Momofuku Seiōbo ‒ Antillen down under

Als im Jahr 2011 diese Filiale aus David Changs Gastronomie-Imperium in Sydney eröffnete, war es das erste Restaurant der Momofuku-Marke außerhalb von New York City. Wie in vielen anderen von Changs Restaurants, wird hier ein innovatives tasting menu serviert, das man am Tresen um eine offene Küche herum einnimmt.

Schon vor einigen Wochen hatte ich diese Reservierung getätigt, als letzte kulinarische Station auf meiner Reise nach Hongkong, Sydney und auf die Whitsunday Islands. Noch mal etwas kosmopolitisches Gastronomie-Flair schnuppern, bevor mich morgen mehrere lange Flüge wieder zurück nach Deutschland bringen.

Das Konzept des Momofuku Seiōbo hat einen Wandel durchgemacht, nachdem Küchenchef Paul Carmichael vor drei Jahren die Leitung übernommen hat. Der von Barbados stammende Koch ‒ kräftig, sehr gelassen und mit langen, schweren Dreadlocks ausgestattet ‒ war zuvor in Changs Má Pêche in Manhattan tätig. Die Entfernung zum restlichen Momofuku-Imperium schaffte ihm offenbar genug Freiraum, um hier einen ganz eigenen Küchenstil umzusetzen ‒ den seiner Heimat, der Karibik. Als ich heute Abend hier einkehre, bin ich entsprechend gespannt.

Zum kulinarischen Auftakt des einzig verfügbaren Überraschungsmenüs (ca. € 115) wird ein schwerer Mörser aufgetischt. Darin befinden sich Stücke von getrockneter Kochbanane, Knoblauch und frittierter Schweineschwarte, die man zu einer Paste zerstößt (oder zumindest mit diesem Ziel darauf hinarbeitet). Es sind die Hauptzutaten einer Mofongo genannten Kloßzubereitung aus Puerto Rico. Die zerschlagenen Stückchen schmecken angenehm süß-salzig, man spült sie mit einem Schluck deftiger Schweinebrühe herunter. (6,5/10)

Mais und Okra bilden die Grundzutaten des nächsten Gerichts, eine luxuriöse Interpretation des von Barbados stammenden Nationalgerichts Cou-cou. Auf dem Teller findet man einen leicht süßlichen, an Polenta erinnernden Brei in einer Maissauce. Eine großzügige Nocke Kaviar aus Kalifornien liefert dazu Salz und balanciert das Gericht damit verblüffend gut aus. (7,5/10)

Die nächste Gaumenfreude ist ein Fingersnack in Form eines hauchdünnen, länglichen Crackers aus Kochbanane. Auf ihm findet man eine kreolische, stückige Sauce mit würzig marinierter Paprika und Zwiebel; das Ganze ist veredelt mit gehobelter Bottarga. Auch hier funktioniert das Zusammenspiel von exotischer Süße und einem Kick Salz hervorragend. (7/10)

Leider etwas ungeschickter ist die Kombination von tasmanischem Seeigel mit Kokossplittern und einer Rettichcreme. Zwar überzeugt der Seeigel qualitativ auf ganzer Linie, und auch der leicht bittere Rettich passt gut zu dessen jodigem Geschmack, doch die Kokossplitter sind geschmacklich zu dominant. Das ist zwar ein Qualitätsmerkmal, doch ihr Geschmack überlagert die Aromen des Seeigels. In einem anders justierten Mengenverhältnis wäre das vermutlich ein großartiges Gericht. So ist es „nur“ sehr gut. Immerhin transportiert die Kokosnuss auch hier unmissverständliches Karibik-Flair. (7/10)

Ducana, eine unter anderem in Antigua beheimatete Kloß-Zubereitung aus Süßkartoffel, präsentiert sich hier in puddingähnlicher Konsistenz. Carmichael kombiniert diese einfache Grundzutat erneut mit spannenden Mitspielern, in diesem Fall eine pikante, geschmacklich komplexe XO-Sauce mit Abalone. Durch die leichte Schärfe der Sauce und das dezent süße „Grundrauschen“ der Süßkartoffel ergibt sich ein ähnliches Geschmacksbild wie bei einem Krustentierjus. Sehr gut. (7/10)

Die Atmosphäre ist gelöst und kosmopolitisch. Restaurant und Publikum könnte man so auch in New York antreffen. David Changs Spuren sind in diesem Sinn unverkennbar.

Weinseitig begleite ich das Menü u. a. mit einem würzigen Shiraz ‒ wenn man schon mal in Australien ist. Der 2013er „L’altra“ vom Weingut Cobaw Ridge aus dem Bundesstaat Victoria (€ 93) ist eine lohnende Entdeckung. Eingeschenkt wird in Zalto-Gläser.

Es geht weiter mit einer Kombination von australischer Mango und Garnele, letztere in Form von geschmacksintensivem Pulver. Etwas Paprika dazu baut eine Brücke zwischen Fruchtsüße und pfeffrig-herzhaften Aromen. (6,9/10)

Es folgt Chinesische Wollhandkrabbe, ausgelöst und mit braunem Reis und einer Krabben-Curry-Sauce kombiniert. Der Duft des Gerichts ist zum Augenschließen, vermittelt exotische Aromen, Wärme und Herzhaftigkeit. Am Gaumen bestätigt sich diese Wahrnehmung. Der Reis ist weich, aber nicht zerkocht, die schaumige Sauce geschmacksintensiv, und einige Blätter Kaffernlimette lockern das Gericht mit etwas Frische auf. Ein sehr gut gemachtes Wohlfühlgericht. (7/10)

Der nächste Gang hört auf Ropa vieja („alte Kleidung“), ein unter anderem auf Kuba beheimatetes Gericht. Im Mittelpunkt steht lange geschmortes, gezupftes Rindfleisch, in diesem Fall Brustfleisch vom australischen Wagyu-Rind. Sehr konzentrierter Schmorjus und etwas Paprika ergeben einen eher osteuropäischen Gulaschgeschmack, der hier durch das exzellente, keinesfalls magere Fleisch qualitativ stark aufgewertet wird. Pasteles, eine Kartoffelzubereitung mit teigartiger Konsistenz, die mit Forellenrogen kombiniert ist, bringt sowohl sättigende Kohlenhydrate als auch Salz ins Spiel, ohne dabei „fischig“ zu sein. Bemerkenswerte Produkte, hervorragend kombiniert. (7,5/10)

Zuvor lebendig präsentierte und in diesem Zustand auch halbierte Krustentiere sind das signature dish des Restaurants. Die Marron genannten Flusskrebse sind in Australien eine Spezialität, der ich auf dieser Reise schon mehrfach begegnet bin. Ich würde sie jedem Hummer vorziehen, meine Begeisterung für dieses Produkt bewegt sich in der Nähe von Kaisergranat. Küchenchef Carmichael grillt die Krustentierhälften scharf an, löst das Fleisch bereits etwas ab und serviert das Tier ganz puristisch mit einer leicht pikanten Sauce mit blumigen Habanero-Aromen. Dazu gibt es ein Gebäck mit Kokosnuss und Fisch, das sich wunderbar dazu eignet, den Rest der hervorragenden Sauce aufzunehmen. Simpel und rustikal, aber ein absolutes Wohlfühlgericht, das Freude und Genuss bereitet. Die phänomenale Qualität der Krustentiere hat Seltenheitswert und rechtfertigt eine Bewertung, die besser als „sehr gut“ ist. (7,5/10)

Als Pré-Dessert gibt es eine Milchspeise mit Roselle (Hibiskus), dazu einen aromatisch komplexen, fruchtigen Tee. (7/10)

Weiter geht es mit einem Küchlein mit Shortbread-Boden, gebrannter Kokosnusscreme und Kürbis, dazu eine Sauce auf der Basis von Ahornsirup. Leicht süß, leicht salzig, bewegt sich auch diese Speise in einer Welt zwischen Bekanntem und Neuartigem. (7/10)

Den alles krönenden Abschluss macht ein Rumkuchen mit Dulce de Leche, Bananencreme, Cassava pone (eine karibische Gebäckspezialität mit Maniok) und gebranntem Eischnee. Wenn es ein Schlaraffenland gäbe, wüchse dieser Kuchen auf Bäumen. (9/10)

Dieses Menü war zweifellos eines der spannendsten der letzten Zeit. Die Aromenvielfalt der Karibik mit ihren blumigen Gewürzen und süßen Früchten sucht zwar ihresgleichen, doch schaffen es die eher einfachen, sättigenden Zutaten wie Kochbanane oder Süßkartoffel kaum auf die Speisekarten von Spitzenrestaurants. Paul Carmichael schafft es, diese in einen hochwertigen Kontext zu stellen. Damit zollt er der Küche seiner Heimatregion großen Respekt, ohne jedoch zu sehr die „regionale Karte“ zu spielen. Die geschickte Kombination von karibischen Rezepten, hervorragenden australischen Zutaten und kreativen Ideen setzt ein großes Ausrufezeichen hinter dieses Menü, das mich die Karibik gerade sehr vermissen lässt. Fernab der Heimat habe ich also Fernweh, das habe ich jetzt davon.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Momofuku Seiōbo (→ Website)
Chef de Cuisine: Paul Carmichael
Ort: Sydney, Australien
Datum dieses Besuchs: 11.10.2018
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