Jellyfish – glasklar

Trotz des notorischen Mangels meiner Heimatstadt an attraktiven Restaurants bahne ich mir mehrmals die Woche den Weg durch das gastronomische Dickicht Hamburgs und hoffe auf Überraschungen. Dabei klopfe ich auch immer wieder an die Tür der üblichen Verdächtigen. An die Tür des Jellyfish habe ich allerdings schon länger nicht mehr geklopft. Vor ungefähr einem Jahr war ich hier zum ersten Mal und verließ das Restaurant damals durchaus angetan und in der Überzeugung (und mit der Hoffnung), dass hier noch mehr draus werden könnte.

Ein neuer Besuch war daher überfällig, und ich verrate es schon jetzt: meine Hoffnung hat sich erfüllt. Der heutige Abend wird mir eine der erfreulichsten kulinarischen Überraschungen der Stadt bieten seit der Entdeckung des Off Club.

Das Restaurant ist klein und intim; helle Holztische in einer ansonsten fast komplett weißen Umgebung lassen das Ambiente recht minimalistisch wirken. Doch derjenige tut gut daran, der dies als Hinweis deutet, dass die eigentliche Musik hier auf dem Teller spielt.

Die an eine Tafel geschriebene Speisekarte erlaubt eine sehr flexible Auswahl von fast überwiegend Fisch- und Meerestiergerichten aus Wildfang; alles – so ein erläuternder Text auf der Website – unter dem Gesichtspunkt einer ökologisch möglichst nachhaltigen Produktbeschaffung. Die Gerichte sind à la carte zu bestellen (Hauptgerichte ca. € 30–40) oder als Menü (vier bis sechs Gänge, € 64–84).

Es geht los mit einem Tatar vom Gelbflossen-Thun, das vor Frische nur so strotzt. Die perfekte Temperatur (leicht kühl) und die dekadent großen Stücke sorgen für ein angenehmes Mundgefühl, dazu gesellen sich Avocado (frisch und als Creme), Mangowürfel und eine gelbe Gazpacho als angenehme Mitspieler. Ein sehr guter, harmonischer Auftakt in einer eindeutigen Liga.

Der nächste Gang kombiniert Jakobsmuscheln mit Bio-Schweinebauch, dazu Zwiebelcreme, geschmorte Zwiebeln, Kalbsjus und Aprikosengel. Schon nach dem ersten Bissen ist klar: das ist ganz hervorragend! Die Jakobsmuschel, die es leider so häufig in mangelhafter Güte gibt (wässrig, fischig), ist hier von ausgezeichneter Qualität: fleischig und zart, perfekt gebraten. Der Schweinebauch dazu setzt einen herzhaften Gegenpol und zergeht auf der Zunge; Jus und Saucen sind alle mit großer Sorgfalt zubereitet. Ein exzellentes Surf and turf.

Es geht weiter mit Pulpo und Calamaretti mit Arroz negro (ein mit Sepiatinte gefärbtes Risotto), Edamame, Safran-Aioli und Tomaten-Limonen-Vinaigrette. Eine durch das sämige Risotto zwar etwas mächtige Portion, aber auch dieses Gericht überzeugt durch die Harmonie von Frische, Herzhaftigkeit und Texturen. Und die Röstaromen des scharf angebratenen Pulpo gefallen mir sehr gut.

Bei einem weiteren Glas Chassagne-Montrachet 1er Cru „Clos Saint Jean“ von Michel Niellon (€ 119) muss ich kurz innehalten. Nicht nur, weil der Abend in Summe schön ist, sondern weil man Gerichte auf diesem Niveau in Hamburg einfach zu selten findet. Mehr von allem!

Als nächstes probiere ich die geschmorte Ochsenbacke mit Pilzrisotto (Shimeji, Kräuterseitlinge, Shiitake), Apfelwürfeln und Lauch. Nach den vielen Fischgerichten ist das jetzt genau das Richtige. Die Ochsenbacke ist so, wie man sie sich vorstellt: butterzart, geradezu zerfließend am Gaumen und intensiv aromatisch. Lauch und Pilze setzen dazu säurebetonte, frische Akzente. Auch das ist einfach köstlich.

Der folgende Seeteufel (Atlantik-Lotte) überzeugt dann vor allem durch seine phänomenale Produktqualität. Seeteufel begegnet einem häufig in übergarter, gummiartiger Beschaffenheit (weswegen ich ihn selten bestelle), aber in diesem Fall ist die Überraschung mit dem zugleich saftigen, bissfesten und zarten Stück perfekt. Ebenfalls auf dem Teller findet man Chorizopuder, Kartoffel-Fenchelcreme, Artischocken, sautierten Fenchel, Kartoffelwürfel und Schmortomate; insgesamt ein süffiges, wohlschmeckendes Ensemble. Nur das Blatt Blutampfer, das sich inzwischen fast auf jedem Teller wiederfindet, hat spätestens hier ausgedient. Alles in allem ein hervorragender Gang.

Auch die Patisserie leistet solide und glücklich machende Arbeit mit einem sündhaft guten halbflüssigen Schokoladenkuchen mit Brombeersorbet und Passionsfruchtgel sowie einer Nougatmousse mit Sanddornsorbet und Rivesaltes-Gelee. Lediglich die etwas „zerklüftete“ Anrichtweise, bei der man sich die Komponenten von allen Stellen des Tellers zusammensammeln muss, dürfte nach meinem Geschmack einer kompakteren weichen.

Aber das sind bereits Details auf hohem Niveau. Nach dem heutigen Essen ist klar: Das Jellyfish spielt eindeutig in der kulinarischen Top-Liga Hamburgs mit. Was ich vom Guide Michelin im November diesbezüglich erwarte, ist auch klar. Glasklar!

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Jellyfish (→ Website)
Chef de Cuisine: Nils Egtermeyer
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 10.09.2014
Guide Michelin (D 2014): empfohlen
Meine Bewertung dieses Essens 7 (Was bedeutet das?)