttrig zarten, japanischen Fleisch gibt es ein herzhaftes Potpourri aus kleingehacktem Onglet, Kalbszunge und Graupen, was zusammen mit dem Fleisch und einem exzellenten, stark reduzierten Rotweinjus opulent und luxuriös schmeckt. Als frischer Gegenpol sorgen ein kleiner Kräutersalat, der traumhaft mit den anisähnlichen Aromen von Kerbel spielt, ein kleines Stück Artischockenherz mit überraschend intensivem Geschmack sowie eine pikante grüne „Salsa“. Das großartige Gericht ist in Summe deutlich klassischer in seiner Zusammenstellung, vermutlich ein Hinweis auf die eigentliche Handschrift des Küchenchefs, die sich vor nichts verstecken muss. Im Gegenteil, ich bestelle noch etwas nach! (9/10)

Die eigenen Ideen weichen danach wieder der Vorlage aus New York. Es gibt Wachtel mit Trüffeln, dazu eine Sauce Roiayru, eine asiatisch inspirierte Variante einer Sauce Royale, auf der Basis von Wachtelkarkassen, Kalbsfond, Kombu und Wachtelleber. Spanischer Iberico-Schinken und karamellisierter Chicorée verstecken sich auch noch unter den australischen Trüffeln. Das Gericht ist „dicht“ und würzig, „klebrig“, zart und saftig, die Wachtel von feinster Qualität und präzise gegart. Ich bin in diesem Moment richtig glücklich, New York auf dem Teller zu haben. Der Hudson River war in diesen Zeiten noch nie so nah wie heute Abend. (9/10)

Zu Rind und Wachtel passte ein 2015er Gevrey-Chambertin von Olivier Bernstein, ein rarer Fund für € 120. Als der Burgunder zur Neige geht, serviert die Küche noch etwas Offenes zum Dessert. Ein 1942er „Forster Jesuitengarten“ des Haus-Weinguts Bassermann-Jordan ist grandios, so begeistert mich auch Riesling.

Die Patisserie arbeitet eigenständiger ‒ und kein bisschen schlechter. Ein erstes Pré-Dessert mit Aprikoseneis, Kokosnussschaum und Basilikumgranité schmeckt nach dem unbeschwertesten aller Sommer (9/10), eine zweite Kreation mit Sake-Trester-Creme, Walderdbeeren (als Eis), Shiso und Schalotten (!) verschlägt mir mit einer märchenhaften Aromenkomposition zwischen Fruchtsüße und fernöstlichem Zauber regelrecht die Sprache (10/10).

Das Hauptdessert, eine gebackene Feige mit flüssigem Schokoladenkern, dazu ein Buchweizen-Mohn-Eis, entlockt einem weitere „Mmmh“-Laute. Die anspruchsvolle Bitterkeit von Schokolade und die ausgesprochen aromatische Feige sind himmlisch (9/10).

Auch die Pralinen, unter anderem exzellente Pistazienmacarons, sehr geschmacksintensive Pralinen mit Miso-Karamell und fluffig weiche Windbeutel mit Yuzu könnten auch in einem Drei-Sterne-Restaurant den Abschluss bilden (9/10).

Apropos drei Sterne. Das Talent von Daniel Schimkowitsch dürfte unstrittig sein. Es reicht schließlich nicht aus, César Ramirez’ Gerichte als Vorlage zu wählen. Man muss das auch umsetzen können. Die Kopie eines Gerichts von Ramirez steht und fällt mit der Güte der Zutaten. Wenngleich man in Deutschland viele Gäste mit deutlich minderwertigerer Ware beeindrucken könnte, eifert Schimkowitsch seinem New Yorker Kollegen nach und beschafft Produkte, die man hierzulande selbst in Drei-Sterne-Restaurants selten erleben kann.

Wer aber, und das muss angesprochen werden, sich nicht bloß inspirieren lässt, sondern fast ein ganzes Menü kopiert, inklusive des Geschirrs, ohne den Urheber zu kennzeichnen, muss sich mindestens die Frage gefallen lassen, ob das besonders kollegial ist. Auch die Frage, in welche Richtung sich die Küche hier weiterentwickeln wird, wenn man mal nicht nach New York fliegen kann, ist sicherlich eine spannende.

Das Schöne an der Sache ist, dass das alles nicht auf Kosten des Gasts geht. Bei den hier gebotenen Qualitäten macht man seinen Gästen zweifellos eine große kulinarische Freude. Nur für diejenigen, die Ramirez’ Küche kennen, dürfte den Genuss im L.A. Jordan ein Hautgout begleiten. Er ist aber nicht streng genug, um morgen nicht gleich noch mal vorbeizuschauen. Auf etwas Miyazaki-Rind. Oder Wachtel. Oder beides.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: L.A. Jordan (→ Website)
Chef de Cuisine: Daniel Schimkowitsch
Ort: Deidesheim, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 07.08.2020
Guide Michelin (D 2020): *
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