New York City – überfälliges Wiedersehen

Über vier Jahre ist mein letzter Besuch in New York her, kurz bevor dort ein pandemischer Alptraum begann. Aber die Stadt ist, wie immer, wiederauferstanden. Ganze neue Wolkenkratzer, Parks, Geschäfte und Trends sind seitdem hier entstanden, anderes wich.

Ich hätte New York früher wiederbesuchen können, hatte aber viele andere spannende Pläne. Dennoch habe ich die Stadt oft vermisst. Das hat so viele Gründe wie New York Facetten. Da dies ein kulinarischer Blog ist, bleibe ich aber bei der Sache.

Wenn ich an New Yorks Restaurants denke, kommt bei mir ein bestimmtes Gefühl auf. Es geht dabei nicht um irgendwelche besonderen kulinarischen Höhepunkte, sondern um eine einzigartige Kombination aus fesselnden Atmosphären, eindrucksvollen gestalterischen Details und weltstädtischer Souveränität. Dass man dabei auch noch oft auf fabelhaftem Niveau speisen kann, ist zwar nicht sekundär, aber auch nicht entscheidend. Wenn ich nicht in New York bin, vermisse ich New Yorks Restaurants an sich – in ihrem gastronomischen, sozialen und architektonischen Kontext – mindestens genauso wie das Essen selbst.

Mir war das nicht immer so klar. Doch in der Hochzeit der Pandemie, als Fernreisen nicht möglich waren, wohl aber bereits ein zaghaftes Vortasten innerhalb der eigenen gastronomischen Breiten, wurde mir bewusster, warum mir ausgerechnet das Essengehen in New York so fehlte. Das war nie ein spezielles Menü oder eine spezielle Küche. Es war ein Gefühl. Das Gefühl, die klapprige Metalltür eines Windfangs aufzudrücken, vor einem kleinen Empfangstresen zu stehen und dahinter in eine andere Welt einzutreten. Das Gefühl, sich von einer Atmosphäre aus indirekt beleuchteten Backsteinwänden und alten, schwarz lackierten Stahlstützen mitreißen zu lassen. Oder von moderner Architektur in absurd hohen Stockwerken mit Blick über die Stadt. Und das Gefühl, damit nicht allein zu sein, sondern es mit vielen anderen Gästen zu teilen.

Meine Reisen in andere Metropolen konnten dieses Gefühl in der Zwischenzeit zwar oft wiederbringen. Aber es war nie das echte New York. Und da musste ich jetzt wieder hin, dringender denn je.

Reservierungen

Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, an denen ich eine Stunde am Telefon verbracht habe, um nach über hundert Wählversuchen jemanden im Chef’s Table at Brooklyn Fare an den Hörer zu bekommen. Oder im Per Se oder Masa, die großen Namen. Und an regen E-Mail-Austausch mit gut vernetzten Concierges. Dann kamen Dienste wie OpenTable oder (das inzwischen dort beliebtere) Resy, die diese Prozesse digitalisierten und demokratisierten. In Kombination mit den strikten Reservierungsrichtlinien à la »30 Tage im Voraus ab 10 Uhr Ortszeit« braucht man inzwischen jedoch mehr Glück als Verstand, um an bestimmte Reservierungen zu gelangen, erst recht an Reservierungen für ein bestimmtes Datum.

Dann folgte Tock mit seinen Ticketverkäufen für Restaurants mit festen Menüs. Und, als wäre das nicht schon nervenaufreibend genug, folgt jetzt der nächste Trend, der besonders für A-la-carte-Restaurants attraktiv ist: Reservierungen mit im Voraus bezahltem Mindestumsatz. Das beschert einem seit neuestem z. B. die App Dorsia (Cineasten werden bei dem Namen schmunzeln), mit der einige Restaurantszusätzlich zu ihren regulären Reservierungssystemen – zusammenarbeiten. Ein Tisch morgen Abend beim Szeneitaliener Torrisi? Über reguläre Kanäle so gut wie unmöglich, mit Dorsia kein Problem, vorausgesetzt man hinterlegt zum Beispiel, je nach Begehrlichkeit der Uhrzeit, schon mal fünfhundert Dollar für einen Tisch um acht als Mindestumsatz – pro Person. Nur so, aber immerhin, bin ich dieses Mal an einige der gefragtesten Reservierungen der Stadt gelangt. So und über Beharrlichkeit, Geduld und regen E-Mail-Austausch. Tatsächlich konnte ich für diese Reise kaum eine Reservierung über den regulären Weg tätigen. Die Situation ist so kompliziert wie nie.

Agenda

Einige werden das nicht erwarten, aber am meisten freue ich mich darauf, in New York italienisch essen zu gehen. Die italienischen Restaurants in New York sind eine ganz eigene Kategorie Restaurant (selbst innerhalb der »Metropolen-Italiener«, die ich neulich kurz ansprach). Dabei geht es nicht um (vorgegaukelte) Authentizität. Es geht um urbane Lässigkeit und gutes Essen, um Lebhaftigkeit und Genuss und ums Teilen, von gutem Wein, gutem Essen und einnehmenden Atmosphären – ganz weit weg von großen Pfeffermühlen, Schnäpsen aufs Haus und mediokren Zutaten. Die Italiener in New York wollen Italiener in New York sein. Und das können sie naturgemäß nur vor Ort.

Das Via Carota zum Beispiel steht als erstes Restaurant in meinem Kalender. Nach einer sehr späten Ankunft in New York und keiner Zeit mehr für ein Abendessen, ist ein Walk-in in dem beliebten Nachbarschaftsrestaurant im West Village am ersten Vormittag mein erstes geplantes Essen in New York. Das legere Ambiente am Tresen in stimmungsvoller Atmosphäre und die einfachen, aber ansprechend zubereiteten Gerichte sind für mich allein schon eine Reise wert – diese Reise. Das Restaurant macht Lust auf die weiteren Italiener, für die ich die nächsten Tage Reservierungen habe: Torrisi und Carbone.

Ich kann mir niemanden vorstellen, der nicht schon beim Anblick der Eingangssituation des Torrisi Lust hat, sofort dort einzukehren. Das Carbone – von derselben Betreibergruppe – existiert schon länger und ist noch begehrter. Die Tische dort sind enger, die Musik ist lauter, und mein Essen dort wird zu einem ungeplanten Exzess. Das ist ungünstig, wenn nur wenige Stunden später eine weitere Reservierung auf dem Plan steht, nämlich im Tatiana by Kwame Onwuachi beim Lincoln Center. Das Restaurant wurde von der New York Times – aus unterschiedlichen Gründen – kürzlich als bestes der Stadt gekürt. Das wird an dem Abend nicht ganz nachvollziehbar sein.

Bei all den komplizierten Reservierungen für vergleichsweise bodenständige Restaurants ist es umso verwunderlicher, dass eines der spektakulärsten Restaurants, in denen ich je gewesen sein werde, von mir eher beiläufig reserviert werden konnte. Die Rede ist vom Zwei-Sterne-Restaurant Saga im Art-déco-Wolkenkratzer 70 Pine Street. Eine dramatische 360-Grad-Rundumsicht mit Außenterrasse in Kombination mit einem besonders einfallsreichen Menü setzen neue Maßstäbe für Spitzengastronomie, nicht nur in New York. (Hier der Bericht.)

Atmosphärisch ist aber auch das von Gastro-Größe Daniel Boulud betriebene Le Pavillon im modernen architektonischen Meisterwerk One Vanderbilt. Nach einem schwindelerregenden Vormittag auf der 369 Meter hohen Aussichtsplattform Summit kann man sich in dem Restaurant im Parterre wieder etwas erden. Ganz so spektakulär wie die Aussichtsplattform wird es nicht.

Was ich in Metropolen wie New York ebenfalls nie verpassen möchte, ist es, in den Genuss eines authentischen japanischen Sushi-Restaurants zu gelangen. Dass der Guide Michelin das dreifach besternte Masa (wo ein Menü am Tresen inzwischen 950 Dollar netto kostet) immer noch für den besten Japaner der Stadt hält, nimmt kaum noch jemand ernst. Adressen wie das Yoshino von und mit Sushi-Berühmtheit Tadashi Yoshida aus Japan sind in der Hinsicht seriösere Kandidaten. Viel günstiger ist das Mahl hier auch nicht, aber tatsächlich besser.

Wo ich in New York ebenfalls nicht drumherum komme, ist die Seafood-Institution Le Bernardin. Das atmosphärische Drei-Sterne-Restaurant von Eric Ripert, in dem schon mittags viele Tische so besetzt sind, dass man meint, es würden hier Milliardendeals zum Thunfisch crudo abgeschlossen, ist New York durch und durch. Seitdem ich hier vor siebzehn Jahren zum ersten Mal gewesen bin, habe ich das Restaurant in Midtown Manhattan so ins Herz geschlossen, dass ich dieses Mal eigentlich mein kühnes Vorhaben umsetzen wollte, an einem einzigen Tag zum Mittag- und Abendessen hier einzukehren, nur mit einer kurzen Unterbrechung in der Aldo Sohm Wine Bar direkt nebenan. Die Pläne dafür standen schon, aber das fast unmöglich reservierbare Atomix machte mir einen Strich durch die Rechnung, indem sich eine Wartelistenoption dort ausgerechnet für diesen Abend öffnete. Das durchgestylte koreanische Spitzenrestaurant wurde schon oft als Kandidat für die nächsten drei Sterne in New York gehandelt. Es ist das letzte Restaurant, das ich auf dieser Reise besuche.

Apropos drei Sterne: Spitzenkoch César Ramirez, der jahrelang das Geschehen im Chef’s Table at Brooklyn Fare prägte und einen vielfach kopierten, französisch-japanischen Küchenstil dort pflegte, eröffnet an der Adresse 333 Hudson Street nach Streitigkeiten mit dem ehemaligen Miteigentümer bald sein neues Restaurant César. Ich bin schon ganz ungeduldig.

Weitere Eindrücke der Reise bei Instagram: Posts und Stories.

(Die Einzelberichte der Restaurants folgen.)