Hélène Darroze at The Connaught ‒ schmackhafter Eklat

Tage, an denen am Abend eine Reservierung in einem Drei-Sterne-Restaurant auf dem Plan steht, fangen schon per Definition gut an. Tage, an denen man zusätzlich noch eine Reservierung in einem Zwei-Sterne-Restaurant zum Mittagessen hat, zu dem man in seinem Hotel ganz bequem hinunterspazieren kann, haben das Potenzial, noch besser zu sein.

Um Punkt zwölf habe ich eine Reservierung im Hélène Darroze at The Connaught im, nun ja, The Connaught. Das Restaurant ist mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet und befindet sich im Erdgeschoss des altehrwürdigen Londoner Hotels.

Dass man in England speist, kann man hier schnell vergessen. Nicht nur, weil die namensgebende Küchenchefin Französin ist, sondern auch ein Großteil der Belegschaft.

Das Menü listet ein gutes Dutzend Gerichte auf, die jeweils nach ihrer Hauptzutat benannt sind. Das ist für mich immer schon ein Zeichen dafür, dass hier ein Fokus auf hochwertige Zutaten gesetzt wird. Aus dem Angebot stehen fünf (£ 120, ca. € 136) oder sieben Gänge (€ 182) zur Auswahl, vermutlich gehen auch sechs. Ich wähle zunächst fünf, welche genau, entscheide ich bei einem perfekt temperierten Glas 2016er Puligny-Montrachet von der Domaine François Carillon (€ 36) aus der vorzüglichen glasweisen Auswahl der Weinkarte.

Eine Pilzconsommé ist das erste Amuse-Bouche, wohltuend warm und mit intensivem Pilzgeschmack ‒ schlicht, aber eindringlich gut (8,9/10). Ein Algen-Macaron mit Foie Gras und Getreide ist handwerklich auf höchstem Niveau, erfreulich wenig „klebrig“ (was bei dieser Zubereitung nicht selbstverständlich ist) und in einer angenehmen Meeres-Geschmackswelt, die vom Schmelz der Gänseleber besänftigt wird (8,5/10).

Eine Tartelette mit einer Mousse von geräuchertem Stör und verschiedenen Fisch- sowie Schneckeneiern schmeckt frisch, dabei angenehm salzig und mit subtilen Rauch-Aromen ‒ große Klasse (8,9/10). Ein länglicher Cracker mit Cheddar und einer Creme aus Balsamessig ist knusprig, säuerlich und sehr fein gearbeitet (8/10). In Summe ein sehr ansprechender Start!

Mein erster Gang aus dem Menü ist eine Kreation mit Taschenkrebs und Dreieckskrabbe, deren gezupftes Fleisch sich unter einem fruchtigen und appetitlich säurebetonten Schaum mit Pomelo und ätherischem Lampong-Pfeffer befindet. Das Krebsfleisch ist jeweils von feinster Qualität, saftig und mit ansprechender Süße, die ganze Kreation ideal temperiert, d. h. kühl, aber nicht kalt. Etwas weniger Schaum hätte der hervorragenden Vorspeise jedoch nicht geschadet. (8/10)

Fürs nächste Glas fiel meine Wahl auf einen 2015er Chardonnay „Dierberg Vineyard“ vom Weingut Tyler aus dem Santa Maria Valley in Kalifornien (€ 26).

Das folgende Gericht beinhaltet eine Scheibe gebratener Foie Gras, die mit u. a. mit Koji-Reis (ein durch ein Bakterium fermentierter Reis) bedeckt ist. Die Gänseleber ist knusprig gebraten und bietet am Gaumen üppigen Schmelz. Dazu gibt es ‒ ungewöhnlich, aber sehr passend ‒ einen blumig-ätherischen Gegenpol in Form einer geschichteten Kreation aus hauchdünnen Apfelscheiben mit Blättern vom japanischen Bergpfeffer, der den Gaumen leicht betäubt. Eine halbtransparente Sauce auf Sake-Basis unterstreicht diesen exotischen Kontext. Ein Gericht zum Träumen, zwischen Frankreich und Kyoto. (8,9/10)

Eine Gersten-Consommé, klar, heiß und mit vielversprechenden Fettaugen, beherbergt für den nächsten Gang mit Zwiebel und Périgord-Trüffel gefüllte Ravioli. Der edle Speisepilz steht hier allerdings nur leise im Hintergrund ‒ mit britischem Understatement, könnte man sagen ‒, während das Geschmacksbild insgesamt von der natürlichen Süße der Zwiebeln geprägt ist. Diese findet sich nicht nur in den Ravioli, sondern auch im Sud und in Form von leicht geflämmten Stückchen in dem Gericht wieder. Die elegante Süße, die immer wieder geschickt durch etwas Kerbel in eine frische Ecke bewegt wird, ist wohltuend und lädt zu tiefem Durchatmen ein. Lediglich das Handwerk der Pasta hätte noch präziser sein können, mit dünnerem Teig und cremiger Farce, à la Heinz Beck. (8,5/10)

Das erfreulich großartige Mittagessen geht weiter mit Jakobsmuschel. Bei dieser sehr qualitätskritischen Zutat entscheiden Nuancen über ungenießbar und großem Genuss, dazwischen gibt es nichts. Dieses Exemplar ist atemberaubend gut, was eine nähere Beschreibung erfordert. Der Gargrad ist perfekt, d. h. an keiner Stelle glasig oder rosa, sondern durchweg schneeweiß, heiß und bissfest. Die obere Seite der Muschel ist knusprig angebraten, homogen goldbraun und knusprig. Der Geschmack ist nussig und süßlich, ohne jegliches „fischige“ oder „muffige“ Aroma, eher wie eine Crème caramel als eine Muschel. Zu diesem phänomenalen Produkt gibt es eine „indische“ Komposition aus hervorragend gegarten und sehr aromatischen Karotten, einem Karottenpüree mit Tanduri-Masala-Gewürzmischung und einigen Kräutern. Elegant, große Klasse, lediglich das etwas ubiquitäre Geschmacksbild und die Thermomix-Textur des Karottenpürees nagen an der Weltklasse. (8,9/10)

Es geht noch weiter. Escaoutoun (eine südwestfranzösische Version von Polenta) mit ebenfalls französischem „Ardi Gasna“-Käse, Wachteleigelb und Bratenjus wäre schon für sich betrachtet ein Gaumenschmaus. Doch erst eine üppige Portion dick geschnittener Périgord-Trüffeln rechtfertigt dann nicht nur den Menü-Aufpreis des Gerichts (zzgl. € 53), sondern verwandelt es in eines dieser seltenen Erlebnisse, die einem Périgord-Trüffeln erst in dieser Menge bieten können. Ein intensives Aroma von nasser Erde, Terpentin und Harz flutet die Geschmacksnerven, alles wird durch die Polenta galant abgemildert, die lediglich mit ihrer Masse etwas im Missverhältnis zum Trüffel steht. Knapp unter unvergesslich. (9/10)

Das Restaurant ist längst komplett besetzt. Das Publikum ist das einer Metropole: von jungen Freundinnen auf Städte-Trip, die sich am Samstagmittag mal etwas gönnen, bis zu den üblichen asiatischen Verdächtigen in Designer-Trainingshose oder Anzug. Die sehr großzügigen Tischabstände ‒ auch vor Corona-Zeiten ‒ und das gut gelaunte, immer lächelnde Personal, sorgen dabei für eine entspannte Atmosphäre.

Der letzte herzhafte Gang ist Wagyu-Rind (Grad A5) aus der Gunma-Präfektur in Japan. Dazu passt ein 2014er Shiraz „Georiga’s Paddock“ vom exzellenten australischen Weingut Jasper Hill (€ 30). Der Aufpreis des Gerichts in Höhe von € 127 (!) lässt dabei auf Größtmögliches hoffen. Das Fleisch kommt in zwei Stücken auf einer Demi-Glace, dazu gibt es makellose Pommes soufflées und etwas Salz. Mehr benötigt man für den Genuss solcher Qualität zweifellos nicht, das Fleisch ist mir jedoch eine Nuance zu unspektakulär. In dem Universum grandiosester Fleischqualitäten ist dieses Fleisch ‒ besonders für die Qualität A5 ‒ ein wenig zu mager, ein wenig zu gräulich statt knusprig gebraten ‒ und doch können selbst diese Kritikpunkte der raren Qualität fast nichts anhaben. Am Gaumen ist das Erlebnis buttrig, zart und mit viel Umami. Zusammen mit der exzellenten Sauce ist das ein Gang, den man nur in den besten Restaurants finden kann. Die Offenbarung des Gerichts ist aber der dazu gereichte Salat. Knackig frischer Radicchio Treviso und weitere, grüne Blattsalate, sind mit Estragonsenf, Kerbel und einer klassischen Vinaigrette angemacht. Das ist hinsichtlich appetitlicher Säure, knackiger Frische und würzigem Senf so perfekt, dass der Salat meiner Referenz von Alain Ducasse zumindest ebenbürtig ist.

So etwas muss man erlebt haben, um die wahre Essenz von Spitzenküche zu verstehen. Ein Salat! (9/10)

Als Dessert wähle ich den Signature Baba, irritierenderweise auch wieder mit Aufpreis (€ 20), dafür aber mit herrlicher Textur zwischen fest und luftig und einem Armagnac anstelle des klassischen Rums. Eine dazu servierte Creme mit Kastanie und Apfel erinnert mit ihrer festeren Textur eher an Clotted Cream als an die verführerisch leichte Chantilly mit Vanille, die man üblicherweise dazu serviert. Dennoch ist das alles auf sehr hohem Niveau. (8/10)

Ein Stück Blätterteigkuchen kommt schließlich auch noch von irgendwoher, genauso wie eine Art Windbeutel, beide Süßspeisen sind hervorragend (8/10). Genaueres versäume ich zu notieren, denn die Prozedur, mit der man hier am Tisch einen Kaffee zubereitet, erfordert meine ganze Aufmerksamkeit.

Inzwischen zeigt die Uhr schon in Richtung Nachmittag, die Rechnung knapp fünfhundert Pfund. Man könnte sagen, das Mittagessen ist etwas eskaliert. Ein Eklat ganz nach meinem Geschmack.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Hélène Darroze at The Connaught (→ Website)
Chef de Cuisine: Hélène Darroze
Ort: London, England
Datum dieses Besuchs: 25.01.2020
Guide Michelin (GB & Irland 2020): **
Meine Bewertung dieses Essens 8,5 (Was bedeutet das?)
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