Ma Cuisine (Singapur) – Anfänger unerwünscht

Es ist mein letzter Abend in Singapur. Schon jetzt vermisse ich die Lichter der Stadt, die Weltläufigkeit der Restaurants und deren kulinarisch und gastronomisch aufgeschlossenes Publikum. Diese Gastronomieszene zu erkunden, zu beobachten und, wenn auch nur kurz, an ihr teilzuhaben, ist auf einer solchen Reise meine größte Freude. Daher habe ich auch nicht die geringsten Skrupel, in Singapur ein französisches Bistro zu besuchen. Ich könnte mir keinen besseren Abschluss der Reise vorstellen.

Das Ma Cuisine ist nichts für gastronomische Laien, so viel macht Miteigentümer und Sommelier Anthony Charmetant unmissverständlich am Nebentisch klar. Dort hadert man etwas länger mit dem Wein- und Speiseangebot; schließlich fragt jemand nach einem Kir zum Aperitif. Aber das Ma Cuisine ist kein Restaurant für Aperitifs und offene Weine – und erst Recht kein Restaurant, das Wein mit Fruchtlikör panscht. Das Ma Cuisine ist von Wein- und Gastrofreaks für Wein- und Gastrofreaks. Das muss man nicht wissen, aber man müsste es eigentlich, sonst käme man kaum auf die Idee, hier einzukehren. Schon das gleichnamige Schwesterrestaurant in Beaune ist wegen seiner spektakulären Weinkarte und einer rustikalen burgundischen Küche legendär.            

Während Anthony seine Kundschaft leidenschaftlich zurechtweist, fühle ich mich beim Stöbern im Burgunder-Abschnitt der Weinkarte erst einmal sicher. Gut, der 1978er Echézeaux von Henri Jayer aus der Magnum für umgerechnet rund sechzigtausend Euro wird es nicht, obwohl das mein Geburtsjahrgang ist, aber die Magnum ist mir dann doch zu viel. Ich begnüge mich mit einem 2017er Volnay 1er Cru »Les Fremiets« von der Domaine Henri Boillot (ca. € 210). Die Flasche serviert man ziemlich heruntergekühlt – ich schätze, maximal zehn Grad –, vielleicht ein erster Test, ob man sich darüber beschwert. Ich begrüße kühle Rotweine prinzipiell, aber eine kleine Stichelei ist es dennoch, wenn beim Einschenken das Glas beschlägt.

Die Speisekarte ist der nächste Test zum Thema Gastronomie-Erfahrenheit. Auf den zwei Seiten des schmalen Menüs entschlüssele ich drei grundlegende Möglichkeiten, hier zu speisen. Nummer eins: ganz traditionell mittels »Vorspeise, Hauptgang und Dessert« mit Gerichtspreisen zwischen ca. 30 und 60 Euro (bis zu 180 Euro für eine Geflügelbrust mit weißem Trüffel und Albufera-Sauce); Nummer zwei: mit dem »Klassiker«-Teil der Karte, der teilweise mit etwas günstigeren Bistro-Gerichten lockt; und Nummer drei: mit dem Überraschungsmenü für umgerechnet ca. € 254 bzw. € 1107 (!), je nachdem, ob man sich gegen oder für ein »Upgrade« mit weißem Alba-Trüffel entscheidet. Bei aller Provokation, die diesem höchstmöglichen Menüpreis innewohnt, habe ich mich schon jetzt so in diesen Laden verguckt, dass ich über die Tausendeinhundert-Euro-Falle nur schmunzeln kann.

Am souveränsten ist natürlich eine Bestellung »querbeet«, also mit Gerichten, die einen von der Karte einfach anlachen. Niemand hätte dafür mehr Verständnis als ein französischer Inhaber mit Wurzeln im Burgund. So bestelle ich erst einmal ein paar burgundische Schnecken mit Petersilie und Knoblauch (ca. € 16) und eine Pissaladière, die Zwiebelkuchen-Spezialität aus Nizza mit Oliven und Anchovis (ca. € 16). Zum Warmwerden.

Meinen Tisch zieren dann wenig später schon nicht weniger als die exzellente Flasche Volnay, sehr gutes Brot mit hochwertiger gesalzener Fassbutter, ein Opinel-Messer, die heißen, duftenden Schnecken im Staub-Topf und die vorgeschnittene, hauchdünne Pissaladière mit pikanten Sardellen und typisch »stumpfer« Textur. Was braucht man mehr? (Beides 7/10)

Das hier zum Besipiel: einen Pâté en croute mit einer Farce aus Bresse-Huhn und -Leber, Wildbret, Taube, Entenherz, Foie Gras, Kalb, Schwein, Cognac, Madeira, Port- und Weißwein (ca. € 31). Mon dieu! Das Handwerk des Patés ist gigantisch, die Qualität der Zutaten nicht zu »überschmecken«. (8/10)

Dazu bestelle ich einen Salat (ca. € 9) und einen Gratin Dauphinois (ca. € 12), was beides nicht besser zum Paté passen könnte. Der Salat ist fabelhaft, strotzt nur so vor knackiger Frische, appetitanregender Säure (durch eine Zitronen-Vinaigrette) und ist so kühl wie der Wein – in diesem Fall ideal. Es ist einer der besten einfachen Salate, die ich je probiert habe (7/10). Der Gratin, mit prononcierter Muskatnuss, präsentem Knoblauch und sehr viel Butter leistet Übriges (7/10).

Die Idee, zu einem Paté einen Salat und einen Gratin zu bestellen, klingt banal. Doch ein kulinarisch wenig erfahrener Gast würde kaum in den Genuss dieser simplen Kombination gelangen, weil diese Speisen nicht zusammenhängend auf der Karte stehen. Salat und Gratin sind keine »Extras« zum Paté, sondern stehen an einer ganz anderen Stelle der Speisekarte. Ich liebe es, mich so durch eine Karte zu manövrieren.

Und, mein Gott, gibt es hier noch Köstlichkeiten. Abalone mit Foie Gras. Hummer mit Anis-Bisque. Ente in Orange mit karamellisiertem Chicoree. Iberico-Schweinebacke mit Soubise. Taube mit Jus und karamellisierten Innereien. Austern. Neukaledonische Garnelen mir Sauce Gribiche. Cecina von Wagyu mit Tomatenbrot. Knochenmark mit Kaviar. Es hört nicht auf.

Doch meine Aufnahmemöglichkeiten schwinden. Mein vierzehntes Mahl innerhalb von 168 Stunden zollt seinen Tribut. Ich bin erschöpft, glücklich und satt.

Aber Anthony lässt nicht locker und serviert mir noch einen Paris-Brest und einen 1968er Madeira. Unglaublich, was diese Küche hier für Qualitäten auftischt. Das Ma Cuisine ist zweifellos eines der besten französischen Bistros, die ich kenne. Oder ist es eher eine Weinbar? Ganz gleich, wie man es nennt, das hier ist ernsthafte, traditionelle Spitzenküche, serviert in einem Umfeld, das Genussfreunde umarmt, aber Unbedarfte verweist. Das ist sehr elitär, aber es war unglaublich köstlich.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Ma Cuisine (→ Website)
Chef de Cuisine: Mathieu Escoffier
Ort: Singapur
Datum dieses Besuchs: 13.11.2021
Guide Michelin (SG 2021): *
Meine Bewertung dieses Essens: 7 (Was bedeutet das?)
Diskussion bei Facebook: hier klicken