Il Cantuccio ‒ prominente Blamage

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, in Hamburg doch noch mal Überraschungen in Restaurants zu erleben, um die ich sonst vorurteilsbehaftet einen Bogen mache. In diesem Fall gaben die gemütlichen, zudem beheizten, Außenplätze im Eingangsbereich den entscheidenden Impuls; die Speisekarte im Internet lässt auch keine negativen Schlüsse zu. Wenn man das kann, was da drinsteht, klingt das nach einem köstlichen italienischen Essen, bei dem man sich später fragt, warum der Guide Michelin das Restaurant genauso wenig erwähnt wie das von vielen bejubelte L’Europeo, das der Bruder des Il Cantuccio in einem anderen Hamburger Stadtteil führt.

Dem Rat der freundlichen Bedienung folgend beginne ich mit der „klassischen“ Antipasti-Variation. Die alternative, „spezielle“ Version klingt eigentlich spannender, doch als ich im Gespräch herausfinde, dass mit Trüffeln eigentlich Trüffelöl gemeint ist, steht die Entscheidung. Nichts gegen gute Klassiker.

Nach und nach werden die Kleinigkeiten aufgetischt. Burrata mit Tomaten und Rucola ist an Banalität ‒ wohlbemerkt nicht an guter Einfachheit ‒ kaum zu überbieten. Dass es sich um normale Supermarktprodukte handelt, ist bei dem Gericht gar nicht das Problem; vielmehr dürfte jedem klarwerden, dass man damit deutliches Besseres anstellen kann als diese lediglich aufeinander zu stapeln. Vom Anschmelzen der Tomaten im Ofen über eine Würzung mit hausgemachtem Pesto oder einfach nur hervorragendem Olivenöl bis zur Verwendung deutlich besserer Zutaten lässt sich aus dieser einfachen Speise etwas durchaus Ansprechendes zubereiten. Nichts davon findet man hier auf dem Teller. Der mäßige Balsamessig, der schon auf dem Tisch bereitsteht, hilft etwas gegen die faden Tomaten. (5/10)

Vitello Tonnato ist etwas besser, weil das offenkundig im Haus gekochte Kalbfleisch von guter Qualität ist und die fein pürierte, aber leicht überportionierte, Thunfischcreme mit Kapern das klassische Geschmacksbild recht authentisch darstellt. (6/10)

Frittierte Zucchiniblüte, eine feine Zutat mit viel Potenzial, findet man beim nächsten Gericht prall gefüllt mit einer faden Farce aus Ricotta sowie dem frittierten Stil der Pflanze. Das Ganze ist einfallslos auf etwas müder Rauke angerichtet, einem Kraut, das viele der Gäste hier immer noch für eine besondere Zutat halten dürften. Ah, Rucola! Hauptsache, Italien. Dass die armen, pappigen Zucchiniblüten auf dem Teller so aussehen wie frittierte Hammelhoden, stört offenbar nur mich. (5/10)

Parmigiana di melanzaneist auffallend besser gelungen. Der süffige Gemüseauflauf mit Aubergine, leicht pikanter Tomatensauce und Parmesan bietet angenehme Wärme und reichlich Umami. (6,5/10)

Die letzte Vorspeise ist ein Gericht mit Garnelen. Ganz im Sinne des Stadtteil-Italiener-Klischees spricht man hier sogar fälschlicherweise von scampi (Kaisergranat), obwohl es sich eindeutig um gamberoni (Garnelen) handelt. Die zur Textur einer Schuhsole totgebratenen Schalentiere mit unangenehm fischigem Geschmack serviert man hier mit labberigen, faden Pilzen und weißen Bohnen aus der Dose. Etwas Pfeffer, Salz, Zitrone und Olivenöl wären dazu vielleicht ganz nett gewesen, aber man kann ja nicht alles haben. (5/10)

Die Weinkarte, in der ich schon online gestöbert hatte, bietet ein rein italienisches Sortiment fernab von Spannendem, aber dennoch mit einigen guten Möglichkeiten. Ein überpreister Tignanello steht bestimmt gleich auf dem Tisch von TV-Sternchen Sylvie Meis und Begleitung, die gerade ins Restaurant spazieren. Oder wird es doch eher ein Grauburgunder sein?

Meine Wahl fiel auf einen 2015er Castello di Ama San Lorenzo (€ 98), ein Chianti, zu dem man sich eigentlich gehobenere Genüsse wünscht. Doch nicht einmal die bisherigen fünf Speisen haben mir Appetit darauf bereitet, mich weiter durch die Karte zu probieren. Auf zwei Pastagerichte lasse ich mich aber noch ein, des Appetits und einem kleinen Funken verbleibender Neugier wegen.

Linguine „mit Trüffeln“ ‒ die Gerichte werden hier hygienebedingt derzeit alle mündlich vorgetragen ‒ werden auf meine einzige Bitte hin ohne Trüffelöl serviert. Was ohne das penetrante Aroma übrig bleibt, ist dann einfach nur ein Geschmack nach Sahne ‒ und nichts Weiterem. Der zumindest in dieser Qualität für nichts taugliche schwarze italienische Wintertrüffel hat keinerlei Aroma und eine Textur wie ein in der Hosentasche vergessenes Taschentuch nach dem Waschgang. Das Desaster war zu vermuten, aber es hätte ja sein können, rein hypothetisch, dass man hier doch noch mit einer feinen Knolle Albatrüffel um die Ecke kommt. Das Gericht ist ungenießbar, bleibt stehen und steht später auch nicht auf der Rechnung.

Die knappe Hälfte der anderen Pasta, Spaghettini mit einer pikanten, aber hier im Dunkeln auch etwas undefinierbaren Tomatensauce mit sehr viel Knoblauch, esse ich noch wegen des bisher ungestillten Appetits. Die Nudeln sind hoffnungslos zerkocht und zerfallen fast in der Sauce, die ähnlich süßlich-bissig schmeckt wie Miracoli aus dem Supermarkt.

Möglich, dass die (heute nicht verfügbaren) Speisen, die die online einsehbare Karte verspricht ‒ vom Kalbsbries mit gemischten Pilzen über Fettuccine mit Salsiccia und Artischocken bis zum Wolfsbarsch in Salzkruste ‒ eine andere Sprache sprechen. Den heutigen sieben Tellern war leider nichts Italienisches zu entnehmen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Il Cantuccio (→ Website)
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 14.10.2020
Guide Michelin (D 2020): keine Erwähnung
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