Gedanken zu Corona I ‒ Hygiene

Während die Pandemie mit dem Sars-CoV-2-Virus derzeit die Welt verändert, erscheint das Thema, über Restaurants zu berichten, geradezu nichtig. Doch gerade das Gastgewerbe leidet enorm unter den Einschränkungen der Corona-Krise. Viele Restaurants machen ihr jeweils Bestes daraus, sei es für die Gesellschaft (wie z. B. in Deutschland das von Max Strohe vom Berliner Tulus Lotrek ins Leben gerufene Projekt „Kochen für Helden“ oder in New York das Eleven Madison Park, das derzeit Mahlzeiten für Obdachlose zubereitet), sei es fürs eigene Überleben durch den Verkauf von Mahlzeiten zum Mitnehmen nach Hause in Kisten oder Tüten. Dass Restaurants langfristig jedoch nur von Gästen leben können, ist offenkundig. Ein Restaurantbesuch ist daher immer auch eine Unterstützung der Existenzen dahinter.

Doch wie schnell die Gastronomie wieder zur „Normalität“ zurückkehren kann, ist mindestens genauso wichtig wie die Frage, was sich nach der Pandemie ‒ oder nach deren Gröbstem ‒ für die Gastronomie verändern wird. Ich als Gast habe diesbezüglich auch in verschiedenen Bereichen Hoffnung auf Veränderung. Ein großer davon heißt: Hygiene. Diesen Bereich möchte ich heute kurz streifen.

Wer mich gut kennt weiß, dass ich schon immer einen „Hygienefimmel“ hatte. In unzähligen Restaurants habe ich schon mein Fläschchen Sterillium auf dem Platz vergessen; der Griff zum Handdesinfektionsmittel ist immer meine erste Amtshandlung in einem Restaurant. Wenn ich die Speisekarte angefasst habe, wiederhole ich den Vorgang. Begegne ich jemandem, den ich kenne und der mir die Hand schüttelt, ist es das dritte Mal. Gelange ich in die seltene Situation, das Desinfektionsmittel vergessen zu haben, gehe ich als erstes zu den Waschräumen und wasche mir die Hände, verzichte dann aber so gut es geht auf weitere potenziell infektiöse Handgriffe. Auf jedem Olivenölfläschchen lauern Keime, an jeder Armlehne das Ungewisse.

Was man leicht als Macke belächeln kann, würde jeder wohl spätestens jetzt als nachvollziehbar erachten und mich um mein Sterillium beneiden. Mein Vorrat ist zumindest gesichert. Ich hatte schon einen, bevor die meisten überhaupt von Sterillium gehört haben. Ich wusste auch schon immer, wie man sich richtig die Hände wäscht. Dass man den Deutschen das derzeit so genau erläutern muss, empfinde ich als befremdlich. Ich habe schon immer mit einer Mischung aus Degout und Bedauern auf Gäste geschielt, die nach dem Platz nehmen am Tisch ungeniert zum Brot greifen und ihre Keime aus dem Taxi oder von der Türklinke gleich mitverzehren. Wenn diese Personen die nächsten Tage dann auf der Toilette verbringen, geben sie oft dem Essen die Schuld.

Ein lauwarmes Tuch, das man Gästen in manchen Restaurants zur Begrüßung reicht, hilft übrigens nicht, um Infektionen vorzubeugen (es sei denn, es ist so heiß, dass man sich daran die Hände verbrüht). Ich habe diese Geste daher nie verstanden. Ein Desinfektionsspender im Eingangsbereich oder ein kleines Fläschchen Desinfektionsgel, das mit einem Zwinkern auf einem Silbertablett serviert wird, wären nützlichere Gesten ‒ nicht nur in Zeiten einer Pandemie.

Im Gastraum eines Restaurants sind natürlich noch andere Faktoren entscheidend, die zum Gesundheitserhalt der Gäste beitragen. Das regelmäßige Desinfizieren von Tischen und, noch wichtiger, von Gegenständen, die Gäste oft anfassen, sollte ebenfalls die Norm sein. Viele solcher Konzepte sind längst Bestandteil der ohnehin schon geltenden Hygienebestimmungen, doch als Gast wundert man sich oft, ob diese wirklich in Fleisch und Blut jedes Akteurs eines Restaurants übergegangen sind. Sollten künftig Menschenleben davon abhängen, sollte das lieber gewährleistet sein. Auch ein vernünftiges Klimatisierungskonzept sollte zum Standard eines Restaurants gehören, in dem Gäste länger verweilen. In stickiger Atemluft will ich zumindest in Zukunft noch weniger verweilen als vor der Pandemie. Zeitgemäße Klimaanlagen sind genauso wenig ursächlich für Infektionen wie ein kalter Windzug ‒ das genaue Gegenteil ist der Fall. Moderne Klimaanlagen haben Partikelfilter, und ein frischer Luftzug sorgt für eine schnellere Verwirbelung von Aerosolen und Tröpfchen.

Wer schon einmal in einer Profiküche zugesehen hat, dem dürften auch dort Bedenken kommen. Die Bedenken kommen mir nicht bei scheinbaren Fauxpas wie dem Ablecken eines Löffels. Wenn der danach in den 90 Grad heißen Kalbsfond wandert, ist mir das herzlich egal. Viel bedenklicher finde ich bspw. das ständige Anrichten lauwarmer Zutaten am Pass. Und zwar nicht wegen der nackten Finger, sondern nur, wenn diese Finger vorher den Stabmixer angefasst haben, dessen Griff länger nicht desinfiziert wurde. Oder schlimmer noch, sie haben Gästen zuvor die Hände geschüttelt und sich danach nicht gründlich die Hände gewaschen.

Wenn schon ich als Gast manchmal „lieber wegsehen“ muss, läuft da etwas schief. Gerade in Zukunft erwarte ich von Restaurants einen deutlich bewussteren und sichtbarer gelebten Umgang mit dem Thema Hygiene, unabhängig von den vermutlich ohnehin unübersehbaren Wiedereröffnungsauflagen der Behörden während der Corona-Zeit.

Ich werde nicht der Erste sein, der den Restaurants wieder die Türen einrennt. Erst, wenn sich neue Abläufe etabliert haben und das Thema Hygiene insgesamt weiter in den Fokus aller gerückt ist ‒ Gästen sowie Angestellten ‒, werde ich wieder mit Freude die Tür eines Restaurants öffnen. Vielleicht muss ich mein Sterillium nächstes Mal ja nicht selbst mitbringen.