Haerlin – Gipfelessen

Die Küche im Haerlin verfolge ich seit vielen Jahren, seit in dem feinen Haus an der Alster noch schwere Schals aus Brokat die Fenster zierten und ein Klavierspieler für die Hintergrundbemalung sorgte. Selbst Passagen in piano pianissimo waren damals gut zu hören, denn nach der Vorstellung vieler Gäste hier hatte man sich in einem feinen Restaurant vor allem leise zu verhalten.

Das ist zum Glück alles ein bisschen anders geworden. Die Einrichtung ist nach wie vor luxuriös, aber die Schwere ist einer weltläufigen Eleganz gewichen. Kaum zu glauben, selbst der pompöse Brot- und Salzwagen wurde kürzlich durch das Auftischen von frisch gebackenen, warmen Brötchen mit Frischkäse und Kräuterbutter ersetzt. Das passt zum Zeitgeist, wirkt hier aber nicht forciert, sondern souverän – als hätte man das eigentlich immer schon so machen wollen.

Wenn man will, kann man hier richtig viel Spaß haben. Im Rahmen einer privaten Feier hatte ich neulich den Hochtisch reserviert, der nicht mit dem Chef’s Table in der Küche zu verwechseln ist. Umringt von beleuchteten Weinflaschen bester Herkunft sitzt man hier etwas unter sich und dennoch mitten im Geschehen. Die erhöhte Sitzposition, das nähere Beisammensitzen sowie die Kommunikation mit dem Service auf Augenhöhe lockern die Atmosphäre enorm auf. Ich erzähle das so detailliert, weil ich die Verantwortung dafür, in welcher Atmosphäre man einen Abend in einem Restaurant verbringt, auch immer mit bei uns Gästen sehe. Wer sich förmlich verhält, bekommt Förmlichkeit; wer beim Essen auch herzlich lachen kann, verbringt auch einen heiteren Abend. Das neue Service-Duo bestehend aus Restaurantleiter Thomas Andrew und Sommelier Marcel Ribis passen perfekt zu meinem Plan, es heiter zugehen zu lassen. Das Menü (€ 165) gebe ich komplett in die Hand der Küche; es wird ein Medley aus den beiden bestehenden Menüs sowie einigen neuen Speisen.

In einer so gelösten Atmosphäre ließe sich das Essen leicht als Nebensache abtun, doch bereits die drei Amuse-Bouches verhindern Schlimmstes.

Ein Baiser mit Mojo Verde, Anis und Avocado setzt mit viel grüner Chlorophyll-Frische und pikanten Aromen ein deutliches Ausrufezeichen (9/10), und ein Meerforellentartar mit Currysud und Sauerkrautschaum ist absolut stimmig, von der Temperatur der Zutaten, die eine leichte Schärfe unterstreicht, bis zur verführerisch süffigen Kombination mit Sauerkraut und Curry (9/10).

Im Rahmen der üppigen Amuse-Bouches folgt noch eine Kreation mit Jakobsmuschelund Tintenfisch. Diese ist allein schon dadurch großartig, dass in regelrecht japanischer Akribie auf die Schnittführung geachtet wurde. In den akkuraten, kreuzförmigen Einschnitten der Tintenfischstücke verfängt sich besonders viel von der rauchigen, aromatisch dichten Speckbouillon, zudem ermöglicht die kleine Größe der Stücke ein Essen des Gerichts mit einem Löffel. Ein fantastischer kleiner Gang mit exzellenten Zutaten und präzisem Handwerk. (9/10)

Die Idee, Meerestier mit süffigem Sud zu kombinieren, geht auch bei der pochierten Gillardeau-Auster voll auf, die beim nächsten Gang mit einem süßlich-herzhaften, lauwarmem Röstzwiebelsud, Rapsöl und grünen Erbsen (versteckt unter einem frisch-säuerlichen Gelee und etwas Kaviar) serviert wird. Separat dazu gibt es eine weitere Auster mit Apfel-Granité, die ebenfalls sehr gut ist, aber im Schatten des anderen Tellers entbehrlich wirkt. In Summe ist auch dies ein ganz exzellenter Gang. (8,5/10)

Das Menü glänzt weiter mit Glattbutt, der mit haselnussbraunen Röstspuren besonders appetitlich aussieht. Dazu gibt es grünen Spargel, eine Dill-Hollandaise sowie eine pikante Zubereitung mit Gurke. Der unaufgeregte Teller ist makellos umgesetzt, verschiedene Saucen passen hervorragend zum Fisch und übertönen eine minimale Trockenheit am dünneren Rand des Filets. Man könnte das wiederholte Element von Schärfe bei der Gurkenzubereitung inzwischen repetitiv finden, aber man muss das nicht. In Summe ist auch dieser Gang hervorragend. Vor allem die Schlichtheit gefällt mir sehr. (8/10)

Kaisergranat mit Seeigel sind die Hauptzutaten des nächsten Gerichts, und allein das bietet schon genug Anlass zum Staunen. Die von den Färöer-Inseln stammenden Produkte können sich sehen lassen. Die Kaisergranate sind klein, aber sehr schmackhaft und auf den Punkt gegart, der Seeigel verleiht dem Gericht mit seinem jodigen Geschmack Kraft. Weitere Zutaten sind Alge, schwarzer Rettich und ein Tomatensud, der für eine Unterstützung mit viel Umami sorgt. Eine ganz hervorragende Komposition, so kraftvoll wie elegant, so köstlich wie intelligent. (9/10)

Wagyu-Rind aus der Nordheide ist durch einen für Filet ungewöhnlich hohen, im Fleisch integrierten Fettanteil besonders aromatisch und zart. Beeindruckend sind auch hier wieder die Saucen. Ein dunkler, glänzender und doch leichter Jus bringt geschmackliche Tiefe; eine handwerklich und geschmacklich exzellente Béarnaise liefert Estragonaromen und luftige Cremigkeit. Dazu gibt es eine interessante, hauchdünn aufgeschnittene, leicht knusprige Kartoffelzubereitung, die optisch an Lauch erinnert, sowie etwas Zwiebelgemüse und Pfifferlinge, beides einwandfrei, aber neben dem qualitativ überragenden Fleisch etwas gewöhnlich wirkend. Doch das ist nicht alles, à part findet man noch ein Tartar vom selben Tier, genau richtig gewürzt, akkurat kühl, in einem angenehm säuerlichen Sud mit Kefir und Kapern. Ganz großer Fleischgenuss! (8,5/10)

Als Pré-Dessert gibt es eine kühle Komposition mit Holunderblüten, weißen Erdbeeren, Erdbeer-Champagner-Süppchen und einer kalten, nicht zu süßen Creme. Angenehm säuerlich-fruchtig und herrlich erfrischend. (8/10)

Das eigentliche Dessert hört auf „Johannisbeerstrauch mit Vanille-Noir-Eis und Sauerteig“ und präsentiert mit verschiedenen Texturen (knusprig bis cremig), einer waldig-fruchtigen Tiefe und einem Verzicht auf zu viel Süße noch einmal eine Hommage an den vorherigen Patissier Christian Hümbs, dessen Einfluss hier sicherlich positive Spuren hinterlassen hat. (8/10)

Es gibt noch verschiedene Pralinen, darunter auch exzellente Macarons mit Holunder bzw. Whiskey. (8/10)

Das Menü dieser Nacht war zweifellos eines der besten, die ich in Hamburg bisher gegessen habe. Ich habe mir bei Christoph Rüffers Küche schon immer etwas mehr Reduktion gewünscht, heute Abend erfüllte sich dieser Wunsch auf nahezu jedem Teller. Die Speisen wirkten dadurch „kompakter“ als sonst; die kulinarische Idee jeder Speise erschloss sich unmittelbar, beim jedem wohlschmeckenden Bissen. Saucen, Handwerk und Geschmacksbilder waren überragend, die Qualitäten der Produkte exzellent, beim Fleisch sogar Weltklasse. Gipfel in Hamburg? Lieber so.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Haerlin (→ Website)
Chef de Cuisine: Christoph Rüffer
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 03.06.2017
Guide Michelin (D 2017): **
Meine Bewertung dieses Essens 8,5 (Was bedeutet das?)
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