Amador ‒ aller guten Dinge

Als wäre das so leicht reproduzierbar, betreibt Juan Amador nun bereits zum dritten Mal ‒ nach Langen und Mannheim ‒ ein Restaurant mit drei Michelin-Sternen. Nur Deutschland kann sich nicht mehr damit schmücken, denn das aktuelle Restaurant befindet sich in Wien. Dass es mit dem Amador zum ersten Mal ein Drei-Sterne-Restaurant in Österreich gibt, gefällt dort nicht jedem. Da kommt einfach ein deutscher Koch, eröffnet in Wien ein Restaurant mit einer Küche, die mit Österreich allenfalls am Rande zu tun hat, und kassiert in kurzer Zeit die Höchstnote im Guide Michelin.

Man hätte es Anderen eher gegönnt, so war sich der Großteil der Kritiker einig. Dem Steirereck, zum Beispiel, welches moderner, kreativer, regionaler kocht, aber konstant bei zwei Sternen festhängt. Bei meinen Besuchen dort in den Jahren 2012 und 2016 habe ich drei Sterne allerdings auch nicht erkennen können.

Doch so ist das nun mal mit den Sternen. Weder genießen Restaurants Vorteile, die einen bestimmten Küchenstil verfolgen, noch gibt es ein Gewohnheitsrecht. Das ist auch gut so. Ich als Gast suche ja durchaus mal ein gutes Restaurant mit französischer Küche in New York oder ein japanisches Restaurant außerhalb Japans. Kritiker dieses Prinzips akzeptieren nicht, dass die Sterne nach wie vor in erster Linie Hinweise für Gäste mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen sind ‒ und eben keine Trophäen für Köche oder gar eine Bewertung der kulinarischen Arbeit in einem kulturellen Kontext.

Fast zehn Jahre ist mein Essen in Amadors wegweisendem Restaurant in Langen her, sechs Jahre mein Besuch in Mannheim. Es waren zwei völlig unterschiedliche Erlebnisse, zweifellos auch geprägt von einer finanziell oft turbulenten Situation der Betreibergesellschaft.

Das neue Restaurant, das bis Ende 2017 auch noch eine einfachere Gastronomie beherbergte, befindet sich etwas außerhalb des Zentrums in Wien-Heiligenstadt auf dem Grundstück eines (dort immer noch ansässigen) Weinguts.

Der Empfang ist sachlich. Reservierungsname, alles klar, hier geht’s zum Tisch.

Vorbei an einer großen offenen Küche, geht es in den Speisesaal. Der befindet sich in einem länglichen Backsteingewölbe, das viel Platz bietet. Die Tische sind groß und haben reichlich Abstand zum Nachbartisch. Rot und Weiß, Amadors Markenfarben, dominieren das Interieur.

Auf dem Tisch liegt ein Menü („Momentaufnahme“, acht Gänge, € 245), das sich bei einem ersten Glas Champagner (Krug Grande Cuvée für faire € 35) gut liest. Wer schon mal bei Amador essen war, erkennt den einen oder anderen Gang wieder.

Amuse-bouches werden serviert. Es gibt einen luftigen Chip „Vitello Tonnato“ ‒ etwas trocken am Gaumen, aber mit typischem Geschmacksbild ‒ (7/10), Thunfischwürfel mit Gurkenschaum in einem Glas ‒ leicht pikant, sehr präzise abgeschmeckt ‒ (8/10) sowie „Blutwurstknödel“ ‒ süßlich, warm und mit interessanten floralen Noten, deren Quelle ich nicht genau ausmachen kann (7,5/10).

Weiter gibt es noch ein knusprig frittiertes Wachtelei mit dazu passenden, süßlich-säuerlichen Essignoten (8/10) sowie ein Gänselebereis mit Aal und Apfelschaum, Letzteres eine treffsichere, äußerst wohlschmeckende Kombination (8,9/10).

In der Zwischenzeit ist auch der erste Wein im Glas, ein rarer Fund zu fairem Preis, ein 2006er Sauvignon Blanc „Zieregg IZ“ vom Weingut Tement aus der Südsteiermark (€ 185). Mit Weinen tut man sich hier paradoxerweise etwas schwer. Die Wege sind weit und die Temperaturen zu warm. Aber irgendwann ist alles so, wie es sein sollte. In Anbetracht der Mühen lasse ich gleich zwei weitere Weine öffnen (unsere Gesellschaft ist etwas größer) ‒ einen 2014er Bourgogne von der Domaine Coche-Dury (€ 120) und einen 2015er Morey-St-Denis 1er Cru „Clos de la Boussière“ von der Domaine Georges Roumier (€ 190). Alles rare Weine zu guten Preisen.

Der erste Gang des Menüs ist einer von Amadors absoluten Klassikern. Geeiste Beurre-Blanc, serviert in einer luftig aufgeschäumten Haselnussmilch, mit Gillardeau-Auster und Kaviar. Das Gericht ist charakteristisch für Amadors Küche. Es gibt meist ein zentrales, nie überfrachtetes „Zutatenarrangement“ in Tellermitte, das so gut wie immer durch eine umgebende Sauce komplementiert wird. Am Gaumen ergibt sich oft ein sehr „süffiges“, präzise justiertes Geschmacksbild, das immer zwischen leichter Süße und schmeichelhafter Herzhaftigkeit balanciert, die meisten anderen Grundgeschmacksrichtungen dabei aber auch nicht auslässt. Hier besticht besonders die Spannung zwischen süßlich-säuerlichem Buttereis und jodig-nussigem Kaviar. Die Meereswelt wird hier ferner durch Auster und Austernblatt verstärkt ‒ eine Weiterentwicklung des Gerichts, das ich noch aus der Zeit in Langen kenne. (8,9/10)

Es geht weiter mit Kaisergranat (in der Karte fälschlicherweise als „Languste“ bezeichnet). Dieses Exemplar ist von makelloser Qualität und Garung und ist auf einer Scheibe sehr zarten Kalbskopfs angerichtet. Das Ganze befindet sich in einem intensiven dunklen Pilz-Schmorjus. Der befindet sich erneut in einer beeindruckenden Balance zwischen salzig, herzhaft, leicht süß, umami und säuerlich und ist nicht ganz entfettet, was den Wohlgeschmack hier weiter verstärkt. Kleine, perfekte Steinpilze verleihen dem fantastischen Surf and turf noch etwas „Erdigkeit“. Interessanterweise geht das feine Krustentier, das zusätzlich noch von einer schaumigen, hellen Miso-Sauce bedeckt ist, in dem ganzen Arrangement nicht unter, sondern bringt alle seine Qualitäten glasklar zum Vorschein. Intensiv gut. (9/10)

Derweil fühlt es sich durchaus etwas seltsam an, hier zu speisen. Die vollkommen ortsungebundene, stilistisch etwas in die Jahre gekommene Küche, in einem von allen anderen Einflüssen abgeschotteten Gewölbekeller verleiht dem Essen eine etwas artifizielle, unauthentische Aura. Das mindert nicht die Qualität der Speisen, aber die des Geschehens. Schade, dass der lustlose Service hierzu keinen Gegenpol bietet.

Es folgt Zander. Ein quaderförmiges Filetstück ist sehr saftig und von einwandfreier Qualität, angerichtet in einer aufgeschäumten Erbsensauce mit Erbsen, Erbsenpüree, Pfifferlingen und einer Schnecke. Die Erbsen haben einen intensiven Geschmack, die Sauce ist abermals präzise abgeschmeckt. Handwerklich und geschmacklich hervorragend, ohne dabei jedoch allzu aufregend zu sein. (8,5/10)

Carabinero, eine noch immer aktuelle Modezutat besonders von deutschen Spitzenköchen, wird beim nächsten Gericht von einer eigenartigen, transparenten Gelee-Membran aus Ochsenherztomate bedeckt. Unter dieser findet man noch Kalbsbries. Das Ganze befindet sich, wie üblich, in einem runden, tiefen Teller, auf dessen Grund sich eine hellbraune, süffige Sauce befindet. Ein durch Texturgeber stabilisierter Mascarpone-Schaum liegt wie eine Wolke auf dem Gericht, das durch einen intensiven Tomatengeschmack Umami in Reinform bietet. Garnelen und Kalbsbries steuern kurzweilige Texturen bei, und irgendein knuspriges Element in dem Ensemble schmeckt so wie köstliche, angebrannte Lasagne (besser als bei Bottura). Was die Intensität betrifft gewagt, handwerklich anachronistisch, aber dennoch in Summe ein zweifelsfreier Hochgenuss. (8,9/10)

Den nächsten tiefen Teller ziert ein Stück Petersfisch, auf das man längs eine Sardelle angerichtet hat. Das Ganze liegt ‒ stilistisch typisch ‒ in einer hellen, aufgeschäumten Sauce, in der auch Buttermilch Verwendung findet. Zwei Sot-l’y-laisse, Kräuter und Blüten ergänzen das Ensemble. Erneut muss betont werden, dass es Amador in jedem Gericht gelingt, eine beeindruckend wohlschmeckende „Süffigkeit“ herzustellen, was seine Gerichte von vielen anderen Modernisten unterscheidet. Wirklich modernistisch ist seine Küche zwar nicht mehr (und will das auch im Kern nicht sein), aber Amador hat das klassische französische Handwerk selbst vor 15 Jahren ‒ zu Hochzeiten von flüssigem Stickstoff ‒ nie vernachlässigt. Damals kam jedoch oft mehr Süße zum Einsatz, deren deutliche Reduzierung eine vorteilhafte Entwicklung ist. Dieses Gericht hat dennoch ein entscheidendes handwerkliches Problem: der Fisch ist übergart. Petersfisch hat zwar naturgemäß schon eine feste Struktur, die man leicht mit Übergarung verwechseln kann, doch im Idealfall ist der Fisch dabei dennoch saftig und „präsent“ am Gaumen. Diese Attribute fehlen hier. Gleichwohl schafft es die in Summe geschmacklich vortreffliche Komposition, diesem Lapsus entscheidend entgegenzuwirken. (7,9/10)

Das folgende Gericht ist ein weiterer von Amadors Klassikern, wenngleich man mir den Austausch der eigentlichen Hauptzutat anbietet, da Taube bekanntlich nicht mein Fall ist. Konzeptionell ist das Gericht aber auch mit Rinderfilet zu verstehen (ich probiere am Tisch beide Varianten). Das Stück Fleisch ist dicht mit Butterbröseln bedeckt, was am Gaumen den Eindruck einer Kruste erweckt. Dazu gibt es eine handwerklich exzellente, dicht eingekochte „Purple Curry“-Sauce sowie Kokos und Mango in verschiedenen Zubereitungen. Insgesamt stellt sich ein etwas süßliches, exotisches Geschmacksbild ein, das durch die Säure der Mango ‒ und durch das Mengenverhältnis zum Fleisch ‒ etwas ausbalanciert wird. Zweifellos gut, aber auch ein bisschen „mit der Brechstange“ an den Geschmacksnerven. Es geht bei diesem Gericht weniger um die Qualität der Hauptzutat als um das intensive Geschmacksbild. (7/10)

Ein Pré-Dessert kommt in Form von einer Art Granité aus Sauerampfer und Erdbeeren. Mit einem Zerstäuber wird noch weiteres Walderdbeer-Aroma aufgesprüht. Das Eis ist sehr sauer, sehr kalt und damit kein großes Vergnügen. Und dass die Walderdbeeren letztlich in einem Zerstäuber gelandet sind anstatt auf dem Teller, ist sicherlich kein Vorteil. (6/10)

Ganz anders Amadors „Erinnerung an Amalfi“. Diese präsentiert verschiedenste Zubereitungen rund um die Zutaten Amalfi-Zitrone, Grapefruit, Sauerrahm und Limoncello. Mit Sandgebäck, Cremes, Eis und Fruchtstückchen bietet das Dessert nicht nur eine Menge Abwechslung am Gaumen, sondern ein durch und durch authentisches Erlebnis eines nach Zitrone duftenden, unbeschwerten Sommers. Perfekt! (9/10)

Verschiedene Pralinen ‒ Lakritz und Schokolade, Bienenstich, Crema Catalana mit Ananas, Sachertorte, Heidelbeere und „Wiener Melange“ ‒ sind auf hohem Niveau (im Schnitt 7,5/10) und beenden nach ungefähr drei Stunden das Mahl.

Juan Amador bietet nicht viel Neues, doch das ist an sich kein Makel. Die Kreationen wirken zwar ein bisschen in die Jahre gekommen, überzeugen aber ganz überwiegend durch den stets präsenten Fokus auf Wohlgeschmack und eine immer übersichtliche Anzahl an schlüssig zusammenwirkenden und authentisch präsentierten Zutaten. Dass das nie Produkte der absoluten Qualitätsspitze sind ‒ sondern „nur“ so gut, dass die Ideen der Gerichte überzeugend transportiert werden können ‒, setzt das Restaurant in kulinarischer Hinsicht zweifellos nicht an die Spitze der vielen großartigen Restaurants dieser Welt; das kaum nennenswerte gastronomische Konzept ohnehin nicht. Aber vielleicht bleibt Amador ja mal etwas länger an einem Ort und feilt noch daran. Den Drei-Sterne-Hattrick hat er ja jetzt auch schon in der Tasche.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Amador (→ Website)
Chef de Cuisine: Juan Amador
Ort: Wien, Österreich
Datum dieses Besuchs: 22.06.2019
Guide Michelin (Main Cities of Europe 2019): ***
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