Le Palais ‒ schnabelhafte Sterne

Meine Reise nach Seoul ist geografisch gesehen günstig, um einen Abstecher nach Taiwan zu unternehmen. Meine Neugier, neue Orte zu entdecken, ist immer groß, aber Taipeh stand auf meiner Reisewunschliste bisher nie ganz oben. Andererseits hat die Stadt zumindest für architektonisch Interessierte spätestens mit dem Wolkenkratzer Taipei 101 auf sich aufmerksam gemacht, der Mitte der 2000er-Jahre das höchste Gebäude der Welt war.

Kulinarisch gibt es seit ein paar Jahren auch ein Superlativ, so zumindest laut Guide Michelin, der mit seiner Drei-Sterne-Auszeichnung für das Restaurant Le Palais ein für mich unausweichliches Ziel auf der Landkarte geschaffen hat. Auch der Rest des Restaurantführers für die Metropole unterstreicht die dynamische Gastronomieszene der Stadt.

Beim Le Palais handelt es sich nicht, wie man vermuten könnte, um ein französisches Restaurant, sondern um ein kantonesisches. Es befindet sich im pompösen Hotel de Chine. Französisch klingt eben auch in der Ferne schick.

Das Restaurant erinnert mit seiner schwarzen und verspiegelten Hochglanzeinrichtung zunächst eher an eine Nobel-Diskothek als an ein Restaurant. Die Tische sind durch kleine Raumtrenner voneinander separiert. Das sorgt für Gemütlichkeit und Privatsphäre, ohne vom Geschehen abgeschnitten zu sein. Der Grundriss des Restaurants lässt sich durch die verwinkelte Raumaufteilung und die vielen Reflexionen nicht genau ausmachen.

Am Tisch serviert man zunächst ein Begrüßungsgetränk auf der Basis von rotem Essig. Wüsste ich nicht, dass das irgendetwas Traditionelles ist, könnte man fast auf die Idee kommen, man wolle mit der beißenden Flüssigkeit seine Gäste wieder loswerden. Als der Hustenreiz vorüber ist, werfe ich einen Blick in die Speisekarte. Sie führt einschlägige chinesische Zutaten auf. Abalone, Vogelnest, Barbecue-Schwein, verschiedene Gemüse, Tofu, Tintenfisch, Rindfleisch, Knoblauch und mehr in diversen Zubereitungen und Kombinationen. Dass man all diese Dinge grandios zubereiten kann, habe ich schon mehrfach erlebt, zum Beispiel im Lung King Heen, dennoch sitze ich immer etwas skeptisch vor den Speisekarten dieser Restaurants, vor allem, wenn sie so hochdekoriert sind.

Es gibt sogar ein spezielles „Drei-Sterne-Menü“ für umgerechnet ca. sagenhafte € 720, doch nach neun Gängen zwischen Fischblase und Vogelnestsuppe ist mir heute Abend nicht. Ironischerweise empfiehlt der Guide Michelin in seinem kurzen Text über das Restaurant ohnehin kein „Drei-Sterne-Menü“, sondern die Crispy Roast Baby Duck (€ 90), die man mindestens zwei Tage im Voraus bestellen muss. Das wusste ich zwar, wollte mich aber nicht festlegen. Nun ist mir doch irgendwie danach, und ich habe das Glück, dass noch eine der langwierig vorzubereitenden Enten verfügbar ist.

Der Service ist förmlich ‒ von einer Art, bei der die Kellnerin die ganze Zeit aus einer Ecke heraus den Tisch beobachtet und jeden Schluck Wasser unmittelbar wieder auffüllt ‒, aber freundlich. Neben Wasser habe ich auch schon Wein im Glas. Die Karte ist nicht allzu umfangreich, was in einem solchen „Palast“ erstaunt. Meine Wahl fällt schließlich auf einen 2015er Newton Unfiltered Cabernet Sauvignon für recht akzeptable € 90.

Zum Start bestelle ich einige Dim Sum.

Eine mit Hummer und Lauch gefüllte Frühlingsrolle (€ 17) macht den Anfang. Der Teig ist hauchdünn und knusprig, die Füllung frisch, saftig und heiß. Der Snack genießt sich am besten mit der hausgemachten XO-Sauce, die bereits auf dem Tisch steht. Ein Auftakt, der Spaß macht. (7/10)

Eine Teigtasche mit zwei Stunden gegarter Abalone (€ 17) und einer saftigen, heißen Füllung mit Huhn bereitet ebenfalls Freude am Gaumen. Das Handwerk ist erkennbar auf hohem Niveau. Besonders das Zusammenspiel von unterschiedlich bissfesten Texturen macht Spaß. Ich vergesse sogar kurzzeitig, dass der Michelin meint, das alles hier sei eine Reise wert. In diesem Moment ist es das sogar. (7/10)

Es geht weiter mit einer Art Brötchen mit heißer, herzhafter Füllung (€ 11). Der Teig ist nicht so weich, wie man es öfter von ähnlich aussehenden Kreationen kennt, sondern von festerer, brotartiger Struktur. Die Füllung besteht aus gegrilltem Schweinefleisch, Zwiebeln und einer süffigen Sauce, die am Gaumen etwas unverschämt mit Süß, Sauer und Umami spielt, so, als müsste die Speise demonstrieren, dass in diesem Moment Andere über die Geschmacksnerven Herr sind. Ganz besonders gut! (7,5/10)

Und dann kommt die Ente. Im Ganzen gegart, komplett mit Haut, Hals, Kopf und Schnabel, und mit einer appetitanregenden bräunlich glänzenden Schicht überzogen, kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass das Tier tot ist. Immerhin kann man aber auch noch sagen, dass es sich um eine Ente handelt, was man von anderen Darbietungen dieser Vögel nicht immer behaupten kann.

Mit einer mir bisher unbekannten Methode, die sich vom Tranchieren einer Peking-Ente deutlich unterscheidet, zerlegt ein Koch das Tier mit einer Schere in verschiedene Happen ‒ inklusive Knochen und Knorpeln. Die Prozedur ist eine fetttriefende und einnehmend duftende Angelegenheit. Weihnachtliche Aromen von Zimt, Nelke und exotischen Gewürzen umgeben die Luft. Das ist ziemlich eindrucksvoll.

Aus der Nähe sieht das Ganze dann ein kleines bisschen trister aus. Gar keine Frage, es macht schon Spaß, das saftige Fleisch von den Knochen abzunagen ‒ und es ist auch von erkennbar guter Qualität ‒, aber etwas eintönig ist das nach einer Weile schon. Zwar habe ich auch noch etwas Gemüse dazu bestellt, aber das steht in Form von Sellerie, ein paar Chilifäden und einem anderen, nicht näher identifizierbaren weißen Gemüse, auch eher auf der Verzicht- statt auf der Genussseite. Will sagen: das ist durchaus sehr gut, aber ein solches Gericht in den Drei-Sterne-Himmel zu loben, ist grotesk.

Aber Frust kommt keiner auf. Die Ente ist bisher ein kurzweiliges Vergnügen, das jetzt noch um eine weitere Portion ergänzt wird. In einer separaten Schale folgen weitere, etwas knorpelige Stücke des Tiers. Welcher Teil das sein mag, kann ich nicht erkennen, aber vermutlich wird es der ganze Rest bestehend aus Hals und Hinterteil sein. Die Stücke sind in einem Meer von getrockneten Chilischoten serviert. Auch hier besteht die Aufgabe darin, die Stückchen zum Mund zu führen und abzuknabbern. Unter einer etwas trockenen, knusprigen Schicht kommt dabei dann saftiges, aromatisches Fleisch zutage, dem der Chili eine angenehme Schärfe hinzufügt. Das ist gleichermaßen kurios wie schwierig zu bewerten. Alles über einer 7/10 für die zweifelsfreie Qualität und das gekonnte Handwerk fände ich jedoch übertrieben. Eine Ente aus der Feder von Heinz Wehmann oder Thomas Martin ist keinen Deut schlechter.

Ein Dessert bestelle ich nicht mehr, es folgt aber dennoch ein Mandelgelee; die Spezialität des Hauses wollte man mir nicht vorenthalten. Das schmeckt ein bisschen nach Kaffee und Marzipan, sehr ausgewogen, nicht zu süß und angenehm kühl. (7/10)

Und das ist sowohl das Ende eines kurzweiligen, schmackhaften Essens ‒ als auch das Ende eines weiteren Kapitels in Michelins fiktivem Restaurantführer der kuriosesten Drei-Sterne-Restaurants.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Le Palais (→ Website)
Chefs de Cuisine: Ken Chen, Matt Chen
Ort: Taipeh, Taiwan
Datum dieses Besuchs: 09.10.2019
Guide Michelin (Taipeh 2019): ***
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