Alléno Paris – vielleicht mal Ski fahren

Von Yannick Allénos Küche war ich schon begeistert als der charismatische Franzose noch im Le Meurice kochte. Nach seinem Umzug in den Palais Ledoyen an den Champs-Elysées blieb meine Begeisterung bestehen und festigte sich noch. Bei meinem letzten Besuch im Herbst 2015 erlebte ich in dem festlichen Speisesaal mit Blick auf den Petit Palais eine modernisierte französische Küche mit „Extraktionen“ (einer aufwändigen Methode, um Saucen herzustellen), dazu gab es Produkte von märchenhafter Qualität. Es wird Zeit, die Erlebnisse aufzufrischen.

Das Ambiente in dem Stadtpalast ist aristokratisch, die warme Beleuchtung einladend, der Jahrgangschampagner zum Aperitif (1990 Moët & Chandon Brut Imperial, Glas € 59) besser als das Label suggeriert, fein prickelnd und nach Brioche und geröstetem Brot duftend.

Wie eigentlich immer bei produktfokussierter Küche bestelle ich à la carte, weil die Auswahl größer ist und man mehr danach gehen kann, worauf man selbst – und nicht der Koch – gerade Lust hat. Das hier ist Frankreich. Man hat hier die Möglichkeit, Produkte höchster Qualität bestmöglich zubereitet zu bekommen. Außerdem sind die meisten Restaurants, gerade auf diesem Niveau, unerwartet Flexibel was die Bestellung angeht. Ich erlebe es oft, dass bei einer A-la-carte-Bestellung die Portionsgrößen (und damit auch die Preise) so angepasst werden, dass man sich sein ganz eigenes Menü zusammenstellen kann. Die Karte hier bei Alléno fördert dieses Verhalten sogar, da sie viele kleinere Gerichte aufführt, die absichtlich nicht als „Vorspeisen“ deklariert sind. Ich entscheide mich für drei solcher Gänge und dazu, dennoch, einen klassischen Hauptgang.

Wenig später werden erste Amuse-Bouches serviert, die charmant und auf höchstem Niveau mit dem Element der Überraschung spielen. Es gibt eine transparente Extraktion von Wurst (saucisson) mit einer Komponente, die ich nicht genau identifizieren kann und eine knusprige Textur wie Brot aufweist. Ich versäume es leider, nachzufragen. Der Geschmack der geleeartigen Extraktion ist klar und rein wie ihr Aussehen, salzig und würzig, exzellent. Ein Marshmallow mit Kastanienpuder rundet diesen ersten Streich ab. (9/10)

Hauchdünne Teigröllchen, gefüllt mit einer Creme von geräuchertem Aal, bieten anschließend Texturspaß und rauchig-frischen Wohlgeschmack. (9/10)

Eine weitere Kreation sieht aus wie eine aufgeblähte Kastanie oder ein so geformtes Stück Gebäck. Ich erkunde das kuriose Objekt zunächst haptisch, werde jedoch rasch davon abgehalten – es sei erst später fürs Dessert relevant und handelt sich um eine Passionsfrucht. Auch gut.

Die Weinkarte, in der ich inzwischen stöbere, ist umfangreich, französisch fokussiert und teuer. Meine Wahl fällt schließlich auf einen 2009 Chambolle-Musigny 1er Cru „Les Baudes“ von der Domaine Sérafin (€ 280).

Als erstes Gericht musste ich unbedingt erneut die 18 Monate am Baum gereifte Avocado bestellen, die als „Millefeuille“ mit dünnem Sellerie und gestoßenen Chia-Samen serviert wird (€ 42). Dazu gibt es eine Extraktion aus Kakao und Kaffee, die mit ihrer pointierten Bitterkeit gegen die Wucht der cremigen Tropenfrucht steuert. Ein sagenhaftes Gericht, bei dem es um vieles geht, was großartiges Essen ausmacht. (10/10)

Mit deutlich zu kurzem Abstand folgen dann Vorspeisen Nummer zwei und drei, die gleichzeitig serviert werden. Das ergibt gustatorisch durchaus Sinn, denn beide Gerichte thematisieren schwarze Trüffeln.

Beim ersten Teller findet man eine klassische Kombination von schwarzem Trüffel, Spinat, Parmesanemulsion und einem mit flüssigem Ei gefüllten Raviolo (halbe Portion, € 50), dessen Teig ich als einen Hauch zu dick empfinde. Auch dürfte etwas mehr Salz das Geschmacksbild unterstreichen. Dennoch exzellent. (8,5/10)

Ebenfalls auf dem Tisch steht eine Sellerie-Extraktion „Albufera“, ebenfalls mit schwarzem Trüffel (halbe Portion, € 50). Eine von intensivem Paprikageschmack lebende Extraktion bedeckt bei diesem Gericht eine kühle Selleriemasse von puddingähnlicher Textur. Zusammen mit den ätherischen, terpentinartigen Aromen der exzellenten Trüffeln ergibt das eine schlichte, hervorragende Speise. (9/10)

Befremdlich ist zu diesem Zeitpunkt, dass alles so schnell geht. Das habe ich in Paris so noch nicht erlebt, zumal es keine zweite Tischbesetzung gibt. Nach zwei Amuse-Bouches und drei Vorspeisen ist nicht mal eine Stunde verstrichen. Der Rotwein ist gerade erst im Glas, und ich muss meinen Hals nach jemandem aus dem Service recken, damit der Hauptgang noch nicht abgerufen wird. Auch bezüglich des Weins erlebe ich – zum ersten Mal in so einem Haus – eine mir etwas die Laune verschlechternde Unprofessionalität. Die Gläser sind viel zu vollgeschenkt, man kann den Wein nicht gut schwenken, und der feine Burgunder ist darin inzwischen viel zu warm geworden.

Ich merke all das beim Sommelier an, der mich daraufhin fragt, wie ich das Problem zu lösen wünsche.

Ich? Problem lösen? Hier? Bei dreihundert Prozent Preisaufschlag auf die Flasche?

Meine regelmäßigen Leser werden wissen, dass ich dem Service in der Regel nicht allzu viel Wichtigkeit beimesse – ich brauche in einem Restaurant keine aufwändige Betreuung –, aber das gilt nur, solange alles einigermaßen glatt läuft. Das hier läuft gerade nicht glatt, und auf diesem Preisniveau ist das schnell unentschuldbar. Ich erwidere, dass ich nicht der Sommelier sei, schlage aber vor, dass unsere Gläser zusammen mit dem Wein aus der Flasche einfach in eine Karaffe geschüttet und auf Eis gestellt werden könnten. Er entscheidet sich dann doch für eine andere Variante: eisgekühlte, beschlagene Gläser, in die man den Wein portionsweise aus dem Glas mit dem zu warmen Wein umfüllen kann. Das funktioniert physikalisch gesehen ganz gut (der Wein wird recht schnell kühler), aber die gesamte Situation ist für so ein Haus völlig inakzeptabel. Der Rest der Flasche, die auf dem Tisch in einem Körbchen liegt, wird nach wie vor wärmer und wärmer, und eine grundsätzliche Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Das ist so ein Moment, an dem die Gelassenheit eines solchen Abends auf der Kippe steht. Gerade in den großen Pariser Restaurants ist das für mich ein Novum. Sicherlich ist es eine Ausnahme, aber es ist eine ärgerliche.

Ich gebe bald ein Zeichen, dass es weitergehen kann. Als Hauptgang hatte ich hinsichtlich meiner Wahl länger gezögert, ob ich wirklich zu Rindfleisch tendieren soll – ich wähle selten Rind als Hauptgang, zu groß sind außerhalb der USA und Japans die Enttäuschungen –, aber ich bin hier schließlich bei Alléno und will es wissen, um jeden Preis. Und der ist mit € 190 wahrlich kein Zuckerschlecken.

Es gibt Wagyu-Rind „vierten Grades“ nach Stroganoff-Art, serviert in zwei Gängen. Besonders die ungewöhnliche Inspiration aus der russischen Küche hatte meine Neugier geweckt. Auf dem ersten Teller thronen drei großzügige Stücke fein marmorierten Rindfleischs – ich bin mir nicht sicher, von welchem Schnitt, klassischerweise verwendet man Filet – auf einer Zubereitung aus Reis, Zwiebeln und Paprika. Auf die charakteristische Sauce auf Sauerrahmbasis, die man zu Rind Stroganoff serviert, verzichtet Alléno hier, das passt auch nicht zu seiner schlanken Küche. Stattdessen findet man à part eine kleine Schüssel mit einer heißen, dunklen Sauce auf Kalbsfondbasis (eine der besten, die je probiert habe: salzig, intensiv, klebrig, glänzend), weiteren Fleischstücken, Champignons und frittierten Zwiebeln. Man muss die beiden Fleischgerichte unbedingt miteinander kombinieren, denn der Hauptteller ist, für sich alleine betrachtet, eher auf der trockenen Seite.

Die dezent osteuropäische Geschmackswelt ist frappierend gut, überraschend und demonstriert eindrucksvoll die Flexibilität der aktuellen französischen Haute Cuisine.

Alle Komponenten dieses Gerichts – Fleisch, Sauce, der würzige Reis – befinden sich auf einem Niveau, das große Restaurants zu dem macht, was sie sind. Ohne den kleinen Teller à part wäre das Gericht jedoch zu trocken. Daher ist das Gericht kein uneingeschränktes Highlight und viel zu teuer. (8,5/10)

Die Situation ist gerade die: das Essen ist exzellent, aber nicht grandios – ungewöhnlich für dieses Haus –, der Wein-Service ist eine Katastrophe, und Yannick Alléno feiert gerade irgendwo außerhäusig die drei Michelin-Sterne, die heute seinem weiteren Restaurant „Le 1947“ in Courchevel zuteil gekommen sind. Ich fühle mich etwas angeführt.

Weiter geht es dann mit der von mir zu Beginn des Abends etwas hilflos betrachteten, gebackenen und aufgeplusterten Passionsfrucht. Sie wird am Tisch aufgeschnitten und gibt eine Creme frei, die ebenfalls auf Passionsfruchtbasis hergestellt wurde und jetzt am Tisch wie eine Crème brûlée mit aufgestreutem Zucker karamellisiert wird. Dazu, separat serviert, gibt es ein Kräutergel sowie ein Ananas-Croustillant, und die gesamte Idee dieses Desserts fügt sich zusammen wie passende Puzzleteile. Alles schmeckt frappierend klar, exotisch, nach französischer Karibik, altem Rum und einer Kakophonie aus Zikaden und E-Gitarre. (9/10)

Als eigentliches Dessert bestellte ich „kristallines Schokoladenblatt“ mit einer Extraktion von Haselnussmilch. So gut das klingt, ist die Speise nicht genießbar. Der essbare „Teller“ ist wie ein großer Schokoladenweihnachtsmann: lustig, aber nicht ernsthaft aufzuessen. Zwar ist die verwendete Schokolade von außergewöhnlicher Qualität, aber der Inhalt der Schüssel ist neutral und schaumig. Es ist selten, dass man aus den Patisserien in Paris so etwas Mäßiges aufgetischt bekommt. (6/10)

Da ich das meiste davon stehenlasse und meine Kritik äußere – viel zu häufig schon an diesem Abend –, folgt wenig später ein Ersatzdessert.

Doch die Teller mit schaumigen Massen, die nun serviert werden, sind ein Graus. Ein Dessert, das auf „Soufflé mit Schokoladenspäne und schwarze Olive“ hört, ist massig, schaumig, artifiziell, unfranzösisch, verräterisch. Ein Affront. (5/10)

Eine Vanillecreme mit Birne (himmlisch — 10/10) sowie eine Meringue und ein exzellenter kleiner Kuchen (Details nicht notiert — 9/10) lassen die Patisserie dann noch einmal kurz aufblühen.

Ich bin kein Freund von Fazits. Der Abend war wie beschrieben, es gab exzellente Speisen, aber auch erstaunlich viel, das nicht zu einer Küche gepasst hat, deren Chef seit wenigen Stunden über zwei dreifach besternte Restaurants wacht.

An meiner Meinung über die Küche Yannick Allénos ändert das für diesen Moment nichts, und ich bin schon gespannt darauf, irgendwann zu erkunden, was Alléno in Courchevel alles auftischt. Vielleicht lerne ich dort ja auch noch mal, Ski zu fahren.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Alléno Paris (→ Website)
Chef de Cuisine: Yannick Alléno
Ort: Paris, Frankreich
Datum dieses Besuchs: 09.02.2017
Guide Michelin (F 2017): ***
Meine Bewertung dieses Essens 8,9 (Was bedeutet das?)
Diskussion bei Facebook: hier klicken