Christophe Bacquié ‒ zwischen Mittelmeer und Pferdestärken

Das Wichtigste vorweg. Wer kein absoluter Motorsportfanatiker ist und beabsichtigt, länger als für die Dauer eines Essens zu bleiben, sollte sich vor der Buchung des Relais & Châteaux Hôtel du Castellet erkundigen, ob zur geplanten Reisezeit Autorennen auf dem Parcours nebenan stattfinden.

Le Castellet, gelegen zwischen Mittelmeer und Provence, ist Heimat von einer der berühmtesten Rennstrecken Frankreichs. Von privaten Rennen bishin zur Formel 1 ist die Rennstrecke selten unbenutzt. Der Parcours befindet sich fußläufig vom Hotelgelände und ist das Flair dieses Orts. Das Flair wird ungefähr nach vier Stunden lästig, nach zwölf zum Ärgernis und nach achtundvierzig Stunden ‒ mit einer längst begrabenen Hoffnung auf ein entspanntes Wochenende ‒ zu einer berechtigten Beschwerde. Ich hätte in der E-Mail der Reservierungsbestätigung zumindest erwartet, dass man auf diese Lärmkulisse hinweist. Stattdessen steht auf der Website etwas von „absoluter Entspannung“. Das ist so grob irreführend wie die scheinbare Idylle auf dem nächsten Foto.

Davon abgesehen befindet sich in diesem Hotel eines der neuesten Drei-Sterne-Restaurants Frankreichs, schlicht benannt nach dem Küchenchef Christophe Bacquié.

Der Speisesaal bietet eine große Glasfront mit Ausblick auf die Terrasse und die hügelige Umgebung. Das cremefarbene Interieur ist schnörkellos, eher etwas bieder als mit Klasse, aber dennoch angenehm.

Es gibt zwei Menüs. Promenade en Mer mit sieben oder acht Gängen (€ 215 bzw. € 245) sowie Au Fil des Années mit vier oder fünf Gängen (€ 180 bzw. € 195). Es ist jedoch nicht die Anzahl der Gänge, die den Unterschied der Menüs kennzeichnet, sondern das Thema. Christophe Bacquié ist Korse, er hat das Mittelmeer also förmlich im Blut. Keine Frage für mich, dass ich mich auf den „Meeresspaziergang“ einlasse.

Zum Aperitif werden herzhafte Kleinigkeiten aufgetischt. In der Tischmitte gibt es Cracker mit gebeiztem Kalbfleisch, Kapern und einer Anchoillade ‒ schön „fleischig“, angenehm salzig, sehr präzise gearbeitet (7,5/10); dann, näher am Platz, ein Arrangement verschiedener Speisen um das Thema Meer. Ich begleite diesen Auftakt mit einem Glas 2007er Bollinger Rosé „La Grande Année“ (€ 55), und in der Karaffe ist bereits ein 2014er „Silex“ von der Domaine Dagueneau (€ 295), von dem ich mir erhoffe, dass er mit seiner Mineralität gut zu den Delikatessen aus dem Meer passt.

Es gibt eine Fischsuppe ‒ heiß, dampfend und duftend ‒, die mit intensivem, aber sehr feinem Geschmack schon ganz wunderbar an Mittelmeer erinnert, ein kleines Stück Toast mit Rouille vollendet dieses Bild (8,5/10). Ein Fischbäckchen, von welchem, ist nicht ganz klar, mit Corail vom Hummer ist auch hervorragend (8/10), genauso wie eine geschmacksintensive Tartelette mit roter Bete, Bottarga, Rettich und einer darin sehr gelungen untergebrachten „Erdigkeit“ (8,5/10). Ein Luftkissen mit Mango und gegrillter Sardine kombiniert schroffes Meer und exotische Frucht sehr elegant (8/10). Produktbetont, leicht, authentisch, exzellent.

Der erste Gang präsentiert den regionalen Fisch Sackbrasse (pagre). Der Fisch ist roh mariniert und kommt mit Zatar, einer nordafrikanischen Gewürzmischung, gegrillter Avocado und einem sehr intensiven Zitronengel. Der Fisch geht darin etwas unter, weil die Gels nahezu vollständig den delikaten Geschmack des Fischs camouflieren. Das ist eine etwas vertane Chance. Klagen auf hohem, aber eben nicht höchstem, Niveau. (7/10)

Spitzenküche ist für mich nicht gleichbedeutend mit klassischen Luxusprodukten, aber wenn das so gut umgesetzt ist wie im folgenden Gang, kommt Freude auf. Ein üppig portionierter Zylinder aus würzig abgeschmecktem Taschenkrebsfleisch, bedeckt mit einer gut einen Zentimeter hohen Schicht Kaviar, ist dekadent wohlschmeckend, dazu sorgt eine mit Kaffernlimette abgeschmeckte Creme für Erfrischung. Etwas unnötig finde ich hier auch wieder die zitrusfrischen Geltupfen, doch immerhin überwiegen hier die hervorragenden Zutaten. Das Beste an dem Gericht ist ein à part serviertes Süppchen von einheimischen Krebsen. Das ist so intensiv, süßlich, jodig, salzig, umami, dass ich vor lauter Genuss die Augen schließen muss. Erst das Süppchen hievt die Gesamtwertung dieses Gangs auf 8,5/10.

Das nächste Thema ist Makrele. Die komplexe Komposition besteht aus zwei geflämmten Filetstücken des Fischs samt Haut, dazu gibt es eine ganze Reihe von Zutaten, die alle eine rauchige, „dunkle“ Geschmackswelt zum Leitmotiv haben. Da wäre zum Beispiel eine Vinaigrette mit Kastanienhonig, die eine „dumpfe Süße“ einbringt, seltsam gelierte Stücke von gegrillter Aubergine, die so rauchig-torfig schmecken wie ein Single Malt Scotch, sowie eine Art Limonenbaisers, die etwas vergeblich versuchen, das alles aufzulockern. Ein bisschen zu rauchig, das Ganze. (7/10)

Das folgende Gericht bricht dann scheinbar mit dem mediterranen Thema. Inspiriert von einem Aufenthalt des Küchenchefs in Thailand, gibt es einen Salat mit Kaisergranat, Erbsen, Artischocken, Frühlingszwiebeln und Pampelmuse. Eine Creme der Zitrusfrucht findet man auch noch auf dem Grund des Tellers. Dazu wird noch ein Krustentierjus angegossen und gehärtetes Eigelb übers Gericht gehobelt. Die sehr eigenwillige Komposition, die im Kern eben doch sehr mediterran ist, begeistert durch die Güte der Zutaten sowie geschmacklich durch eine ätherische Frische, die von den phänomenalen Erbsen ausgeht und von der Zitrusfrische der Pampelmuse in jedem Bissen weitergetragen wird. Komplex und mehr als hervorragend. (8,5/10)

Es geht weiter mit Seeigel aus der Gegend von Sanary-sur-Mer, serviert auf einem Fenchelschaum mit Pistazien. Über dem Ganzen findet man einen „Deckel“ aus einer Art Seeigel-Rosmarin-Wassereis. Der Seeigel ist einer der besten, die ich in Frankreich je probiert habe. Die Zungen sind groß, mild jodig und angenehm cremig. Rosmarin- und Fenchelaromen passen überraschend grandios dazu. Das stimmigste und beste Gericht bisher. (9/10)

Morchel wird als nächstes Produkt gefeiert. Ein einzelnes, großes Exemplar davon ist mit einer Fischfarce gefüllt und liegt in einem süffigen, buttrig-schaumigen Zwiebelsud. Sauerampfer und wieder einige der grandiosen Erbsen sorgen für ein Frische-Gleichgewicht, einige Croutons für etwas knusprigen Texturspaß. Die Morchel ist leider recht sandig, was marginal den Genuss schmälert. Ansonsten ungemein wohlschmeckend. (8,5/10)

Weitere Spezialitäten der Region werden vom nächsten Gang in den Mittelpunkt gestellt. Zahnbrasse (denti) ist eine weitere der vielen im Mittelmeer vorzufindenden Meerbrassenarten. Ein perfekt saftig gegartes Filetstück davon wird auf einer makellosen Beurre Blanc serviert, daneben liegt eine gegrillte Auster aus dem Étang de Thau, einer Lagune südöstlich von Montpellier. Zu diesen wundervollen Produkten gesellt sich eine komplexe Bitterkeit, stammend von Plankton, Radieschen und Zitrusfrüchten. Moderne Produktküche, leider etwas zu lauwarm serviert. (8,9/10)

Seezunge „Müllerin Art“ (sole meunière) kommt mit Kalbsjus, schwarzem Trüffel und weißem Spargel. Jedes Produkt auf diesem Teller ist qualitativ auf Referenzniveau; der Trüffel ist „quietschend“ frisch, die Seezunge saftig und heiß, auch der weiße Spargel ist fabelhaft. Ohne Umschweife grandios. (9/10)

Aus einem begehbaren Käseraum wähle ich noch einige Sorten Rohmilchkäse der Affineurin Josiane Déal. Sie sind alle exquisit, reichen aber an eine Selektion von Bernard Antony nicht ganz heran.

Ein Pré-Dessert kommt in Form eines dekonstruierten Calisson, der provenzalischen Konfekt-Spezialität. Auf dem Grund des Tellers findet man eine Mandelpaste, darauf ein Orangeneis. Zusammen mit einer schaumigen, fruchtigen Melonencreme ergibt das nicht weniger als ein großartiges Dessert mit parfümartigen Fruchtaromen und einer nicht zu ausgeprägten Süße. (8,9/10)

Das eigentliche Dessert rankt um verschiedene kandierte Zitrusfrüchte, die in einem Ring aus Zitronenmeringue angerichtet sind. Die Qualität der Früchte und ihre geschmacklichen Nuancen sind faszinierend, aber nach wenigen Löffeln ist die intensive Säure am Gaumen so dominant, dass ich einen Teil des Desserts leider stehen lassen muss. Das ist schlicht eine zu große Portion zu saurer Zutaten. Schade, denn in einer etwas anders dosierten Komposition könnte das hervorragend sein. In geringer Menge dennoch sehr gut. (7/10)

Damit endet ein Menü, das, wie so oft, immer dann am besten war, wenn es um unverfälschte Authentizität ging. Einige Ungenauigkeiten bei der Zubereitung erwarte ich in einem Restaurant, das jüngst mit einem dritten Stern ausgezeichnet wurde ‒ also gerade den Sprung von fast drei zu drei geschafft hat ‒ eigentlich nicht. Aber übermorgen bin ich noch mal hier, vielleicht sehen die Dinge da schon ganz anders aus.

Man könnte ja meinen, dass Ostersonntage der Ruhe vorbehalten sind, doch auch diesen Tag begleitet seit den Morgenstunden das insektenartige Surren von PS-starken Autos. Immerhin hört man davon im Restaurant nichts.

Nach ähnlichem ‒ und ähnlich hervorragendem ‒ Auftakt wie zum Abendessen (8/10) beginnt das Mittagsmenü („Au fil des années“, € 180) mit einer warmen, schaumigen Creme von Kichererbsen und orientalischen Gewürzen. Sehr stimmig, aber viel Schaum. (7/10)

Aïoli Moderne ist dann der Titel des nächsten Gerichts, bei dem grüner Spargel, Karotten, Kartoffel, Radieschen und weitere Gemüse, sowie Stücke von Tintenfisch, gegart und gekühlt, mit einem luftig-schaumigen Aioli präsentiert werden. Bei Letzterem gelingt es sogar, dass der Knoblauch zwar intensiv und pikant schmeckt, aber nicht penetrant. Die aufgelockerte Textur macht zudem aus einer ansonsten schweren Sauce ein geradezu leichtes Vergnügen. Die Gemüse, die man darin eintunkt, sind exzellent, aber aromatisch nicht auf einem Niveau, dem man in anderen Drei-Sterne-Restaurants begegnen kann. Dennoch ein fabelhafter Teller. (8,5/10)

Eine Garnele („Gamba Ecarlate“) ist beim folgenden Gang von phänomenaler Qualität und erinnert von der Textur sogar ein wenig an Kaisergranat. Die prachtvolle, perfekt gegarte Zutat wird in einem intensiven Jus von Garnelenköpfen serviert, ein hervorragend abgeschmeckter Oxalis-Salat und eine Zitrusfrucht aus Korsika bringen Frische und Säure in das hervorragende Ensemble. (9/10)

Weil Ostern ist, gibt es Lamm (aus Sainte-Baume) in zwei Zubereitungen. Auf dem Hauptteller gibt es zwei dicke Tranchen der Keule, überglänzt mit Bratenjus und Kräutern. Das zarte, fettreiche und wohlschmeckende Fleisch wird begleitet von Kartoffelpüree mit schwarzem Trüffel, einer Pomme Soufflée sowie einer Tartelette mit Lammherz. Dazu gibt es in einem kleinen Schälchen noch etwas Geschmortes, heiß, fettig, wunderbar, und mit noch mehr frischem Trüffel. Fabelhaft klassisch. (9/10)

Das Pré-Dessert bietet Banane in verschiedenen Zubereitungen. Auf dem Boden des Schälchens gibt es eine Art karamellisierte Bananenmasse mit Mürbeteig, dazu Bananeneis, eine Vanillecreme und Passionsfrucht. Diese scheinbar einfache Süßspeise ist eines der wohlschmeckendsten Desserts, die ich je probiert habe, dabei bin ich nicht einmal größter Freund von Bananendesserts. Hier stimmt nicht nur alles ‒ die perfekte Süße, das kühle, cremige Eis und der Karamellgeschmack ‒, hier steht man schon mit beiden Beinen im Schlaraffenland. (10/10)

Meine Wahl für das eigentliche Dessert fiel erneut auf eines mit Zitrusfrüchten, diesmal ist Pampelmuse das Thema. Es gibt sie ganz natürlich, in Stücken, darauf ein Pampelmuse-Cracker, dazu noch mehr Pampelmuse, als Eis und in Form eines mit Batak-Pfeffer gewürzten Suds, ebenfalls mit Pampelmuse. Viel Pampelmuse, aber ganz und gar hervorragend. (8,9/10)

Und weil ich gerade in Dessert-Laune bin, probiere ich noch Schokolade in verschiedenen Texturen, von flüssig bis fest. Das ist eine paradiesische Schokoladenspeise. Nicht zu süß, nicht zu bitter, cremig und knusprig, und von irgendwo her frischt eine Zitrusfrucht das Ganze etwas auf. Viel besser wird es mit Schokolade nicht. (9/10)

In Summe habe ich damit bei Christophe Bacquié zwei mehr als hervorragende Essen genossen. Sie kratzten stellenweise nur an drei Sternen, anstatt diese zu untermauern. Geringe Nachlässigkeiten, vor allem beim Abendessen, sowie hin und wieder Produkte unterhalb eines Referenzniveaus machten mir nicht auf Anhieb klar, warum hier kürzlich eine Aufwertung erfolgte. Dennoch eine kleine Reise wert. Das nächste Mal aber bitte ohne … wwrrruuummmmmm! Sorry, war gerade etwas laut hier. Sie haben schon verstanden.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Christophe Bacquié (→ Website)
Chef de Cuisine: Christophe Bacquié
Ort: Le Castellet, Frankreich
Datum dieser Besuche: 19.04.2019, 21.04.2019
Guide Michelin (F/MC 2019): ***
Meine Bewertung dieser Essen 8 und 8,9 (Was bedeutet das?)
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