Waldhotel Sonnora – lässige Perfektion

Dass man sich nicht einmal besonders darum schert, wie das eigene Restaurant genau heißt, ist eines von vielen verblüffenden Details, über die man hier an der Eifel nur ungläubig mit den Schultern zucken kann. Im Guide Michelin liest man »Waldhotel Sonnora«, auf der hauseigenen Website findet man dazu noch eine Mischung der Ausdrücke »Restaurant Sonnora«, »Sonnora« oder einfach nur »Restaurant«.

Sicher sind zwei Dinge: Man betont Sonnora auf der zweiten Silbe; und man hat hier deutlich wichtigere Dinge im Kopf als sich um solche Nebensächlichkeiten zu kümmern. Es ist eben einfach das Hausrestaurant des Waldhotels Sonnora, und es erstrahlt seit letztem Sommer in neuem Glanz.

Wobei Glanz gerade nicht mehr das vorherrschende Gestaltungselement ist. Anstatt der fast surreal antiquierten Farbwelt aus Gelb, Gold, Rot und Weiß, gibt jetzt eine beruhigende, elegante Schlichtheit den Ton an. Einige extravagante, aber stilsichere Details sorgen dafür, dass die Neugestaltung nicht ins Beliebige abgleitet.

Dem gesamten Haus steht die gestalterische Verjüngungskur gut zu Gesicht. Nächstes Mal würde ich dennoch wieder in der »Heritage Suite« nächtigen, dem kultigen, noch erhaltenen Zimmer mit Messingapplikationen, Kirschholzmöbeln, Telefunken-Fernseher, rotem Teppich und riesigem Marmorbad inklusive griechischer Büsten.

Von der Küche erwarte ich heute keine Veränderung. Das ist im Sonnora jedoch nicht mit Stillstand zu verwechseln. Clemens Rambichler pflegt die französische Küche seines Mentors Helmut Thieltges nach einem geradezu japanischen Prinzip von winziger, aber stetiger Optimierung – über einen Punkt hinaus, an dem die meisten Menschen keine Optimierung mehr erwarten. Dass Rambichler – 33 Jahre jung, bayerische Frohnatur, mit seiner Frau zusammen neuer Eigentümer des Hauses und seit kurzem auch Vater – all das so lässig aus dem Ärmel zu schütteln scheint, als sei da noch ganz viel Luft nach oben, risse man sich mal zusammen, macht einen Teil der Begeisterung aus, die ich für dieses Haus empfinde.

Meine Wahl fällt heute Abend auf das Menü (€ 238) inklusive der Option, bei den Vorspeisen aus einem »Oder« ein »Und« zu machen (zzgl. € 65).

Schon die Ouvertüre katapultiert einen in die Sonnora-Welt. Schwertmuschel, kleingeschnitten und in ihrer Schale angerichtet, schmeichelt mit einer dichten, perfekt abgeschmeckten Orangen-Zitrus-Marinade und samtiger Blumenkohlcreme. Dass die Muschel darin nicht untergeht, sondern durch Säure, eine leichte Süße und die kühle Temperatur umso mehr betont wird, beeindruckt bei dieser sommerlichen Einstimmung besonders. (9/10)

Meeresfrüchte stehen auch bei der folgenden Trilogie im Mittelpunkt. Gillardeau-Auster, ebenfalls mundgerecht präpariert, kommt in einer Emulsion mit Gurke und Dill, wobei beide Aromen verblüffend ausbalanciert sind; Kaviar setzt dazu nussige und jodige Akzente. Es ist die vielleicht vollkommenste Umsetzung dieses Klassikers, die ich je probiert habe. Ein Hummerragout in einer Krustentierbisque mit Wachtelei demonstriert danach klassisches Handwerk in Perfektion; das süffige Süppchen ist geschmacklich intensiv, leicht pikant, buttrig, schaumig und wohltuend heiß. Sashimi vom Balfegó-Thunfisch aus Rücken und Bauch kühlt den Gaumen wieder ab und schmeichelt ihm dafür mit verführerischem Schmelz und einer lebhaften Kombination aus Apfel und Minze. Wem nach diesen Petitessen nicht schon ein zufriedenes Lächeln im Gesicht steht – und bei manch einem vielleicht auch die rhetorische Frage, ob vollendeter Genuss wirklich so »einfach« sein darf –, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. (10/10)

Dann, noch nicht beim regulären Menü angelangt, folgt noch ein Einschub in Form von einer Ochsenschwanzessenz. In dem duftenden Elixier schwimmen Tranchen von Foie Gras sowie nur unwesentlich dünnere Scheiben von qualitativ phänomenalem australischem Trüffel. Die konzentrierte Essenz ist meisterlich und frei von Moden umgesetzt: klar, intensiv, an den Lippen klebend, behutsam gewürzt. Die luxuriösen Zutaten ergeben in diesem heißen, süffigen Wohlfühlumfeld völlig Sinn. Die olfaktorische Melange zwischen erdigem, »harzigem« Trüffelduft und der konzentrierten Essenz ist wie ein Rausch. (10/10)

Am Tisch geben sich gerade eine Flasche 2018er Chablis »Dessus La Carrière« von der Domaine Gilbert Picq (€ 78) und ein 2015er Chardonnay von Chateau Montelena (€ 142) die Klinke in die Hand.

Der Blick auf das jetzt erst bevorstehende Menü flößt genauso viel Respekt wie Vorfreude ein. Zwei Klassiker machen den Auftakt – meine »Und«-Option.

Nummer eins ist die unbegreiflich gute Gänseleberterrine, die mit feinen Schichten intensiv erdiger Périgord-Trüffeln aromatisiert ist. Eine darauf aufgetragene, fast unsichtbare Schicht gelierter Ochsenschwanz-Essenz – ich genoss sie gerade vorher in anderem Aggregatzustand, aber mit identischen Mitspielern – verleiht der Terrine weitere Tiefe und noch mehr Vollmundigkeit. Ein fruchtiges Coulis aus Bari-Feigen passt dazu klassisch; eine süffige Pinienkern-Vinaigrette bringt mit ihrem Säurespiel dann aber noch eine Lässigkeit mit ins Spiel. Vinaigrettes stehen für mich immer für eine alltägliche französische Marktküche und können gerade auch luxuriöse Gerichte angenehm erden. Hier im Sonnora wird man oft Zeuge von fabelhaften Vinaigrettes, so wie hier. (10/10)

Nummer zwei des Vorspeisen-Duos ist das unverzichtbare Törtchen vom Rinderfilet-Tartar. Auf einem dreifach frittierten, luftig knusprigen und warmen Kartoffelrösti thront das kühle, feine und dicht geschichtete Rind, das nur noch eine Ebene Crème fraîche von einer daumenhohen Schicht Imperial Gold Kaviar trennt. Luxuriöser Schmelz, absolute Harmonie und behutsame Kontraste durch den knusprigen, warmen Rösti, unterstreichen die abgeschlossene Perfektion dieses Klassikers. (10/10)

Es geht weiter mit Kaisergranat aus der Bretagne. Das Ausnahmeprodukt – nicht allein seiner Größe, sondern auch der fleischigen Textur und dem nussigen Aroma wegen – ist hier, perfekt auf den Punkt gegart, in einer schaumigen Limonen-Butter-Sauce (mit Beurre Bordier) gebettet. Sehr aromatische Mango fügt einen Hauch Exotik hinzu – nicht forciert, sondern eher wie ein willkommener Vorschlag –, und einige Salatblätter, die nicht wahllos abgezupft, sondern sorgfältig aus dem Inneren eines Salatkopfs selektiert wurden, ergänzen die Kreation um knackige Frische. Ein grandioses Hauptprodukt und eine Sauce auf Weltklasseniveau: Mehr braucht das Gericht nicht, um mit einem Umweg über den Magen direkt ins Herz zu wandern. (10/10)

Auf der Weinseite geht es am Tisch jetzt von einem 2017er Condrieu »Coteau de Vernon« von der Domaine Georges Vernay (€ 230) über zu etwas Rotem. Wenngleich der burgundische Teil der Weinkarte etwas Ausbau verkraften könnte, findet sich mit einem 2013er Nuits-Saint-Georges 1er Cru »Aux Murgers« von der Domaine Méo-Camuzet (€ 295) eine gute Option.

Das schon längst wieder denkwürdige Menü fährt fort mit Vogesen-Wachtel. Das knusprig und auf den Punkt gebratene Geflügel, bei Rambichler niemals aus dem Vakuumbeutel, wird hier in einem nun etwas komplexeren Arrangement präsentiert. Die Wachtel, in Form von zwei Bruststücken und einer Keule, wird von gleich zwei hervorragenden Saucen begleitet, eine schaumige, helle Sauce mit Vin Jaune sowie ein Trüffeljus. Kleine Pfifferlinge, ein samtiges Kartoffelpüree sowie Stifte und Splitter von australischem Trüffel runden die eine Geschmackswelt des Tellers ab. Eine andere rankt um eine in der Tellermitte platzierte Scheibe gebratener Foie Gras, die von teilweise etwas in Richtung Süße betonten Komponenten wie dem Püree und den Saucen profitiert. Dass man hier noch eine halbe (!) Himbeere hinzufügt, ist gleichermaßen gewagt wie genial. Gewagt, weil sich ihre Funktion als fruchtig-säuerliches Bindeglied zwischen den beiden Geschmackswelten auf dem Teller kaum erschließt, wenn man sie nicht mit allen Komponenten zusammen probiert – und dafür stehen nicht viele Versuche zur Verfügung –, und genial, weil sie eben genau diese Funktion innehat. Die Himbeere ist ein geschmackliches Ausrufezeichen hinter all den anderen Attributen dieses abermals vollkommenen Ausnahmetellers. (10/10)

Ich werde den Eindruck auch nicht los, dass Rambichler innerhalb eines Abends auch schon mal improvisiert, je nach Gast, Lust und Laune. So steht die Gänseleber, immerhin ein opulenter Star dieses Gerichts, genauso wenig in der Beschreibung der Speise wie die Keule (»Brust von der Vogesen-Wachtel«). Und dass der kühne Einfall mit der Himbeere vielleicht einfach ein spontaner Gedanke kurz vor dem Servieren war, könnte ich mir fast vorstellen – wäre das nicht so ausgeklügelt. Es sind jedenfalls solche Details, die Rambichlers Küche an einigen Stellen deutlich von seinem Mentor unterscheidet.

Der nächste Gang ist wieder erheblich schlichter und erinnert in seiner Reduktion (und auf dem Porzellan von Hering) fast schon an die Teller von César Ramirez. Letzterer hätte an dem fantastischen Steinbutt aus der Vendée wohl auch seine Freude, der hier, behutsam gegart, in einem buttrig aufgemixten Strauchtomaten-Fumet thront. Der Fisch selbst ist mit einer Scheibe Wassermelone bedeckt, die mit einer Tomatenessenz, schwarzem Pfeffer und Olivenöl bestrichen wurde. Die Wassermelone selbst ist schon von ungewohnt hoher Qualität, doch die mediterrane »Glasur« verleiht der Frucht mit ihrer schelmischen Süße eine Art Umami-Würze, die das sonst vielleicht zu forciert wirkende sommerliche Aroma in etwas deutlich Komplexeres verwandelt. Die Qualitäten aller Produkte, nicht nur des Hauptdarstellers, sondern bis hin zum verwendeten Pfeffer und den kleinen, pikant-intensiven Basilikum-Schnipseln, ist erneut am Anschlag – und dabei doch so »unauffällig« als wäre die Güte solcher Zutaten nicht nur in der Welt von Clemens Rambichler das Normalste der Welt. (10/10)

Dass jetzt noch zwei Fleischgänge folgen, klingt nur kurz nach einer Herausforderung. Denn trotz der umfangreichen Portionen wohnt dem Menü eine Leichtigkeit inne, die man vor allem auf den eher geringen Einsatz von Fett und Kohlehydraten zurückführen kann – und das bei aller Klassik.

Zu dieser Linie passt auch perfekt das folgende Karree vom Limousin-Lamm. Die sichtbaren Fetteinschlüsse im Fleisch sprechen Bände – über Qualität, Geschmack und Opulenz eines Ausnahmeprodukts. Limousin-Lämmer zieren oft die Speisekarten von Spitzenrestaurants; nur selten sehen sie aus wie auf diesem Teller, selten schmecken sie so, noch seltener gart man sie heutzutage zur Perfektion in Pfanne und Ofen. Folgerichtig gibt es dazu nicht viel, das aber in höchster Güte. Ein Kalbskopf-Thymian-Jus zeugt mit geschmacklicher Tiefe und klebrigen Lippen von bestem Handwerk, ein paar geschmorte und farcierte Zwiebeln liefern ein appetitliches Süße-Säure-Spiel, und eine leicht pikante Gartenkräuter-Hollandaise ist so gut – samtig und mit einer ganzen Kräuterwiese an Aroma –, dass ich das Kännchen mit dem Rest der Sauce nicht auslöffle, sondern es einfach aus dem Gefäß austrinke. (10/10)

Es folgt noch Kalbsbries, und ich habe der Beschreibung des Gerichts seit meinem letzten Besuch vor einem Jahr nichts hinzuzufügen. Wobei Rambichler auch wieder ein kleines Detail angepasst hat: Auf dem Berg aus australischem Trüffel, unter dem sich perfekt gegarter Bries, knackige Pfifferlinge und süffige Frühlingszwiebeln verstecken, findet man jetzt noch einige Scheiben weißer Champignons, die mit ihrer erdigen Aromatik kongenial zum Trüffel passen und frische Akzente setzen. Ansonsten bleibt das Gericht ein luxuriöses, schwelgerisches Fest für alle Sinne, vom wohlklingenden Zerbrechen der dicken Trüffeltranchen über den ätherischen, süßlichen und herzhaften Duft, der dem Teller entströmt bis hin zum transzendenten Wohlgeschmack. (10/10)

Ich glaube es selbst kaum, dass ich vor den Desserts noch Appetit auf Käse habe. Die Auswahl lasse ich das Restaurant vornehmen; das Theater mit dem Wagen brauche ich heute nicht. Die Käse stammen vom Maître Affineur Waltmann aus Erlangen, eine sichere Bank für gehobenen Käsegenuss. Doch nicht nur die Käse sind gut, selbst die fleischig-frischen Walnüsse und die fruchtigen Weintrauben auf dem Teller erfüllen allerhöchste Qualitätsansprüche.

Der süße Abschluss startet mit in Honig und altem Portwein eingelegten Burlat-Kirschen aus Südfrankreich, dazu ein cremiges Rahmeis mit Kampot-Pfeffer. Neben den fleischigen, aromatischen Kirschen, begeistert hieran besonders die ausgewogene Süße und ein Hauch von Schärfe. Etwas Florales schwingt auch noch mit. Das verdreht mir glatt den Kopf. (10/10)

Bei der lauwarmen Tartelette von Valrhôna-Guajana-Schokolade mit Banane, Passionsfrucht und Meersalzkaramell muss ich aber irgendwann passen. Verführerisch ist zwar das noch warme Törtchen und das darauf langsam schmelzende Eis, sehr gekonnt auch die Verwendung der intensiven Schokolade, die mit ihrer Bitterkeit einen wichtigen Kontrast zur Süße der Banane liefert. Dennoch ist mir diese – immer etwas schwierige – Kombination von Banane und Schokolade nach einigen Löffeln zu üppig, selbst in dieser zweifellos erstklassigen Ausführung (8,5/10).

Himmlische Petit-Fours runden das Festmahl endgültig ab.

Es bleibt dabei, was kaum zur Debatte stand: Besser kann man in Deutschland nirgendwo essen. Moderner vielleicht, kreativer auch, aber selbst diese Attribute fehlen der Küche Rambichlers nicht. Das Einzige, was man hier nie auf dem Teller findet, ist Entbehrliches.

Ich verlasse das Haus am nächsten Tag wie immer glücklich, wehmütig und doch voller Vorfreude – auf das nächste Mahl im Hausrestaurant des Waldhotels Sonnora.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Waldhotel Sonnora (→ Website)
Chef de Cuisine: Clemens Rambichler
Ort: Dreis, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 29.07.2021
Guide Michelin (D 2021): ***
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